SPD: Die siegreichsten Verlierer Bayerns

München - In Bayerns Politik gilt oft: Die SPD gibt den politischen Takt vor - und verliert anschließend die Wahl. Denn umgesetzt wird SPD-Politik in Bayern von der CSU.
Bayerns SPD leidet an einem Paradox: Die Sozialdemokraten sind die erfolgreichsten Verlierer im Freistaat. Ob Ganztagsschulen, bessere Kinderbetreuung oder Atomausstieg - all diese SPD-Forderungen sind im Laufe der vergangenen zehn Jahre umgesetzt worden. Von der CSU. Denn inhaltliche Erfolge führen keineswegs automatisch zum Wahlsieg. Bayerns SPD ist ungezählte Male erfolglos durchgestartet. Beim Landesparteitag in der kommenden Woche folgt der nächste Versuch.
Die Inspiration kommt aus dem Westen: Die Sozialdemokraten hoffen, dass das grün-rote Beispiel Baden-Württembergs in Bayern Schule macht. “Die SPD hat schon immer gesellschaftliche Entwicklungen vorangetrieben. Ganztagsschulen oder der Ausbau der Kinderbetreuung wurden vor zehn Jahren von der CSU noch als sozialistisches Teufelszeug gebrandmarkt“, sagt SPD-Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher.
Er nennt weitere Beispiele, bei denen die CSU Positionen der SPD übernommen habe: Die Gründung einer Landtagskommission für die Energiewende, die Inklusion behinderter Kinder an den Regelschulen, die Einrichtung einer Pflegekammer und allerlei andere Dinge mehr. “Bedauerlicherweise hat die CSU in vielen Jahrzehnten ein ganzes Jahrzehnt gebraucht, um aufzuschließen“, klagt der SPD-Fraktionschef. So gebe es in Bayern immer noch weniger Krippen und Ganztagsplätze als in vielen anderen Bundesländern.
Das ist das Rätsel, das vielen Sozialdemokraten Kopfzerbrechen macht: In Umfragen trauen die Bürger regelmäßig der CSU höhere Kompetenz zu als der SPD - sogar in Politikbereichen, in denen die CSU von der SPD abschreibt. “Die SPD ist eine unterbewertete Edel-Aktie“, scherzt Rinderspacher.
Doch das Problem bleibt bestehen. “Wir schreiben tolle Papiere, wir haben tolle Ziele, nicht nur idealistische, sondern auch realistische - aber es kommt nicht rüber zu den Bürgern“, seufzt der frühere Landtags-Vizepräsident Peter Paul Gantzer, dienstältester Sozialdemokrat im Münchner Parlament. Gantzer glaubt, dass die SPD insgesamt nicht schnell genug auf den rasanten gesellschaftlichen Wandel reagiert hat.
“Wir ruhen uns auf diesen Erfolgen aus und realisieren nicht, dass es eine ganz neue Schicht von Wählern gibt. Es gibt nicht mehr den klassisch roten Sozihaushalt, so wie es auch nicht mehr den klassisch schwarzen Haushalt gibt.“ Doch die SPD leidet stärker unter der Erosion der Volksparteien als die CSU. “Wir diskutieren über Dinge, die die Herzen der Menschen nicht erreichen“, sagt Gantzer. Als Beispiel nennt er die SPD-interne Debatte über die Rente mit 67. Die interessiere die Bürger nicht, glaubt Gantzer, denn die heutigen Wähler wollten flexible Lösungen. “Wir sind immer noch in den alten Schützengräben, statt den Kopf herauszustecken.“
Doch auch Gantzer hofft auf Baden-Württemberg: “Jeder Bürger Bayerns weiß, dass wir jetzt einen grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg haben. Wenn das dort funktioniert, wird das Auswirkungen auf Bayern haben“, sagt er.
Immer wieder kommt bei der SPD ein Thema auf, das die Partei seit Jahren beschäftigt, ohne dass sie bisher eine Lösung gefunden hätte: Wie die Botschaft an den Bürger bringen? “Das ist eine Marketing-Strategie“, sagt die Vizefraktionschefin Inge Aures. “Es ist bitter, wenn man sieht, wie die CSU die Punkte nacheinander abräumt.“
Doch momentan stehen die Zeichen in der SPD eher auf Hoffnung. Aures verweist darauf, dass die bayerischen Bürger in den vergangenen Jahren schon häufiger überraschende Entscheidungen getroffen und sich von alten Lehrmeinungen verabschiedet hätten - als Beispiel nennt sie den Volksentscheid zur Einführung des ausnahmslosen Rauchverbots in Gaststätten. “Früher hätte nie jemand gelaubt, dass die Basis in Bayern sich auf den Weg macht, um ein gültiges Gesetz zu ändern“, sagt die frühere Kulmbacher Oberbürgermeisterin. “Solche Dinge sind es, die mich hoffnungsvoll stimmen. Ich habe totale Aufbruchstimmung.“
Auch in Baden-Württemberg allerdings verlor die SPD bei der Landtagswahl weitere Stimmen. Doch entscheidend sei die Regierungsbeteiligung, meint Fraktionschef Rinderspacher. “Das ist das, worauf es ankommt.“ Beim Parteitag in Germering ist deshalb der baden-württembergische Landesvorsitzende Nils Schmid Stargast. Denn als frisch gekrönter Vize-Ministerpräsident in Stuttgart ist Schmid lebender Beweis, dass auch das qualvollste Leben auf der Oppositionsbank einmal ein Ende haben kann.
dpa