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Messner über das Matterhorn: "Das Ende der alpinen Unschuld"

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Reinhold Messner im tz-Interview. © picture alliance / dpa

München - Die tz spricht mit Bergsteigerlegende Reinhold Messner (70) über das Matterhorn und seine Sicht auf die Tragödie bei der Erstbesteigung.

Herr Messner, Sie haben Berge auf der ganzen Welt bestiegen. Ist das Matterhorn der formschönste Berg der Welt?

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Das Matterhorn - für Messner nicht der schönste Berg. © dpa

Messner: Der K2 im Karakorum, der zweithöchste Berg der Welt, kommt dem Ideal der perfekten Pyramide viel näher. Aber für mich ist der schönste Berg eindeutig der Machapucharé, ein knapper Siebentausender im Himalaja. Das Matterhorn hat ja einen etwas sonderbaren Aufbau und ist eine, wenn man so will, gedrehte Pyramide. Diese unverwechselbare Form hat das Matterhorn unter anderem so berühmt gemacht. Interessant ist, dass man seit der Erforschung der Kontinentalverschiebung weiß, dass die obere Hälfte des Matterhorns afrikanischen Ursprungs ist. Das Flair, der Mythos des Matterhorns begründet sich auch weniger auf der Form, sondern hauptsächlich auf der tragischen Geschichte der Erstbesteigung im Jahr 1865. Dem Drama rund um diese Besteigung verdankt die Schweiz, wenn man so will, ihr Wahrzeichen.

150 Jahre nach der Erstbesteigung widmen Sie sich in Ihrem neuen Buch „Absturz des Himmels“ genau diesem Thema. Whymper und der Italiener Jean-Antoine Carrel liefern sich ein Rennen um die Erstbesteigung, welches Whymper für sich entscheidet. Im Abstieg verunglücken jedoch vier Mitglieder. Seither kursierten wilde Verschwörungstheorien über Unfallhergang und Schuld. Ist das Seil nun gerissen, oder wurde es zerschnitten?

Messner: Der Seilschnitt ist natürlich Quatsch. Diese Theorie war damals ganz klar die Erfindung eines österreichischen Journalisten von der Neuen Freien Presse. Er wollte möglichst viel Aufmerksamkeit mit seinem Artikel erzeugen und unterstellte Whymper ursprünglich, das Seil durchschnitten zu haben. Der Journalist war gelinde gesagt ein Trottel, der vom Bergsteigen keine Ahnung hatte. Sein Artikel löste wildeste Verschwörungstheorien aus. Das Seil ist hundertprozentig gerissen und wurde nicht durchschnitten. Whymper ließ diesen Vorwurf seinerzeit natürlich nicht auf sich sitzen und machte schließlich Bergführer Peter Taugwalder sr. für das Unglück verantwortlich. Das war Rufmord und hat das Leben Taugwalders zerstört. Niemand hat Schuld an dieser Tragödie.

Bei der Erstbesteigung kam es zu einem Wettlauf in den Bergen.

Messner: Mit der Erstbesteigung des Matterhorns hat der Alpinismus seine Unschuld verloren. Bis dahin war das Bergsteigen ein von außen unbeobachtetes Tun, eine eher wissenschaftliche Angelegenheit, die nicht dem Selbstzweck diente. Man ging auf Berge, um zu forschen. 1865 am Matterhorn tauchen erstmals persönliche Rivalitäten zwischen Bergsteigern auf.

Heute ist das Matterhorn einer der meistbestiegenen Berge.

Messner: Unmittelbar nach der Erstbesteigung hat man das Matterhorn für Massenaufstiege vorbereitet. Es wurden Hütten am Berg gebaut, man hat Fixseile montiert, um das Matterhorn als touristische Attraktion zu erschließen. Gäbe es keine Hütte, keine Fixseile, würden auch heute nur wenige Menschen ohne Bergführer auf dem Gipfel stehen.

Aus welcher Perspektive ist das Matterhorn Ihrer Ansicht nach am schönsten?

Messner: (Lacht) Für mich ist das Matterhorn am schönsten, wenn ich ihm mit großem Respektabstand begegne, also wenn ich von einem gegenüberliegenden Gipfel auf das Matterhorn schaue. Je näher man diesem Berg kommt, umso unattraktiver wird er. Das Matterhorn ist ein stinkender Schutthaufen.

Das ist nicht Ihr Ernst.

