Wacker: „Internationalisierung ist alternativlos“

München - Jörg Wacker ist beim FC Bayern für die Internationalisierung zuständig. Im Interview spricht er über neue Märkte, bayerische Wurzeln - und Baseball-Coups mit Philipp Lahm.
Der FC Bayern ist längst eine global operierende Marke. Heute hebt der deutsche Meister nach Katar ab, in den USA hat er Fuß gefasst, China sowie Zentralamerika sind im Fokus. Im Interview erläutert Jörg Wacker (49), seit über drei Jahren im Vorstand für die Internationalisierung zuständig, warum diese Sparte so alternativlos ist.
Herr Wacker, haben Sie parat, in wie viele Länder weltweit der Gipfel zwischen dem FC Bayern und Leipzig zum Ausklang 2016 übertragen wurde?
Jörg Wacker: Meines Wissens in 210. Solche Topspiele werden auf der ganzen Welt verfolgt. Sie sind extrem wichtig für die Stärkung unserer Marke. Dass wir dann auch noch so gut gespielt und gewonnen haben, ist natürlich umso schöner . . .
. . . dann hüpft das Herz des Strategen des FC Bayern für die Internationalisierung noch einen Tick höher.
In der Tat. Aber so ein Spitzenspiel, das ja fraglos ein tolles Niveau hatte, ist für die ganze Bundesliga gut. Es transportiert in jeden Winkel der Welt, dass der deutsche Fußball attraktiv ist. Der FC Bayern als siegreicher Platzhirsch, Leipzig als spannender Neuling – eine bessere Werbung für die Bundesliga konnte es nicht geben.
Der FC Bayern ist die Lokomotive in der Frage der Internationalisierung. Wächst die Waggon-Zahl?
Ja, stetig. Inzwischen haben viele Vereine erkannt, dass Internationalisierung alternativlos ist. Es reicht nicht, wenn nur Bayern München und Borussia Dortmund das machen. Alle müssen Transporteure des deutschen Fußballs sein. Man sieht, wie sich die Klubs immer mehr mit dieser Thematik beschäftigen. Auch kleinere Vereine wie der SC Freiburg. Und immer mehr gehen auf Tour: Dortmund war in Asien, der VfB Stuttgart in Südafrika, Leverkusen fliegt im Winter nach Florida, der HSV nach Dubai, Frankfurt nach Abu Dhabi – das alles freut auch mich.
„Der deutsche Fußball hat Nachholbedarf“
Laut DFL-Chef Christian Seifert ist die Internationalisierung eine Chance für jeden. Aber bringt es wirklich etwas, wenn das kleine Mainz durch die USA tourt?
Ganz klar: Ja! Mit Ausrufezeichen! Man darf da nicht sofort ans Monetäre denken. Sehen Sie: Der deutsche Fußball hat in dieser Frage Nachholbedarf. Vor allem die Premier League, aber auch die spanische Liga sind bereits international bekannte Marken und positionieren sich seit Jahrzehnten. Da müssen wir gehörig aufholen, und das geht nur gemeinsam. Im ersten Schritt müssen wir alle miteinander das Produkt Bundesliga in die Welt tragen und Reichweiten gewinnen. Erst im zweiten Schritt geht es darum, zu monetarisieren. Auf Sicht profitieren dann aber alle deutschen Klubs davon.
Tatsächlich ist Stockport City in China bis heute ein Begriff, obwohl der Klub längst fünfte Liga spielt.
Ja, und wir haben das auf unseren Reisen in die USA und nach China auch erlebt: Milan, Inter Mailand – die haben in den letzten zehn Jahren international wenig bewegt, sind aber weiter ungeheuer starke Marken dort. Weil sie schon vor 20 Jahren nach Asien gereist sind und auf die Internationalisierung gesetzt haben.
Sie sagten einmal, Internationalisierung sei ein Marathonlauf. Wie weit ist der FC Bayern aktuell?
Markenaufbau und Markenpositionierung ist ein nachhaltiger Prozess, den man auch nach fünf Jahren, wenn man etwas erreicht hat, nicht einfach stoppen sollte. Das ist im Grunde ein ewiger Marathon.
Für einen Marathon braucht man viel Atem.
Und den haben wir. Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß wissen, dass das essenziell ist, um wettbewerbsfähig zu sein. Wenn Sie sich heute nicht international positionieren und aktiv sind, sind Sie eventuell schon morgen nicht mehr in der Lage, auf Top-Niveau mitzuhalten.
