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Sechzigs Anspruch? „Träumerei“ – Aue-Coach Dotchev vor dem Duell über die Löwen

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Von: Jacob Alschner

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Pavel Dotchev geht hart mit dem TSV 1860 ins Gericht.
Pavel Dotchev geht hart mit dem TSV 1860 ins Gericht. © Imago/Gabor Krieg

Über 300 Spiele stand Pavel Dotchev in der 3. Liga an der Seitenlinie. Er kennt die Liga wie kein Zweiter. Vor dem Duell mit 1860 fordert der 57-Jährige im tz-Interview: Die 3. Liga muss professionalisiert werden.

Herr Dotchev, seit Januar gab es für Ihren FC Erzgebirge sieben Siege in zehn Spielen. Ist Ihre Mannschaft nun endgültig wieder in der 3. Liga angekommen?

Dotchev: Ja, auf jeden Fall. Wir haben bisher eine sehr, sehr gute Rückrunde gespielt. Dennoch haben wir noch nichts erreicht. Unsere klare Aufgabe ist nach wie vor der Klassenerhalt. Wir wollen weiter demütig bleiben und weitermachen.

Trotzdem ist auffällig, dass es exakt seit Ihrem Wiedereinstieg als Trainer in Aue wieder läuft. Welches Wundermittel haben Sie der Mannschaft gegeben?

Dotchev: Ich brauchte gar keines, das ist das interessante. Ich habe ganz simple Dinge verändert: Ich lasse Jonjic jetzt im Sturm spielen, lasse mehr in die Tiefe spielen und habe das 4-2-3-1 als festes System etabliert. Ich setze auf Automatismen statt auf Experimente. Es brauchte klare Linien und positive Stimmung in einer Mannschaft, die in der ganzen Hinrunde verbal nur auf die Fresse bekommen hatte.

Womit motiviert man eine Mannschaft, die nach sechs Jahren zweiter Liga im freien Fall Richtung Regionalliga zu sein scheint? Der direkte Wiederaufstieg kann nicht das Ziel gewesen sein…

Dotchev: Das ist richtig. Wenn man als Ex-Zweitligist nach 17 Spielen auf Platz 18 liegt, kann man nichts schönreden. Ich habe die Mannschaft daran erinnert, dass keiner der Spieler das verdient hat. Aber auch daran, dass, wenn sich an der Tabelle etwas ändern sollte, die Mannschaft allein dafür verantwortlich ist. Vertrauen war wichtig. Als ich die Mannschaft übernommen habe, habe ich nicht fünf neue Spieler gefordert, sondern dem Team das klare Signal gegeben: ‚Leute, ich glaube an euch.‘ Der Punkt ist: Ich brauche Soldaten, die ich auf meiner Seite habe.

Warum tat sich der FC Erzgebirge zu Anfang der Saison so schwer?

Dotchev: Selbstbild und Realität klafften hier in Aue total auseinander. Aue hat die Liga unter- und sich selbst überschätzt. Es kommt vor, dass man als Absteiger denkt, dass alles von allein läuft. Dabei besteht zwischen den Ligen sportlich so gut wie kein Unterschied. Natürlich hast du in der 2. Bundesliga Spitzenteams, die auf einem viel höheren Niveau spielen. Aber ansonsten sind sich die Ligen recht ähnlich.

Ein Jahr zuvor waren sie schon mal nach Aue zurückgekehrt, damals als Sportdirektor des Zweitligisten. Macht die Arbeit in der 2. Bundesliga mehr Spaß?

Dotchev: Nein. In beiden Ligen wird Fußball gespielt und der macht mir überall Spaß – auch in unteren Klassen. Aber natürlich ist die zweite Liga in der öffentlichen Wahrnehmung präsenter, man hat größere Klubs wie den Hamburger SV, St. Pauli und wie sie alle heißen. Das sind andere Dimensionen, man hat in der 2. Bundesliga mehr Präsenz, mehr Fernsehgelder. Im Vergleich dazu ist die 3. Liga eine undankbare Spielklasse.

Das müssen Sie erklären.

Dotchev: Wir haben in der 3. Liga 20 Mannschaften, zwei Spieltage mehr, müssen dazu noch Pokalspiele auf Landesebene absolvieren. Gleichzeitig spielst du aber bundesweit, hast somit insgesamt also mehr Aufwand als die Zweitligisten. Die haben nämlich nur 18 Mannschaften und keine Landespokale. Das ist viel entspannter als bei uns eine Klasse drunter. Dazu kommt, dass die Zweitligisten ein Vielfaches an Millionen Euro aus dem TV-Pool kassieren.

Beim DFB wird immerhin die Absicht geäußert, die 3. Liga zu professionalisieren. Sehen sie die Liga auf einem guten Weg?

Dotchev: Ja, sie wird von Jahr zu Jahr stärker. Der Grundgedanke des DFB, mit der 3. Liga eine Übergangsliga vom Amateur- in den Profibereich zu betreiben, ist ja ein guter. Junge Spieler können sich hier gut entwickeln. Die 3. Liga ist die beste dritte Liga der Welt. Deshalb sollten wir hier auch mit dem Videobeweis arbeiten können. Die 3. Liga muss sportlich weiter professionalisiert werden. Aber vor allem ist der Druck in dieser Liga einfach brutal groß. Wenige Vereine können den Spagat zwischen hohem Aufwand und geringer finanzieller Unterstützung aushalten. So einfach ist das. Dazu kommt, dass viele Sponsoren krisenbedingt abspringen. Das überträgt sich automatisch auf die Vereine, die gehen daran teilweise kaputt.