Messner: Natürlich. Steigen Sie einmal über den Hörnligrat aufs Matterhorn. Es ist brüchig, steinschlaggefährdet, und es stinkt. Kurzum: Es erwartet Sie keine schöne Kletterei. Dort, wo es steil ist, hängen Seile, sie riechen den Angstschweiß der Menschen im Gänsemarsch vor Ihnen. Und es stinkt tatsächlich nach Urin. Ich kritisiere das nicht, stelle es nur fest. So ist das nun mal, wenn Menschenmassen unterwegs sind.

Wie schön war Ihr erstes Mal?

Messner: 1966 war ich mit ein paar Freunden im Winter in die Nordwand eingestiegen. Wir wollten die Route, die Walter Bonatti ein Jahr zuvor im Alleingang im Winter eröffnet hatte, wiederholen. Die klettertechnischen Schwierigkeiten hatten wir bereits hinter uns. Aber es schneite stark und wurde irgendwann richtig ungemütlich. Von oben kamen ständig kleine Schneerutsche herunter. Wir mussten abbrechen und während der Nacht abseilen. Am Ende der Aktion hatten wir noch einen einzigen Haken übrig. Das war eine ziemlich aufregende Geschichte. Mein erstes Mal war also kein Erfolg, aber ein großes Abenteuer.

Heute ist das Matterhorn das beliebteste Bergmotiv der Welt. Zermatt vermeldet zwei Millionen Übernachtungen pro Jahr. Ist die Region zu einem Matterhorn-Jahrmarkt verkommen?

Messner: Nein, gar nicht. Zermatt ist zwar touristisch, auch mit Seilbahnen für den Winterfremdenverkehr, gut erschlossen, aber nach wie vor ein sehr schönes Bergdorf. Zermatt war früher ein kleiner, armer Ort. Heute ist Zermatt ein Glanzpunkt des Tourismus in den Alpen, das sich einen Großteil seiner Ursprünglichkeit bewahrt hat. Man findet, vor allem in den Nebengassen, bestens erhaltende traditionelle Architektur vor. Zermatt ist autofrei. Es gibt nur ein paar wenige Elektrofahrzeuge. Das ist fantastisch. Ich habe großen Respekt vor der Zermattern, die ihr „Horo“, so nennen sie das Horn, als Wahrzeichen vermarkten, dabei aber originale Kultur und Architektur bewahrt und erhalten haben.

Die Hörnlihütte am Fuß des gleichnamigen Grats wurde verkleinert, um den Ansturm auf den Berg zu kanalisieren.Die Hörnlihütte wurde von 180 auf 120 Schlafplätze verkleinert. Wer keinen Bergführer hat, wird dort nicht mehr übernachten können. Ist das gut?

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Die Hörnlihütte am Fuß des gleichnamigen Grats wurde verkleinert, um den Ansturm auf den Berg zu kanalisieren. © picture-alliance/ dpa

Messner: Das ist auf jeden Fall einzigartig, eine sehr clevere Entscheidung. Da auch das Zelten vor der Hütte verboten ist, wird der Strom der Gipfelanwärter auf jeden Fall kanalisiert. Private Leute, die nachweislich die meisten Unfälle am Matterhorn verursacht haben, werden kaum noch ein Bett ergattern, weil in erster Linie Bergführer und ihre Gäste aus aller Welt diese Plätze besetzen. Am Matterhorn wird es durch diese Maßnahme weniger Tote geben. Das ist sehr positiv. Und die Bergführer haben die nächsten 100 Jahre genug Arbeit.

Muss man beliebte Berge reglementieren?

Messner: Man muss gar nichts. Aber die Schweizer haben sich zu diesem Schritt entschieden. Es gibt noch andere Berge, die zur Touristenattraktion verkommen sind: Mont Blanc, Aconcagua, Mount McKinley, Kilimandscharo, Everest. In neun Tagen wird mein neuestes Museum, es widmet sich dem traditionellen Bergsteigen, eröffnet. Es beginnt mit dem Satz: „Wo beginnt Alpinismus, wenn der Tourismus den Gipfel des Everest erreicht hat?“ Das ist meine kritische Haltung zu diesem Thema. Wenn der Everest zum Ziel von Massentourismus geworden ist, sodass ganz normale Touristen – eine gewisse Grundkondition vorausgesetzt – zum Gipfel geführt, getragen, geschoben und gezogen werden können, dann ist der Alpinismus in Bedrängnis. Der Alpinist von heute muss sich in unbekannte Landschaften begeben, um traditionellen Alpinismus überhaupt noch betreiben zu können. Die berühmten Berge sind längst alle touristisch aufgeschlüsselt.

tz 

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