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Matthäus verrät im Exklusiv-Interview: „Der beste Transfer, den die Bayern gemacht haben ...“

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Von: Hanna Raif

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Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus im Interview mit der tz.
Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus im Interview mit der tz. © dpa / Federico Gambarini

Im Interview mit der tz spricht Fußball-Experte Lothar Matthäus über den FC Bayern und die Zukunft des deutschen Fußballs.

Herr Matthäus, die Pause steht an. Wie hält man es als Experte: Zeit zum Durchschnaufen – oder Angst vor Langeweile?

Mir wird nie langweilig. Ich bin ja auch als Botschafter des deutschen Fußballs viel unterwegs, deshalb ist doch der eine oder andere Termin in den drei, vier Wochen Pause dabei. Und in den Tagen dazwischen ist es auch schön, wenn mal gar nichts ist.

Blicken wir zurück auf das Fußballjahr 2019. Was hat sich bei Ihnen besonders eingeprägt?

Die Aufholjagd des FC Bayern auf Borussia Dortmund. Wie die Mannschaft und der Trainer mit acht, neun Punkten Rückstand umgegangen sind – und dann souverän die Meisterschaft gewonnen haben. Das hing jetzt nicht mit einem Spiel, sondern der Gesamtleistung zusammen. Wie die Bayern das nach der sportlichen Talfahrt der Hinrunde und den vielen Diskussionen außerhalb des Platzes geregelt haben – das hat mir nachhaltig imponiert.

Matthäus über die Spannung in der Liga: „Es war schon langweilig“

Also freuen Sie sich 2020 auf die nächste Aufholjagd der Bayern?

Ich freue mich generell auf eine spannende Meisterschaft. Im letzten Jahr war es zwischen Bayern und Dortmund dramatisch, dieses Jahr sieht es so aus, dass die Meisterschaft bis zum 34. Spieltag von drei, vier Mannschaften spannend gemacht wird. Das ist gut für die Bundesliga, auch international. Da hat man oft von langweiliger Liga gesprochen. Nun ist es auch für mich schöner, die Bundesliga in fremden Ländern zu präsentieren. Bei uns ist Dramatik, bei uns ist Spannung, und zwar im Abstiegskampf und oben an der Spitze. Es war schon langweilig, als die Bayern immer an Weihnachten so gut wie als Meister feststanden. So macht es mehr Spaß, es ist viel emotionaler, für mich, den Zuschauer und die ganze Liga.

Glauben Sie an den Vierkampf bis zum Schluss?

Ich habe mich vor der Saison auf einen Dreikampf eingestellt. Aber jetzt, wo Gladbach aus der Europa League ausgeschieden ist, glaube ich an den Vierkampf. Sie sind nun die einzige Mannschaft, die sich auf einen Wettbewerb konzentrieren kann. Die anderen drei hatte ich von Anfang an auf dem Zettel, auch Leipzig. Viele haben nach dem Transfersommer nur von Dortmund und Bayern gesprochen, aber Leipzig hat sich jedes Jahr kontinuierlich verbessert, nun mit Julian Nagelsmann auch noch mal breiter aufgestellt.

Bei Bayern hat der Coutinho-Transfer imponiert.

Und wissen Sie was? Ich habe schon vor der Saison gesagt: Der beste Transfer, den die Bayern gemacht haben, ist der von Hansi Flick. Ich hatte ihn ja damals schon nach Salzburg mitgenommen als Co-Trainer, ich kenne ihn schon sehr lange. Mir hat immer imponiert, wie er gearbeitet hat, auch bei der Nationalmannschaft.

Matthäus: „Auch Hansi hat zwei Spiele verloren“

Ist die Wiederauferstehung der Bayern ein reines Flick-Werk?

Da muss man fairerweise sagen: Auch Hansi hat zwei Spiele verloren, Bayern ist in Freiburg in der zweiten Halbzeit ähnlich geschwommen wie manchmal unter Niko Kovac. Alleine am Trainer darf man das also nicht festmachen. Wenn ein Team nach einer Trainerentlassung besser spielt, zeigt das auch den Charakter der Mannschaft. Niko Kovac hat vielleicht ein paar Fehler gemacht, die Mannschaft am Ende verloren. Aber er war sicher nicht alleine Schuld.

