Die Kovac-Rotation: Wer zählt wirklich zur ersten Garde? Die Zahlen zeigen eine Überraschung

Wieder nicht gewonnen! Die „Mini-Krise“ beim FC Bayern hat sich nach dem Remis gegen Ajax etwas verschärft. Vor allem Niko Kovac muss sich bezüglich seiner Rotation einiges an Kritik gefallen lassen. Doch was ist dran?
München - Hätte der FC Bayern am Dienstagabend über 90 Minuten so gespielt, wie das Team die ersten 15 Minuten begonnen hatte, vermutlich wäre die Kritik an Niko Kovac umgehend verstummt. Stattdessen ist sie nun noch etwas lauter geworden, erste Berichte über die brodelnde Stimmung in der Bayern-Kabine sind bereits aufgetaucht.
Hauptkritikpunkt am FCB-Coach ist die Rotation, mit der er seine Spieler zum einen aus dem Rhythmus und zum anderen auch verärgert haben soll. Beim Blick auf die Statistik fällt auf: Die Vorwürfe sind zum Teil nicht ganz falsch, einige Punkte sind aber auch aus der Luft gegriffen.
Video: Das sagt Niko Kovac zum 1:1 gegen Ajax
FC Bayern: Dauerbrenner Neuer und Kimmich
Wenig überraschend: Kapitän Manuel Neuer stand in bisher allen neun Pflichtspielen über die vollen 90 Minuten auf dem Feld. Sven Ulreich, in der letzten Saison noch zuverlässiger Vertreter von Neuer, wird sich weiter gedulden müssen, denn Kovac kündigte zuletzt an, auf der Torhüter-Position zunächst nicht rotieren zu wollen. Und das aus gutem Grund. Neuer war zuvor rund acht Monate aufgrund eines Mittelfußbruches außer Gefecht gesetzt und wird nun mehr denn je auf Spielzeit brennen.
Was auffällt: Dass Niko Kovac eine Vorliebe zur Rotation nachgesagt wird, kommt nicht von ungefähr. Von insgesamt 23 Spielern im Kader kamen bisher nur die drei Ersatz-Torhüter Sven Ulreich, Christian Früchtl und Ron-Thorben Hoffmann nicht zum Einsatz. Zum Vergleich: Beim Meisterschaftskonkurrenten und aktuellen Tabellenführer Borussia Dortmund standen ganze acht Profis noch nicht eine Minute auf dem Rasen in einem Pflichtspiel. Dass Kovac deutlich mehr rotiert als seine Trainer-Kollegen aus der Bundesliga zeigt auch der Blick auf die restlichen Einsatzminuten. Neben Neuer stand nur Joshua Kimmich in allen Pflichtspielen über die volle Distanz auf dem Platz.
Das Thema Mats Hummels: Eine kleine Überraschung
Eine kleine Überraschung bietet die Münchner Innenverteidigung. Hier gilt insbesondere Mats Hummels als unzufrieden mit seinen Einsatzzeiten, zuletzt zählte er als dritter Innenverteidiger hinter Jerome Boateng und Niklas Süle. Letzterer soll unter Kovac sogar die Nummer eins sein. Doch von wegen. Wenn einer mit seiner Einsatzzeit unzufrieden sein darf, dann Süle. Mit „nur“ 450 Einsatzminuten liegt er hinter Hummels (503) und ganz deutlich hinter Boateng (630) nur auf Rang drei der zentralen Verteidiger beim FCB. Das hat vor allem einen Grund: In den wichtigen Spielen der Champions League bei Benfica (2:0) und gegen Ajax Amsterdam (1:1) baute Niko Kovac auf die Erfahrung des Weltmeister-Duos von 2014.
Damit ist Boateng die klare Nummer eins des neuen Bayern-Trainers. Schon vor der Saison hatte Kovac vehement um den Verbleib des 30-Jährigen gekämpft, der kurz vor einem Wechsel zu PSG stand. Ein weiterer Dauerbrenner in Münchens Defensive: Linksverteidiger David Alaba mit 592 Minuten. Nur im DFB-Pokalspiel gegen den SV Drochtersen / Assel (1:0) stand der Österreicher nicht auf dem Rasen.