„Wir wollen uns in Richtung Mittel- und Südamerika bewegen“
Der FC Bayern bekommt für seine Internationalisierungs-Strategie Experten-Lob, weil er sich auf zwei Fokusmärkte konzentriert: USA und China. Schielen Sie dennoch bereits auf neue Märkte?
Wir hatten das zuvor sehr detailliert analysiert und haben im Vorstand entschieden, dass wir uns im ersten Schritt auf diese beiden Märkte konzentrieren. Ich halte nichts vom Gießkannenprinzip. Wenn wir etwas machen, dann wollen wir es richtig machen – typisch deutsch eben . . .
. . . ist das etwas, was ankommt: typisch deutsch?
Ja, gerade in der heutigen Zeit, in der die Menschen sehr auf Verlässlichkeit, Nachhaltigkeit, Geradlinigkeit und Qualität setzen. Vor über zwei Jahren haben wir unser Büro in den USA eröffnet, und als wir jetzt im Sommer unsere Tour gemacht haben, konnte man erkennen, wie all das wirkt, was wir in dieser Zeit aufgebaut haben. Wir hatten zu Beginn neun Fanklubs in den USA. Heute sind es 109. Wir haben mehrere Medienkooperationen abgeschlossen und ein sogenanntes Grassroots-Programm umgesetzt. Wir sind nicht in den Markt gegangen und haben gesagt: „Jetzt versuchen wir, schnell Geld zu verdienen.“ Nein, unser Plan war: Wir investieren nachhaltig in unsere Marke – und setzen uns zudem mit der jeweiligen Gesellschaft vor Ort auseinander.
Beim Spiel in Charlotte gegen Inter war das ganze Stadion FC-Bayern-Rot.
Das war eines meiner Highlights. 55 000 Zuschauer gegen Inter Mailand – und 90 Prozent in Bayern-Rot. Das war Gänsehaut-Feeling. Wir sehen also, unser Weg zahlt sich aus. Und jetzt komme ich zu Ihrer Frage mit den zwei Fokusmärkten zurück: Vor zehn Wochen haben wir unser Büro in Shanghai eröffnet, wir wollen dort wie in den USA langsam Fuß fassen. In den USA können wir nach fast drei Jahren jetzt den nächsten Schritt setzen. Wir wollen uns von dort aus in Richtung Mittel- und Südamerika bewegen und uns dort auf Sicht in Position bringen.
„Marke soll 365 Tage im Jahr sichtbar sein“
Das hat Priorität vor dem asiatischen Raum?
Im asiatischen Raum sind wir noch nicht so weit. Da versuchen wir erst einmal, uns in China zu etablieren. Natürlich hat man Südostasien immer im Blick. Aber lassen Sie uns jetzt erst einmal den chinesischen Markt gut aufbereiten.
Um nachhaltige Internationalisierung zu erreichen, muss man vor Ort sein, mal die Traditionsmannschaft, die Junioren, das Frauen-Team vorbeischicken, Büros eröffnen, landesspezifische Contents entwickeln – das alles macht der FC Bayern bereits. Welche Wege gibt es noch?
Wir wollten ein Grundrauschen erzeugen, damit unsere Marke 365 Tage im Jahr sichtbar ist – das ist uns gut gelungen. Darauf aufbauend organisieren wir einzelne Highlights und Events. Unsere Fußball-Frauen waren schon im Trainingslager in Florida, und unsere Basketballer überlegen, ob sie in den USA auf Tour gehen. Auch das Thema Fußballschulen hat enormes Potenzial. In China haben wir erst kürzlich eine Partnerschaft mit dem Ökopark Quingdao geschlossen, dort werden in einem Nachwuchszentrum Trainer und Spieler ausgebildet. Und wir überlegen schon jetzt, weitere Standorte hinzuzufügen.
Sie sagten gerade, Sie setzen sich auch mit den Gesellschaften der Länder auseinander. Wie geht ein Fußball-Verein dabei vor?
Immer mit den Mitteln eines Fußball-Vereins. In China haben wir zum Beispiel an der Tongji-Universität in Shanghai ein Stipendium eingerichtet. Die Tongji-Universität wurde von Deutschen gegründet und hat bis heute eine deutsche Tradition. Es gibt dort viele Studenten, die Deutsch sprechen und sich für Deutschland interessieren. Das gibt uns die Chance, die Sprachbarriere zu überwinden und uns mit unseren Werten den Stipendiaten und der Universität zu präsentieren. Das Bayern-München-Stipendium an der Tongji ist ein kleines, aber schönes Projekt, das auch für den Dialog steht, der uns wichtig ist. Die ersten drei Stipendiaten wurden jetzt in diesem Dezember ausgewählt. Ganz allgemein schätzt man es in China, wenn man Bildung anbietet. Wir versprechen uns viel davon in der Vernetzung mit unserem Büro und unserer Tour, und auch, dass man sich auf kultureller Basis mit solchen Projekten näherkommt.
