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„Sie sind ohne ihn verloren“: US-Experte glaubt an großes Trump-Comeback

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Donald Trump ist als US-Präsident Geschichte - zumindest vorerst. Doch gerade jetzt steht das Land vor immensen Herausforderungen. Im Interview gibt der Philosoph Vittorio Hösle eine Einschätzung der Lage.

München - Die USA haben die Ära Trump* hinter sich - über den Berg sind sie aber noch nicht. Der Philosoph Vittorio Hösle spricht im Interview über das teuflische Charisma des abgewählten Präsidenten, die Herausforderungen seines Nachfolgers - und die Chancen der USA auf Heilung.

Ein Meer von Flagge, davor sind einige verkehrt herum im Behältern platziert.
Die USA nach Donald Trump: Die Zukunft der ältesten Demokratie der Welt ist ungewisser als vor vier Jahren. © Alex Brandon/dpa

Professor Hösle, Donald Trump* ist seit zehn Tagen nicht mehr Präsident. Wie fühlt sich das an?

Hösle: Wie ein großes, langes Durchatmen. Das Ergebnis war ja unglaublich knapp. In Georgia und Arizona hatte Joe Biden nur 12.000 Stimmen Vorsprung, im großen Pennsylvania 81.000. Es war kein triumphaler Sieg für Joe Biden*. Die Zahl der Trump-Fans bleibt groß, das ist Anlass zur Sorge.

Die USA scheinen knapp an einem Staatsstreich vorbeigeschlittert zu sein...

Hösle: Trump hat eindeutig versucht, die Verfassung zu stürzen. Das Kapitol stürmen* zu lassen, war ja nicht nur eine Beleidigung der zweiten Gewalt, des Parlaments. Es war auch eine Beleidigung der dritten Gewalt, weil alle Gerichte bestätigt hatten, dass kein Wahlbetrug vorliegt. Trump wollte die Herrschaft der Exekutive durchsetzen. Das war lange vorbereitet.

Inwiefern?

Hösle: Trump versuchte zwei Dinge. Einerseits wollte er 2020 die Armee in den Gliedstaaten einsetzen, gegen ihren Willen. Er war dazu fest entschlossen. Glücklicherweise sagte der damalige Verteidigungsminister Mark Esper, dafür stehe er nicht zur Verfügung. Da hat die Armee das Land gerettet. Außerdem versuchte Trump, das Parlament in Urlaub zu schicken, indem er sich auf einen Verfassungsartikel berief, der bisher nie zur Anwendung kam. Senat* und Repräsentantenhaus erkannten aber, wie gefährlich das ist.

Außerdem gab es die Wahlbetrugs-Vorwürfe...

Hösle: Damit wollte Trump die Bereitschaft erzeugen, das Recht zu brechen. Nach den Wahlen wurde darüber gesprochen, den Ausnahmezustand in den USA zu verhängen und Wahlurnen in einzelnen Staaten zu beschlagnahmen. Stellen Sie sich vor, das wurde ernsthaft diskutiert.

Es gab also ein Drehbuch und einen zu allem entschlossenen Trump. Warum ist der Staatsstreich letztlich gescheitert?

Hösle: Einerseits, weil Trump sich nicht auf das Militär verlassen konnte. Generalstabschef Mark Milley hat Mitte November in einer sehr wichtigen Rede gesagt, dass alle Soldaten und Offiziere ihren Eid auf die Verfassung und nicht auf ein einzelnes Individuum abgelegt haben. Am 3. Januar haben alle ehemaligen Verteidigungsminister das in einem gemeinsamen Artikel in der Washington Post wiederholt. Ich persönlich war sehr alarmiert, als ich das las.

Und andererseits?

Hösle: Andererseits hat Trump nicht die Intelligenz, die Kraft und Risikobereitschaft, um ernst zu machen. Wissen Sie, was er getan hat, als der Pöbel das Kapitol stürmte? Er hat ferngesehen. Das tut ein guter Putschist nicht. Trump ist ein schlechter Putschist.

Die US-Demokratie erschien zeitweise bedrückend wehrlos. Ist sie verwundbarer geworden?

Hösle: Es wäre naiv, zu glauben, dass die Leute, die das Kapitol gestürmt haben, nun aufgeben werden. Die Demokratie ist geschwächt, auch international. Weil die Diktatoren der Welt nun sagen können: Seht her, Demokratie funktioniert nicht mal in Amerika.

Sie leben in Indiana, wo Trump 57 Prozent der Stimmen holte, sogar etwas mehr als 2016. Wie erklären Sie sich das?

Hösle: Was wir erleben, ist ein weltweites Problem. Die liberale Weltordnung ist in eine tiefe Krise geraten. Warum? Die Arbeiterklasse, die mal Motor des Fortschritts war, verschwindet. Und die Pandemie wird das noch verstärken. Trumps Wähler kommen zum Großteil aus dem unteren weißen Mittelstand, der das Gefühl hat, ausgebootet zu werden. Er drückt ihre Wut aus. Außerdem hat er die verhasste, globalisierungsaffine Politikerkaste von der Ostküste beseitigt.