Wie ließe sich das verhindern?

Dotchev: Die 3. Liga sollte finanziell stärker unterstützt werden. Der DFB ist der größte Verband auf der ganzen Welt, da muss doch genug Geld vorhanden sein. Man sollte sich beim DFB Gedanken machen. Das wäre wichtig. Ganz ehrlich: Ich hätte auch kein Problem damit, die 3. Liga auch der DFL unterzuordnen. Im Gegenteil, das würde ich sehr begrüßen!

Ist Ihre Arbeit, Herr Dotchev, im Erzgebirge leichter geworden, seitdem Helge Leonhardt nicht mehr Vereins-Präsident ist? Der mischte sich ja regelmäßig ins Sportliche ein.

Dotchev: Der Verein ist jetzt ganz anders strukturiert. Das war ein Grund, warum ich überhaupt zurückkommen wollte. Die Leute, mit denen ich gewisse negative Erfahrungen gemacht habe, sind nicht mehr da. Wissen Sie, die guten Vereine – auch in der Bundesliga – sind die Vereine, von denen man nicht weiß, wie ihre Präsidenten überhaupt heißen. Von Aue wusste das jeder. Beim SC Freiburg aber, nur als Beispiel, weiß niemand, wer da Präsident ist.

Auch bei den Löwen gibt es immer wieder Unruhe. 1860 müht sich seit Jahren ab, selbst mit einem Mega-Kader wie in dieser Saison ist der Aufstieg wohl passé. Immerhin der Name des Investors Hasan Ismaik ist in ganz Fußballdeutschland bekannt.

Dotchev: (lacht) Ich möchte mich ungern zu 1860 äußern, dazu kenne ich den Klub zu wenig. Aber allgemein, sind eben viele Vereine in der 3. Liga gezwungen, diese Wege wie 1860 oder Aue zu gehen. Viele unserer Konkurrenten sind nervös, weil sie raus wollen aus dieser 3. Liga, weil die 2. Bundesliga viel attraktiver ist. Du hast nicht die Zeit, nachhaltig zu arbeiten und Strukturen zu schaffen, wie zum Beispiel der SC Freiburg II. Der SCF kann nicht aufsteigen und hat somit auch keinen Druck. Wenn sie ihn aber haben, machen viele Vereine den Fehler, teure Spieler einzukaufen und auf deren Können zu setzen. Das funktioniert nicht. Wenn dann das Umfeld unruhig wird und sich dann auch noch die Vereinsführung mit einschaltet, dann bricht das ganze System zusammen. Dass Elversberg die Liga seit Monaten anführt, liegt daran, dass sie als Aufsteiger von außen de facto keine Erwartung, keinen Druck haben.

Bei 1860 haben viele noch immer die Erwartung, dass der Klub in die 2. Liga gehört – mindestens. Lässt sich dieser Anspruch sechs Jahre nach dem Abstieg aus der 2. Liga noch rechtfertigen?

Dotchev: Nein, das ist Träumerei. Viele Vereine begehen diesen Fehler, mein Ex-Verein, der MSV Duisburg, auch. Fußball ist Tagesgeschäft, da kannst du nicht davon träumen, wie schön alles einmal war. Ich glaube, das ist bei 1860 auch das Problem. Man träumt von früher.

Immerhin hat Sechzig im Sommer aufgerüstet, viele neue Spieler geholt…

Dotchev: Aber das reicht nicht. Einen Aufstieg kann man nicht kaufen. Natürlich braucht man Geld, aber man braucht auch gute Arbeit.

Kaum ein Absteiger aus der 2. BL schafft den direkten Wiederaufstieg. Warum ist das so?

Dotchev: Wieder liegt es vor allem am Druck. Wir haben das 2015/16 mit Aue geschafft, direkt wieder aufzusteigen. Damals war ich Trainer und habe auf junge, unverbrauchte und unbekannte Spieler gesetzt, die wir von unterklassigen Mannschaften geholt haben. Die kannte vorher niemand, deshalb hat auch niemand etwas von ihnen erwartet. Wir hatten also auch hier keinen Druck. Aber für die Spieler war es eine Riesenchance, sich zu beweisen und das führte dazu, dass wir eine gute Saison gespielt haben und am Ende aufgestiegen sind.

Wenn Sie am Samstag gewinnen, können Sie die Löwen in der Tabelle überhohlen. Hätten Sie das noch in der Winterpause für möglich gehalten?

Dotchev: Nein! Ich habe bei Viktoria Köln und in Duisburg schon Abstiegskampf-Erfahrung gesammelt und weiß, wie schwer das eigentlich ist. Deswegen hätte ich diesen Winter im Leben nicht an 1860 gedacht. Aber am Samstag wird sowieso viel von der Tagesform abhängen. Auch dieses Spiel will erst einmal gespielt werden. 

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