Lahm als Glücksbringer für die Chicago Cubs
Unternehmen andere ähnliche Anstrengungen?
Der FC Barcelona hat gerade eine Kooperation mit einer Pekinger Universität angekündigt. Da sind wir Vorreiter. Barca hat jetzt auch in New York ein Büro eröffnet – drei Jahre nach uns. Manchester United war auf dem Sektor Office-Gründung Pionier, mit einem Büro in Hongkong. Aber ManU hat dort ein reines Verkaufsteam aufgebaut. Das ist allerdings nicht unser Weg. Unser Team vor Ort versucht, mit der Gesellschaft in Kontakt zu treten, um zu spüren, was die Menschen bewegt. Und natürlich fungiert unser Team als direkter Ansprechpartner für unsere Fans. Dieses Modell wird schon jetzt von dem einen oder anderen Verein kopiert und zeigt, dass wir mit unserem Konzept nicht so falsch liegen.
Plakativ ist auch, Philipp Lahm und Thomas Müller in China beim Tischtennis zu zeigen. Oder Philipp Lahm in den USA zum Baseball zu schicken. Ist das reine Show – oder sind das echte Hits?
Natürlich geht es darum, Aufmerksamkeit zu erzielen. Wenn wir mit unseren Stars vor Ort sind, suchen wir solche Möglichkeiten. Nachdem Philipp in Chicago beim Match der Cubs gegen die White Sox den First Pitch geworfen hatte, stand mein Handy nicht mehr still – sämtliche Bekannte aus den USA riefen an und sagten: „Ich habe euren Spieler gesehen!“ Das sind diese Dinge, die wir über unsere Büros vor Ort im Vorfeld organisieren.
Jetzt haben die Cubs auch noch erstmals seit 100 Jahren die Liga gewonnen.
Ja, Philipp hat da gleich mit einem Foto von seiner Aktion auf Twitter gratuliert. Ich denke, er muss jetzt jedes Jahr als Glücksbringer den Auftakt-Wurf machen (grinst).
Manchester United beschäftigt über 30 Leute für die Internationalisierung. Und der FC Bayern?
Als ich vor dreieinhalb Jahren hier angefangen habe, waren wir zu dritt. Jetzt haben wir allein im Büro in New York sieben Beschäftigte. Ähnlich sieht es in Shanghai aus. Und hier in München sind wir auch nicht mehr nur zu dritt (lacht). Wir haben ein Team aufgebaut, und wir sehen auch schon jetzt erste monetäre Erfolge.
Gutes Stichwort, denn letztlich geht es ums Geld. Karl-Heinz Rummenigge hat gefordert, die Einnahmen in den USA und Asien in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln.
Ich denke, wir sind hier auf einem sehr guten Weg. Es geht im Übrigen nicht immer darum, neue Partner im Ausland zu gewinnen, sondern unseren bestehenden Partnern mehr zu bieten – etwa mit einer hohen globalen Reichweite auf unseren digitalen Kanälen. Je stärker die Marke FC Bayern weltweit ist, desto mehr sind unsere Partner bereit, dafür zu bezahlen. Und je stärker die Marke FC Bayern, desto höher sind unsere Merchandising-Erlöse und desto höher sind auch internationale TV-Einnahmen.
Kritik an Testspiel in Arabien: „Wir sind in erster Linie ein Fußballklub“
Internationalisierung kann in dieser komplexen Welt heikel sein. Was macht der FC Bayern, dass er nicht wieder in eine Situation gerät wie vor zwei Jahren, als er wegen eines Testspiels in Saudi-Arabien schwer in die Kritik kam?
