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„Dumme Russen“: Militär-Experte will Irrtum aus der Welt schaffen

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Von: Nadja Zinsmeister

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Laut dem Ex-General Mick Ryan sollte Putins Militär im Ukraine-Krieg nicht unterschätzt werden. Laut ihm gelingt ihm immer wieder taktische Verbesserungen.

Kiew/München – Für Russland läuft der Krieg gegen die Ukraine bislang nicht wie geplant. Seit über einem Jahr versucht Putins Armee großflächig Städte und Regionen in dem Land einzunehmen, doch stattdessen kämpft sie mit hohen Verlusten und einer starken Defensive der Ukrainer. Ist Russlands Militär schlichtweg nicht kompetent genug für den Krieg? Ein Militär-Experte widerspricht der Aussage und warnt die Ukraine vor zukünftigen Entwicklungen.

„Im Gegensatz zu den vielen ‚Russen sind dumm‘-Stereotypen, die sich im Laufe des Krieges herausgebildet haben, haben sie in einigen Bereichen die Fähigkeit bewiesen, zu lernen und sich anzupassen“, schreibt der Militärstratege und Ex-General Mick Ryan aus Australien auf Twitter. In seiner Analyse, die er am 17. April veröffentlichte, konzentriert sich der Stratege vor allem auf die taktische Anpassung der Russen seit Beginn des Angriffs im Februar 2022.

Putins Krieg gegen Ukraine: Russische Armee lernte aus zwei gravierenden Fehlern

Laut dem Experten haben Russlands Truppen zwei große taktische Fehler begangen, aus denen sie jedoch gelernt haben. Einer davon war die Art des Nahkampfs. „Zu Beginn des Krieges versuchten die Russen, umfassende Manöver durchzuführen, bei denen Luftlande- und Abwurfoperationen mit offensiven Bodenoperationen koordiniert wurden.“ Die kombinierte Waffentaktik am Boden sowie die Luft-Land-Abstimmung wurden dabei schlecht durchgeführt, sodass die Ukrainer dadurch die Logistik und die besetzten Gebiete des Gegners angreifen konnten.

Rund 60 russische Fahrzeuge haben ukrainische Truppen bei dem Angriff auf eine Pontonbrücke zerstört.
Ein schwerer taktischer Fehler: Rund 60 russische Fahrzeuge haben ukrainische Truppen bei dem Angriff auf eine Pontonbrücke zerstört. © Verteidigungsministerium der Ukraine/dpa

Ein weiterer Fehler bestand laut Ryan in der „katastrophalen Überquerung des Flusses Sewerskij“ im Mai 2022. Damals hatte unter anderem das britische Ministerium für Verteidigung unter Verweis auf Satellitenbilder vermutet, dass Russland bei der gescheiterten Überquerung bedeutende gepanzerte Militärfahrzeuge sowie die eingesetzte „Ponton“-Kriegsbrücke verloren hatte, indem sie zerstört wurden oder im Fluss versanken.

Ukraine-Krieg: Russland verschafft sich Vorteil durch Angriff mit „Menschenwellen“

Aus ihren Fehlern haben die russischen Militär-Führer laut dem Militär-Experten Ryan in den letzten Monaten gelernt und sich angepasst. Dies hätte zum Beispiel der Einsatz von Söldnern der Wagner-Gruppe im Jahr 2022 insbesondere in der Region Bachmut in der Ostukraine gezeigt. „Ihre Anpassung war eine Rückkehr zu den Angriffen in Menschenwellen, die in Konflikten wie dem Iran-Irak-Krieg eine Rolle gespielt haben“, so Ryan weiter.

Damit meint der Militärexperte eine Taktik, bei der anfängliche Menschenwellen nur als erste Staffel bei einem Angriff genutzt werden, wobei jede nachfolgende Staffel aus erfahreneren und fähigeren Truppen besteht. Somit wurden Schritt für Schritt kleine Gewinne erzielt, die von den besser ausgebildeten Wagner-Soldaten am Ende genutzt werden können.

Krieg gegen die Ukraine: Weitere taktische Verbesserungen auf russischer Seite

Ryan berichtet über weitere Änderungen, die den Russen im Ukraine-Krieg Erfolge gebracht haben. Darunter fallen laut ihm Verbesserungen in der Verteidigungstaktik, im Einsatz von Drohnen und herumliegender Munition sowie in der Luftangrifftaktik. So würden sie zum Beispiel Waffen mit größerer Reichweite nutzen, um ihre Bodentruppen besser zu unterstützen und die ukrainische Luft- und Raketenabwehr zu umgehen. Auch wenn die Verbesserung auf taktischer Ebene insgesamt „uneinheitlich war und viele der Ideen kaum neu sind, so ist doch unbestreitbar, dass ein gewisses Maß an Lernen und Entwicklung stattgefunden hat.“

Die Ukraine solle die Fähigkeit der Russen hinsichtlich ihrer Anpassung nun auf Schwachstellen untersuchen, um diese wiederum zu nutzen. Auch wenn er den Ukrainern eine schnelle Lernfähigkeit zur modernen Kriegsführung zuschreibt, beendet Ryan seine Analyse mit dem Appell: „Ein Teil dieser ukrainischen Lernfähigkeit muss sich darauf konzentrieren, ein besseres Verständnis der russischen Lernsysteme zu entwickeln.“

Russische Rekruten: Bei einer Verwundung im Ukraine-Krieg werden ihnen Entschädigungen versprochen.
Russische Rekruten: Bei einer Verwundung im Ukraine-Krieg werden ihnen Entschädigungen versprochen. © Pavel Lisitsyn/Imago

„Unter Beschuss lernen“: Militär-Analyst über die Bedeutung der Anpassung im Krieg

Wie essenziell die Anpassung und der Lern-Prozess während eines Kriegs ist, schreibt auch der Militär-Analyst Ben Barry in einer Analyse für das International Institute for Strategic Studie (IISS). Laut ihm ist der Krieg immer ein dynamischer Wettbewerb. Darunter versteht er „Wettkämpfe um die Fähigkeit der Kombattanten, ‚unter Beschuss zu lernen‘, da jede Seite versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen, indem sie die Methoden und Mittel der Kriegsführung anpasst“.

Weiter schreibt Barry in seiner Analyse vom Januar, dass Russlands ursprünglicher Plan einer raschen Einnahme der ukrainischen Regierung aufgrund „erheblicher Schwächen in der Planung, Taktik, Ausbildung und Führung der russischen Land- und Luftstreitkräfte“ scheiterte. Russland habe seine Strategie im Laufe des Krieges jedoch angepasst und zum Beispiel versucht, sich mit großen Mengen an Artillerie auf das Gebiet Donbass zu konzentrieren, um dort ein „hohes Maß an Zermürbung zu verursachen.“ Vor allem die Stadt Bachmut in der Region ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark umkämpft.

Der Ukraine sei daraufhin eine Täuschungsaktion gelungen, die Russlands Aufmerksamkeit von Donbass weg und hin zur Oblast Cherson führte. Beide Seiten sind demnach fähig, sich anzupassen und Verbesserungen in der Taktik zu erzielen. Zumindest im letzten Jahr hat sich aber „weder Russland noch die Ukraine die Vorherrschaft in der Luft oder auf See gesichert“, so Barry weiter. (nz)

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