Leute wie Hillary Clinton... Sind die Demokraten also für das Erstarken Trumps mitverantwortlich?

Hösle: Mit Sicherheit. Clinton ist ein absolutes Feindbild der Trump-Fans. Nichts war dümmer, als 2016 mit ihr anzutreten. Mit Joe Biden haben die Demokraten den Einzigen aufgestellt, der eine Chance gegen Trump hatte, weil er den gefährdeten Mittelstand repräsentiert.

Von Joe Biden wird jetzt nicht weniger als die Heilung des Landes erwartet. Hat er eine Chance?

Hösle: Ich hoffe es, aber es wird alles andere als einfach. Biden übernimmt ein Land, das unter einer Pandemie leidet, das wirtschaftlich angeschlagen ist und in dem der Frust besagter Arbeiterklasse wächst. Kürzlich sagte mir ein Kollege sehr treffend: „We’re not out of the woods yet“ - Wir sind noch nicht über den Berg.

Wo muss Biden ansetzen?

Hösle: Ohne Zweifel muss die herablassende Art vieler Demokraten* gegenüber dem einfachen Amerikaner aufhören. Denn die hat viele Stimmen gekostet. Außerdem muss Biden versuchen, durch ein großes Investitionsprogramm Leute wieder in Arbeit zu bringen - die Verzweiflung bei kleinen und mittleren Geschäftsleuten hat zugenommen. Er muss das Interesse also nach innen lenken.

Ist es denn versöhnlich, so wie Biden die Politik des Vorgängers einfach rückgängig zu machen?

Hösle: Ins Pariser Klimaabkommen und in die WHO zurückzukehren, waren wichtige Zeichen für die Welt. Innenpolitisch wird es auf etwas anderes ankommen. Biden hat eine Chance, wenn er den Menschen soziale Errungenschaften wie die Krankenversicherung „Obamacare“ plausibel machen kann. Trump wollte sie abschaffen. In der Gruppe der sozial Abgehängten haben einige gemerkt, dass das schlecht für sie wäre und haben verstärkt Biden gewählt.

Die junge Generation der Demokraten setzt weniger auf Soziales als auf Themen wie Identität. Biden scheint ein Relikt zu sein.

Hösle: Wenn die Demokraten weiter Themen betonen, die den normalen Leuten nicht vermittelbar sind, werden sie Probleme bekommen. Vor einem habe ich große Sorge: Sollte Biden sein Amt abgeben, etwa aus gesundheitlichen Gründen, wird die Führung an Kamala Harris* übergehen, die ich sehr schätze. Aber sie wird die Reflexe der weißen, deklassierten Männer wieder stark hervorrufen. Sollte sie 2024 antreten, würde es mich sehr wundern, wenn sie die Wahl gewinnt.

Wird Trump es noch mal versuchen?

Hösle: Schwer zu sagen. Es kommt darauf an, wie das Amtsenthebungs-Verfahren* ausgeht. Wahrscheinlich wird es nicht die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit gegen ihn geben - das wird ihn natürlich stärken. Die Frage ist, ob er die Kraft hat, alles am Kochen zu halten. Wenn ja, wird es für die Republikaner schwierig, ihn 2024 als Kandidaten zu vermeiden. Weil er der Einzige ist, der ein gewisses, teuflisches Charisma hat. Die anderen sind alle Langweiler.

Trump könnte eine eigene Partei gründen.

Hösle: Wir haben hier ein Mehrheitswahlrecht. Eine Partei, die sich spaltet, verliert - das war immer so. Ohne einander haben Trump und die Republikaner* keine Chance. Die Partei wird ihm nachgeben, weil sie sonst verloren ist.

Was kann die EU und speziell Deutschland tun, um den USA zu helfen?

Hösle: Dazu eine kleine Anekdote: Chasten Buttigieg, der Mann unseres neuen Transportministers Pete Buttigieg, der aus einer konservativen Arbeiterfamilie kommt, hat ein Buch geschrieben. In dem schildert er, wie der Schüleraustausch in Deutschland sein Weltbild komplett verändert hat. Das ist ein Zeichen: Wir sollten versuchen, junge Leute, nicht nur die Elite, nach Europa zu bringen. Inzwischen ist es so, dass Amerika wirklich Europas Hilfe braucht.

Hier heißt es eher, Europa müsse endlich auf Amerika zugehen, etwa bei den Verteidigungsausgaben.

Hösle: Absolut! Die Demokraten wissen, dass ihnen die Arbeiterklasse auch weggelaufen ist, weil sie zu wenig Geld im Inneren investiert haben. Zum Teil liegt das daran, dass Amerika den Löwenanteil der Verteidigungskosten der Nato trägt. Auch die Demokraten können es nicht mehr ertragen, dass Europa das voraussetzt, zugleich aber mit dem Finger auf die USA zeigt und sagt: ‚Hey, Ihr habt so einen schlechten Sozialstaat.‘ Außerdem orientiert sich Amerika nach Asien. Die Verantwortung gegenüber Russland muss schwerpunktmäßig bei Europa liegen. Natürlich geht das nur begrenzt. Aber Europas Knauserei wird nicht mehr akzeptiert werden.

Interview: Marcus Mäckler *merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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