Spieler | Bundesliga: Einsätze (Startelf) / Einsatzminuten | Champions League: Einsätze (Startelf) / Einsatzminuten | DFB-Pokal: Einsätze (Startelf) / Einsatzminuten | Spielzeit insgesamt (in min.) |
---|---|---|---|---|
Manuel Neuer | 6 (6) / 540 | 2 (2) / 180 | 1 (1) / 90 | 810 |
Sven Ulreich | 0 (0) | 0 (0) | 0 (0) | 0 |
Christian Früchtl | 0 (0) | 0 (0) | 0 (0) | 0 |
Ron-Thorben Hoffmann | 0 (0) | 0 (0) | 0 (0) | 0 |
Mats Hummels | 3 (3) / 270 | 2 (2) / 180 | 1 (1) / 53 | 503 |
Niklas Süle | 5 (5) / 450 | 1 (0) / 0 | 0 (0) | 450 |
Jerome Boateng | 4 (4) / 360 | 2 (2) / 180 | 1 (1) / 90 | 630 |
David Alaba | 6 (4) / 412 | 2 (2) / 180 | 0 (0) | 592 |
Joshua Kimmich | 6 (6) / 540 | 2 (2) / 180 | 1 (1) / 90 | 810 |
Rafinha | 1 (1) / 82 | 0 (0) | 1 (1) / 90 | 172 |
Javi Martínez | 3 (2) / 188 | 2 (2) / 178 | 1 (1) / 90 | 456 |
Thiago | 6 (5) / 465 | 1 (1) / 90 | 1 (1) / 90 | 645 |
Corentin Tolisso | 2 (1) / 52 | 0 (0) | 1 (0) / 4 | 56 |
Leon Goretzka | 4 (3) / 248 | 1 (0) / 11 | 1 (0) / 37 | 296 |
Renato Sanches | 3 (2) / 156 | 1 (1) / 90 | 0 (0) | 246 |
James Rodríguez | 5 (2) / 225 | 2 (1) / 107 | 0 (0) | 332 |
Kingsley Coman | 1 (1) / 45 | 0 (0) | 1 (0) / 38 | 83 |
Serge Gnabry | 5 (2) / 164 | 2 (0) / 43 | 0 (0) | 207 |
Franck Ribéry | 5 (4) / 366 | 2 (2) / 137 | 1 (1) / 90 | 593 |
Arjen Robben | 5 (4) / 355 | 2 (2) / 152 | 1 (1) / 52 | 559 |
Thomas Müller | 6 (5) / 478 | 2 (1) / 92 | 1 (1) / 86 | 656 |
Robert Lewandowski | 5 (5) / 439 | 2 (2) / 180 | 1 (1) / 90 | 709 |
Sandro Wagner | 3 (1) / 104 | 0 (0) | 0 (0) | 104 |
Niko Kovac: Liebling Thiago, Javi Martínez der Verlierer
Auch im Mittelfeld hat Kovac bisher ordentlich durchrotiert. In den neun Pflichtspielen kamen sechs unterschiedliche Dreierketten im Mittelfeld zum Einsatz. Die Frage nach Konstanz darf also ruhig gestattet sein. Klarer Liebling im Münchner Mittelfeld: Thiago. Der Spanier ist mit 645 Minuten der Mittelfeldmotor beim deutschen Rekordmeister und kam nur gegen Benfica nicht zum Einsatz. Besonders darunter leiden muss Javi Martínez. Der Abräumer, unter Jupp Heynckes noch die zentrale Figur im Münchner Mittelfeld, ist unter Kovac ins zweite Glied gerückt. Zwar kommt er auf insgesamt 456 Minuten auf dem Grün, doch nur in drei Partien gehörte Martínez zur Startelf.
Doch nicht nur Martínez kommt auf deutlich weniger Spielzeit als noch in der letzten Saison. Real-Leihgabe James Rodríguez ist das nächste prominente „Opfer“ der Rotation. Der Kolumbianer steht bei 332 Minuten und spielte bisher nie komplette 90 Minuten durch. Dreimal stand er in der Anfangsformation, viermal nahm er zunächst auf der Bank Platz. Seine Unzufriedenheit beim FCB und die Gerüchte um eine mögliche Rückkehr nach Madrid haben also ihre Gründe. Ein ähnliches Schicksal teilt Neuzugang Leon Goretzka, der sogar nur 296 Einsatzminuten sammeln konnte. Auch er ist unter Kovac nur zweite Wahl.