Flick bleibt bis zum Sommer. Ist das richtig?

Er macht gute Arbeit und es gibt auch aktuell keine Alternative. Dann muss man wissen: Will man mit Hansi Flick – einem kleineren Namen, als man es vielleicht aus der Vergangenheit beim FC Bayern gewohnt ist – weitermachen? Da würde ich mich nur am Sportlichen und dem Atmosphärischen orientieren, und da würde ich Hansi das auch über Jahre zutrauen. Wenn die Erfolge bis zum Sommer da sind, würde ich mit ihm weitermachen.

Was schätzen Sie an konkret an ihm? Die Menschlichkeit wie bei Jupp Heynckes?

Ach, Jupp Heynckes und Hansi Flick – das sind 25 Jahre Unterschied. Das finde ich übertrieben. Aber er hat etwas, das auch Jupp Heynckes ausgezeichnet hat. Er ist ein Menschenfänger, nicht nur auf dem Platz. Er ist ein akribischer Arbeiter, kein aggressiver Trainer, sondern einer mit einer gewissen Leichtigkeit. Das gibt er der Mannschaft weiter. Und er ist offen und ehrlich, egal ob zu einem Jugendspieler oder einem, der 120 Millionen Euro kosten kann. Hansi hat seine Philosophie, seine Idee – und der Spieler, der diese mit umsetzt, hat einen Vorteil bei ihm. Und die, die es nicht umsetzen können oder wollen, haben es schwierig. Durch Gespräche fängt er aber auch die Unzufriedenen schnell wieder ein.

Warum ist er erst jetzt Cheftrainer?

Hansi war ja nie einer, der das Blitzlichtgewitter gesucht hat. Auch jetzt nicht. Trotzdem hat er seine Ideen als Co-Trainer immer eingebracht, mit sehr viel Fußballsachverstand. Dafür muss er nicht in der ersten Reihe stehen.

Matthäus: Dortmund „fehlt der eine oder andere Typ“

Was ist mit Lucien Favre beim BVB – passt der nun plötzlich doch gut?

Es liegt nicht am Trainer, das hatten wir ja schon. Die Spieler müssen umsetzen, was der Trainer will. Beim BVB passiert das gerade wieder. Generell ist Lucien Favre ein guter Trainer, das hat er jetzt gezeigt und wird es auch weiterhin zeigen.

Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, dass dem BVB Siegertypen fehlen?

Man hat es in der Champions League gesehen, mit wie viel Glück sie weitergekommen sind. Soweit sollte es nicht kommen, dass man eine Über-Weltklasse-Leistung von einem Torwart benötigt, um zu Hause gegen Slavia Prag zu gewinnen. Immer wenn es eng wird bei Dortmund, fehlt ihnen der eine oder andere Typ, der vorangeht. Auch gegen Leipzig und Hoffenheim hat man das gesehen. Solche Punkte darf man nicht verschenken, wenn man Großes erreichen will. Da braucht es eine führende Hand auf dem Platz, ein Gesicht. Marco Reus und Mats Hummels sind leise Leader, die haben häufig mit sich selbst zu kämpfen. Da ist zum Beispiel ein Manuel Neuer ganz anders.

Sollte der BVB da im Winter nachlegen?

Ich würde mir einfach wünschen, dass der eine oder andere zeigt, dass er ein Leader ist. Witsel, Reus, Hummels – das würde auch von der Linie her passen auf dem Platz. Die sind mir alle ein bisschen zu ruhig, da fehlt mir die Körpersprache. Keiner ist so komplett, wie ich mir das vorstelle. Ich hoffe, dass sich das noch entwickelt. Zum ganz großen Wurf müssen sie an sich arbeiten, die Bayern haben da schon das Gen, der BVB noch nicht. Aber Aktionismus bringt da jetzt nichts: Es heißt ja auch nicht, wenn man zum Beispiel nun einen Mario Mandzukic kauft, dass der gleich ein Leader wird.