Sie treffen in dieser globalen Welt auf unterschiedliche Märkte, Länder und Kulturen. Da ist auch der FC Bayern in einer Lernphase. Wir haben uns da personell verstärkt und sind sensibler geworden. In Charlotte gab es ein Gender-Thema, das zu einem Konflikt wurde in den USA. Da haben wir lange vor unserer US-Tour Kontakt auch mit der Politik aufgenommen, um voll informiert zu sein. Das entscheidende Wort ist: Sensibilität. Man muss sensibel vorgehen. Wir haben gewisse Themen früher auf dem Radar, tauschen uns mit Experten aus und nähern uns jeder einzelnen Kultur verantwortungsvoll. Der Sport ist ein Vertreter der Gesellschaft – aber er hat auch nicht die Aufgaben der Politik zu lösen. Wir sind in erster Linie ein Fußballklub. Das Schöne am Fußball ist ja, dass ihn jeder spielen kann, egal, welcher Religion er folgt, welche Hautfarbe er hat, ob arm oder reich, Mann oder Frau. Fußball spiegelt demokratische Werte: Jeder kann mitmachen, für alle gelten dieselben Regeln, jeder wird beteiligt. Und ich denke auch, dass der FC Bayern ein Beispiel für Integration ist. Wenn Sie nur mal sehen, wie lange die Stars aus dem Ausland in München bleiben – länger als bei den meisten anderen Top-Klubs.
Nun geht es ins Trainingslager nach Katar. Wie wichtig ist der arabische Markt, nicht zuletzt im Blick auf die WM 2022?
Es ist ein interessanter Markt, auf dem wir bisher noch nicht so aktiv sind. Unsere Analysen haben ergeben, dass es dort über 20 Millionen Sympathisanten für den FC Bayern gibt. Wissen Sie, in welchem Land wir die meisten Fans auf „Facebook“ haben?
In welchem?
Ägypten – ein Land mit vielen Bayern-Fans. Ich denke, es ist auch eine Verpflichtung, dass unser Team sich im arabischen Raum unseren Fans zeigt. Kulturell ist das aber auch für uns die wohl komplexeste Region. Die USA stehen uns da am nächsten, die Chinesen sind sehr pragmatisch. In der arabischen Welt ist es schwieriger. Da muss man sich sehr, sehr behutsam auf alles vorbereiten.
Wie sehr juckt der indische Markt? Eine halbe Milliarde Menschen unter 25 Jahren – klingt doch nach enormem Potenzial.
Wir sehen die Entwicklung. Aber: Ein Schritt nach dem anderen. Wir wollen einen guten Job machen. Deshalb haben wir ja bewusst im ersten Schritt zwei Fokusmärkte definiert.
„Wir haben gewisse Themen früher auf dem Radar“
Inwieweit setzt das Herz des Vorstands, der für die Internationalisierung zuständig ist, aus, wenn Julian Green verkauft wird?
Ich werde oft gefragt, ob es nicht super wäre, wenn der FC Bayern einen Chinesen kaufen würde. Und die Antwort ist die gleiche wie nun auf Ihre Frage: Der FC Bayern wird einen Spieler niemals aus Vermarktungsgesichtspunkten verpflichten, sondern immer aus sportlichen Gründen. Ein Spieler aus China, den USA oder Indien, der uns gleichzeitig noch sportlich weiterhilft, wäre aber natürlich ein Traum.
Vor drei Jahren haben Sie Pionierarbeit geleistet, und die Skeptiker sagten: Übersee-PR-Trips schlagen sich negativ im Sportlichen nieder. Diese Debatte ist verstummt. Heute diskutieren die Fans die Identitätsfrage. Der Vorwurf: Zu viel Peking statt Pasing, New York statt Neuaubing.
Der FC Bayern kommt aus München, aus Bayern, aus Deutschland. Das werden immer unsere Wurzeln bleiben. Gleichzeitig leben wir in einer globalen Welt. Der FC Bayern ist ein weltoffener Verein mit Fans in jeder Ecke dieser Erde, und wir sind sehr dankbar für diese Fans. Sie fiebern mit uns mit, sie stehen für unsere Werte – genau wie unsere Fans in unserer Heimat. Wir sind 49 Wochen im Jahr in Deutschland und Europa. Zehn Tage sind wir in Übersee auf Tour, dazu gehen wir noch ins Trainingslager nach Katar. Ich denke, wir sind hier nach wie vor sehr bayerisch – und sehr nahbar.
Kauft der FC Bayern auch deshalb nicht wie Manchester City einen Klub beispielsweise in New York, weil er seine Wurzeln kennt, und nicht allein das Geschäft der Antrieb ist?
Was Manchester City betrifft, müssen Sie Manchester City fragen. Wir sind der FC Bayern München. Uns gibt es genau einmal. Nur so können wir unsere Werte, unsere Kultur bewahren und pflegen. Andere Klubs haben andere Modelle.
Dennoch lautet das Fazit: Internationalisierung ist ein Muss, eine Notwendigkeit, um heutzutage als Top-Klub zu überleben?
Ganz sicher: Ein Muss.