„Robbery“ noch immer Stamm beim FC Bayern
Auf den Flügelpositionen spielt der FC Bayern seit knapp neun Jahren mit der gleichen Zange. Franck Ribéry und Arjen Robben haben die letzten Jahre des FCB geprägt wie nur wenige andere. Die vielen Erfolge sind eng mit ihren Namen verknüpft, doch mittlerweile sind beide in die Jahre gekommen. Ribéry ist 35, Robben wird im Januar ebenfalls 35, doch noch immer bestimmen sie das Geschehen auf den Flügeln im Münchner Star-Ensemble (Ribéry mit 593 Minuten, Robben mit 559). Das hängt zum einen mit der schweren Verletzung von Jungstar Kingsley Coman zu Saisonbeginn zusammen, zum anderen aber auch mit der Zurückhaltung der Bayern-Bosse im Sommer auf dem Transfermarkt.
Leidtragender der „Oldie-Dominanz“ auf der Außenbahn ist Neuzugang Serge Gnabry. Der deutsche Nationalspieler gilt als einer der Nachfolger von „Robbery“, doch bisher kommt er nur selten zum Zug. Von den bisher eingesetzten Spielern haben nur fünf Profis weniger Einsatzzeiten bekommen als Gnabry, wobei drei der Spieler aus Verletzungsgründen nicht mehr Spielzeit sammeln konnten (Rafinha, Tolisso, Coman). Nur zweimal stand der Turbodribbler in der Startelf, immer wurde er vor Spielende ausgewechselt. Gerade beim schwachen Auftritt gegen Ajax sorgte seine Einwechslung aber für den vorher schmerzlich vermissten Schwung in der Offensive.
Lewandowski ist „Mr. Unantastbar“, Müller spielt immer und Wagner muss warten
Im Sturm gibt es beim FCB die wenigsten Überraschungen: Robert Lewandowski ist „Mr. Unantastbar“ in Münchens Offensive, nur gegen den FC Augsburg stand der Pole nicht auf dem Feld. Und auch Thomas Müller gilt als einer der Dauerbrenner in der noch jungen Saison. Ganz nach Louis van Gaals Motto „Müller spielt immer“ hat auch Kovac in jedem Pflichtspiel auf den deutschen Nationalspieler gesetzt. Nur gegen Benfica und die Hertha (0:2) stand Müller nicht von Beginn an auf dem Feld.
Umso weniger Spielzeit konnte daher der Dritte im Bunde sammeln. Sandro Wagner steht bei gerade einmal 104 Minuten Einsatzzeit inklusive einem etwas unglücklichen Spiel gegen Augsburg von Beginn an. Auch ihm wird große Unzufriedenheit nachgesagt, angesichts der jüngsten Ergebnis-Krise beim FC Bayern dürfte sich das in naher Zukunft auch nicht groß ändern.
Keine Stammelf, viel Rotation, zu viel?
Niko Kovac hatte schon vor der Saison angekündigt, viel rotieren zu wollen und das hat er in den ersten neun Pflichtspielen auch eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Eine echte Stammelf gibt es beim FCB nicht. Nur Manuel Neuer, Joshua Kimmich, David Alaba und Robert Lewandowski können sich ihrer Plätze momentan absolut sicher sein. Im Fall der beiden Außenverteidiger liegt das zum Teil auch an fehlenden Alternativen. Was zu Beginn der Saison gut klappte, hakt nun und die Mannschaft wirkte gerade gegen Ajax phasenweise verunsichert. Braucht der FC Bayern also nun mehr Konstanz?
Eine Frage, die nur die nächsten Spiele zeigen können. Fakt ist, dass Kovac etwas ändern muss und auch wird, wie er noch am Dienstagabend nach dem 1:1-Remis ankündigte. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Bayern-Coach auch in Zukunft weiter kräftig durchrotieren wird. Auf Kovac kommen schwere Entscheidungen zu.
nc