Havertz und Coutinho? Matthäus legt sich fest

Die Bayern träumen vom großen Wurf, spätestens 2021 will Herbert Hainer die Champions League gewinnen. Ist das realistisch?

Es ist realistisch, aber das Ziel haben acht bis zehn Vereine in Europa auch. Früher hatte man zwei, drei Favoriten, heute kann jeder gegen jeden gewinnen. Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass Tottenham oder Chelsea die Champions League gewinnen, aber du hast fünf, sechs Favoriten, unter anderem den FC Bayern. Auch heuer schon.

Was müsste passieren, dass es schon 2020 klappt? Ist Coutinho ein Schlüssel auf dem Weg?

Er hat gegen Bremen Weltklasse gespielt, aber in diesen Spielen braucht man ihn gar nicht Weltklasse. Sondern später, gegen Liverpool oder Juventus. Bis dahin geht es auch um Trainergeschicklichkeit, um Vertrauen, um Erwartungshaltung, auch in der Defensive. Wenn das passiert, hat der FC Bayern einen Kader und ohne Verletzte auch eine Bank, die konkurrenzfähig ist. Die Mannschaft konnte sich in der Defensive aufgrund zahlreicher Ausfälle wenig einspielen, die Offensive schon. Da schmerzt im Moment der Ausfall von Kingsley Coman. Ihn brauchst du gegen die großen Gegner, auch im Februar gegen Chelsea.

Wird Coutinho 120 Millionen Euro wert sein?

Ich würde abwarten, Bayern hat ja keinen Druck. Kai Havertz und Coutinho gemeinsam zu kaufen, würde keinen Sinn machen, die nehmen sich die Positionen weg. Außerdem ist ja auch Thomas Müller noch da. Wenn Coutinho aber weiterhin so spielt, auch in den großen Spielen, dann muss man sich das überlegen. Nur: Wenn ich Havertz kaufe, brauche ich keinen Coutinho. Von denen kommt keiner gerne über außen – und ich bin kein Freund der Verpflanzerei von Spielern. Das geht in der Bundesliga, aber nur da.

Matthäus rät den Bayern mit Müller zu verlängern

Macht Leroy Sané Sinn?

Natürlich. Wenn man von den drei Spielern zwei verpflichten kann – auch aus wirtschaftlichen Gründen –, dann ist es Sané plus Havertz oder Coutinho. Mehr als 300 Millionen Euro für alle drei auszugeben, halte ich nicht für sinnvoll. Man hat dann genug Qualität. Vorne Lewandowski, dazu noch Müller, mit dem ich auf jedem Fall verlängern würde. Da geht es um Mentalität und Führungsstärke, um Identifikation. Er sorgt für gute Atmosphäre, er hat das Bayern-Gen. Klare Sache: Ihn darf man nicht verlieren. So einer ist wichtig, um Titel zu gewinnen.

Sané schon in der Winterpause – ist das sinnvoll?

Wenn man ihn sowieso kaufen will und der Preis nicht fällt, kann man ihn schon jetzt verpflichten. Wenn er im März spielen könnte, würde es vielleicht Sinn machen. Aber man geht natürlich ein Risiko ein. Man kann sich daher Zeit lassen, womöglich wird er dann auch ein bisschen billiger.

Würde Benjamin Henrichs passen? Er könnte die Personalsituation in der Abwehr entspannen.

Eine Option ist er sicher, auf beiden Seiten der Abwehr. Pavard könnte dann mehr nach innen. Er ist nicht überteuert, ist deutsch, kennt die Bundesliga, spricht die Sprache. Für ihn würde der Wechsel Sinn machen – ob er zu Bayern oder Leipzig geht, werden wir sehen. Beides Vereine, die ihn brauchen könnten. Er hat Qualität, wäre ein guter Backup und auch einer, der den Konkurrenzkampf anschieben kann.

