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Weniger Abschiebungen als 2016 - Deutschland am EU-Pranger?

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Zündstoff-Thema: Im Mai geht die Polizei in Nürnberg gegen Schüler vor, die die Abschiebung eines 20-Jährigen in sein Herkunftsland Afghanistan verhindern wollen.
Zündstoff-Thema: Im Mai geht die Polizei in Nürnberg gegen Schüler vor, die die Abschiebung eines 20-Jährigen in sein Herkunftsland Afghanistan verhindern wollen. © dpa

Wer in Deutschland kein Bleiberecht hat, wird abgeschoben – theoretisch. Die bisherige Bilanz fällt anders aus. Das liegt an verschiedenen Linien der Landesregierungen, aber auch an der schwierigen Umsetzung.

München – Der Appell kommt aus Brüssel. „Es ist nicht akzeptabel, dass diejenigen, die kein Bleiberecht in der EU haben, irregulär oder heimlich in den Mitgliedsländern bleiben“, sagte Dimitris Avramopoulos der „Welt“. Was der EU-Kommissar den Mitgliedsstaaten zuruft, heißt nichts anderes als: Schiebt endlich konsequent ab! Wie die Zeitung unter Berufung auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex schreibt, wurden 2016 mehr als 40 Prozent der 305 000 Ausreiseentscheidungen nicht umgesetzt.

Allein in Deutschland waren zum 30. Juni laut Bundesinnenministerium 226.000 Personen ausreisepflichtig, knapp 160.000 von ihnen hatten eine Duldung. Ein Geduldeter ist zwar prinzipiell ausreisepflichtig, wird aber nicht abgeschoben, etwa wegen des Schutzes von Ehe und Familie, aus medizinischen Gründen oder wegen fehlender Dokumente.

Im ersten Halbjahr 2017 wurden rund 12.500 Personen aus Deutschland abgeschoben, neun Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Und anhand der Zahlen für die einzelnen Bundesländer lassen sich deutliche Unterschiede bei der Konsequenz feststellen. Zwar fanden die meisten Abschiebungen aus Nordrhein-Westfalen (rund 3100) statt, dort leben aber auch die deutlich meisten Ausreisepflichtigen (72.000/ davon 50.000 mit Duldung). Das entspricht einer Abschiebequote von nur 4,4 Prozent. 

In Bayern kommen demnach knapp 1600 Abschiebungen im ersten Halbjahr auf rund 21.000 Ausreisepflichtige (12.000 mit Duldung). Die Quote liegt bei 7,4 Prozent. Am effektivsten zeigt sich in dieser Hinsicht Mecklenburg-Vorpommern. Dort kommen knapp 300 Abschiebungen auf knapp 3400 Ausreisepflichtige – das ergibt eine Quote von 8,8 Prozent.

Wo ist das Problem? 

Die allgemein geringen Zahlen hängen jedoch nicht allein am politischen Willen der jeweiligen Landesregierung. Die Umsetzung ist oft schwierig. In Bayern kommen die meisten Ausreisepflichtigen aus Afghanistan (knapp 2500), es folgen Nigeria (knapp 2000), Irak (rund 1800), Pakistan (1150) und Russland (1000). Busse scheiden als Transportmittel aus.

Wer kümmert sich um die Abschiebeflüge?

Um die Organisation von Abschiebeflügen kümmert sich in Bayern die „Polizei-Inspektion Schubwesen“. Die Beamten arbeiten dabei mit den Ausländerbehörden zusammen. Die Bundespolizei und die Landespolizeien leisten Amtshilfe – etwa wenn auf dem Flug eine Sicherheitsbegleitung notwendig wird. 

Bei 5456 Abschiebungen auf dem Luftweg war das im ersten Halbjahr 2017 der Fall, 4464 wurden unbegleitet vollzogen, 388 mit Sicherheitskräften der Zielstaaten. Allein die Sicherheitsbegleitungen kosteten den Bund fast 2,5 Millionen Euro. 

Trotzdem scheiterten 186 Abschiebungen auf dem Luftweg wegen Widerstands eines Ausreisepflichtigen, 61 weitere wegen medizinischer Gründe, 113 fanden nicht statt, weil sich Pilot oder Fluggesellschaft weigerten, die Personen zu transportieren. In 27 Fällen verweigerten die Zielstaaten die Aufnahme.

Darum sind Direktflüge notwendig

Und selbst wenn alles glattgeht, ist der Aufwand groß. Da deutsche Beamte im Ausland keine Hoheitsrechte haben, ist das Umsteigen in anderen Staaten problematisch. Deshalb werden bevorzugt Direktflüge gebucht. Die aber starten nicht von jedem Flughafen aus. Polizisten sind deshalb oft ganze Tage damit beschäftigt, einzelne Abschiebehäftlinge durch Deutschland zu fahren.

Von Sebastian Horsch

Deutschland kann Gefährder abschieben

Deutschland kann einen 18-jährigen islamistischen Gefährder nun doch aus Bremen nach Russland abschieben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hob seinen vorläufigen Stopp der Abschiebung auf. Dem russischen Staatsbürger, der in Dagestan geboren wurde und in Deutschland aufgewachsen ist, wird ein Terroranschlag zugetraut. Die deutschen Behörden wollen ihn deshalb abschieben. Ende Juli hatte der Menschenrechtsgerichtshof dies vorläufig verhindert. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob die Abschiebung mit der Menschenrechtskonvention vereinbar ist, steht weiter aus. Der 18-Jährige ist der Ansicht, dass ihm in seinem Geburtsland Folter, Überwachung oder Verhaftung drohen würden.

dpa

Talk bei Maischberger zeigt: So absurd ist die deutsche Abschiebepraxis

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