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„Absolut illusorisch“: Rechtsexperte fällt vernichtendes Urteil zu Söders AKW-Vorstoß

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Von: Stephanie Munk

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Bayerns Ministerpräsident Söder will den AKW-Betrieb zur Ländersache machen. Kritiker werfen ihm Populismus vor. Ein Rechtsexperte bewertet Söders Vorstoß.

München - Einst drohte Markus Söder mit seinem Rücktritt, sollte Deutschland nicht den Atomausstieg beschließen. Das war 2011, nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Söder war damals Umweltminister. Jetzt, zwölf Jahre später, setzt der bayerische Ministerpräsident öffentlichkeitswirksam alle Hebel in Bewegung, damit die deutschen AKW weiterlaufen dürfen.

Kaum waren am Sonntag (16. April) die letzten deutschen AKW abgeschaltet, schaffte sich der CSU-Chef mit einer ungewöhnlichen Forderung Gehör: Söder forderte in der Bild am Sonntag, der Bund solle das Atomgesetz ändern und den Ländern die Zuständigkeit dafür geben. Dadurch könne Bayern den Atommeiler Isar 2 in eigener Regie weiterbetreiben.

Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Degenhart erläutert im Gespräch mit Merkur.de, wie dies rechtlich überhaupt vonstattengehen könnte. Fazit des emeritierten Professors für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig: Söders Vorstoß gehört derzeit rein rechtlich gesehen ins Reich der Fabel.

Markus Söder (CSU) fordert den Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke.
Markus Söder (CSU) fordert den Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke. © Frank Hoermann/Sven Simon/Imago

Bund allein zuständig für Kernenergie - Söder bräuchte Verfassungsänderung

„Nach dem deutschen Grundgesetz liegt die Zuständigkeit für die Kernenergie allein beim Bund“, erläutert Degenhart. „Der Bund hat die alleinige Gesetzgebungszuständigkeit. Die Länder vollziehen lediglich die Gesetzgebung im Auftrag des Bundes.“ Wolle man daran etwas ändern, brauche es eine Verfassungsänderung, so der ehemalige Richter am Verfassungsgericht in Sachsen. Einer solchen Änderung das Grundgesetz müssten zwei Drittel des Bundestags und zwei Drittel des Bundesrats zustimmen. „Das ist momentan absolut illusorisch“, so Degenhart.

Söders Forderung sei daher „nicht in die Realität übersetzbar“. Aus welchen Motiven der bayerische Politiker sie trotzdem in die Welt setzt, darüber will der Experte nicht spekulieren. Vermutlich wolle der CSU-Politiker demonstrieren, dass ein Weiterbetrieb von Isar 2 nicht an ihm, sondern am Grundgesetz scheitere.

Prof. Dr. Christoph Degenhart, ehemaliger Professors für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig.
Prof. Dr. Christoph Degenhart, ehemaliger Professors für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig. © privat

Söder erntet Kritik aus Ampel-Koalition: „Populist, der seinesgleichen sucht“

Verschiedenste Politiker bewerten Söders Motive eindeutiger: „Markus Söder ist ein Populist, der seinesgleichen sucht“, sagte der SPD-Abgeordnete und Rechtsanwalt Matthias Miersch (SPD) im Deutschlandfunk. Auch andere Politiker der Ampel-Koalition aus SPD, Grüne und FDP sowie Vertreter der Linkspartei wiesen den Vorstoß harsch zurück, ebenso wie der Präsident des Bundesamts für die Sicherheit nuklearer Entsorgung.

Rückenwind bekommt Söder dagegen vom Vize-Bundesvorsitzenden der CDU, Carsten Linnemann: Er spricht sich ebenfalls für einen Weiterbetrieb von Isar 2 in bayerischer Eigenregie aus. Deutschland befinde sich derzeit in einer „Notsituation“, sagte der CDU-Vize. „Rechtlich“ brauche Söder zwar erstmal „eine Mehrheit und er muss ein Bundesgesetz ändern“, räumte Linnemann im Sender RTL/ntv ein. „Aber dass Politiker erstmal eine Meinung haben in so einer Situation, wo wir eine ganz andere Lage haben als vor zehn Jahren, finde ich richtig.“

AKW-Betrieb in Länderregie? Experte sieht „ungeahnte Folgeprobleme“

Rechtsexperte Christoph Degenhart sieht jedoch noch weitere Probleme, sollte er seiner Meinung nach „schwer vorstellbare Fall“ eintreten, dass die Kernenergie zur Ländersache werde: „Die Energieversorgung kann ja nicht isoliert gesehen werden“, sagt er. Sollte Bayern, wenn die rechtlichen Grundlagen geschaffen würden, tatsächlich ein Atomkraftwerk weiterbetreiben, so müsste dies wohl in Abstimmung mit angrenzenden Bundesländern geschehen. Dabei könnten sich „ungeahnte Folgeprobleme“ ergeben. 

Der Rechtswissenschaftler sieht allerdings auch den Atomausstieg an sich verfassungsrechtlich bedenklich: Die Frage sei, wie sich der Ausstieg mit dem Klimaschutzziel des Grundgesetzes vertrage, so der Jurist.

Umweltministerin Lemke: Söder ignoriere Aspekte der nuklearen Sicherheit leichtfertig

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat Söders Vorstoß bereits zurückgewiesen und pocht auf die Zuständigkeit des Bundes für die Atomkraft. „Es ist geradezu bedrückend, wie ein Ministerpräsident genehmigungs- und verfassungsrechtliche Fragen und Aspekte der nuklearen Sicherheit so leichtfertig ignoriert“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung und der Bild.

Während Deutschland sich trotz Söders Gegenwind gerade aus der Atomkraft verabschiedet hat, nimmt Finnland mithilfe deutscher Technik ein nagelneues AKW in Betrieb - allerdings gab es massive Anlauf-Schwierigkeiten. Derweil erhält Angela Merkel (CDU), unter deren Kanzlerschaft Deutschland einst den Atomausstieg beschlossen hatte, am Montag (17. April) einen hohen Orden. Doch sogar in ihrer eigenen Partei gibt es dafür Kritik. (smu)

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