Matthäus über Boateng: „Der Schnellste war er noch nie“

Würde das einen Winterwechsel von Jerome Boateng realistisch machen?

Ich glaube, dass Boateng gehen kann, wenn er gehen will. Da muss er aber erst mal einen Verein haben – und das wird bei seinen Gehaltsvorstellungen schwierig. Er hat Großes geleistet für den deutschen Fußball, hat aber jetzt ein gewisses Alter und ist vielleicht auch nicht mehr so fokussiert wie noch vor fünf, sechs Jahren. Dann verlierst du die Prozente, die andere aufholen. Boateng ist nun hintendran. Der Schnellste war er noch nie, er hatte aber so ein gutes Stellungsspiel, dass er das kompensieren konnte. Man sieht, dass das nicht mehr passt, auch bei Javi Martinez. Da scheint die Zeit vorbei zu sein.

Martinez’ auch?

Auf der zentralen Defensiv-Position ja. Ich bin Fan von ihm, aber nur auf der Sechs. Da kommt er nicht in lange Laufduelle, kann von seiner Ausbildung leben, von seiner Cleverness und Robustheit.

Welche Bayern-Viererkette kann den großen Gegnern Stand halten?

Bis dahin wird sich noch so viel ändern. Wenn alle fit wären, wären es Süle und Hernandez innen. Man hat aber nun mit Alaba eine gute Alternative, Pavard kann auch innen spielen. Davies links ist ein guter Alaba-Ersatz. Boateng spielt für mich da keine Rolle mehr, auch Martinez nicht. Wenn alle da sind, sind die beiden Bank- oder Tribünensitzer. Weil die anderen auch flexibel einsetzbar sind.

Vorne unantastbar ist Robert Lewandowski. Wackelt der 40-Tore-Rekord von Gerd Müller?

Ich wünsche es ihm. Wenn Bayern eine starke Rückrunde spielt, wird auch er profitieren. Vorne hat er dann genug Chancen. Ich traue ihm das zu. Weil er in Form ist, ein Teamplayer geworden ist. Das tut ihm gut. Er schießt ja auch Elfmeter und Freistöße – das sind noch ein paar Tore mehr.

Sein Manko waren in den letzten Jahren die K.o.-Spiele. Ein Zufall?

Wenn man aber sieht, dass Bayern gegen Liverpool nicht mal in der Nähe des Strafraums war, kann man ihm da nichts vorwerfen. Wenn Bayern offensiv spielt, wird er auch in K.o.-Spielen seine Tore machen. Auch wenn sie dann nicht den Ballbesitz haben wie gegen Bremen, ist Lewandowski trotzdem immer eine Waffe.

Matthäus über Kahn: „Das wertet die Bundesliga auf“

Ab 1. Januar neu: Oliver Kahn als Funktionär. Was wird er der Liga bringen?

Schön, dass er wieder zurück ist, genau wie Jürgen Klinsmann, das wertet die Bundesliga auf. Oliver muss sich einarbeiten und dann umsetzen und weiterführen, was die anderen vorgelegt haben. Das ist einiges. Ich erwarte, dass er seine neue Arbeit genauso gut macht wie die, die er beim FC Bayern im Tor geleistet hat.

Dann ist die Messlatte hoch.

Absolut. Aber das erwartet er ja auch selber von sich.

Kann man sich Karl-Heinz Rummenigge als Lehrmeister vorstellen?

Er wird ein guter Lehrmeister sein, denn Oliver wird ja nicht Rummenigges Arbeit eins zu eins weitermachen. Jeder hat seinen Stil. Manuel Neuer spielt auch anders als Oliver Kahn – und ist trotzdem Weltklasse. Warum soll das in der Führungsebene nicht auch so gehen?

Abschließend: Ihr Wunsch für den deutschen Fußball 2020?

Spannung bis zum Ende. International bessere Ergebnisse als in den letzten Jahren. Vielleicht auch mal ein internationales Endspiel. Ich bin guter Dinge.

Interview: Hanna Raif

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