Michael Reschke: Der Markt ist komplett relativ. Man hat aktuell beispielsweise sehr viele Spieler mit auslaufenden Verträgen, die also ablösefrei sind und es trotzdem sehr schwer haben, einen interessanten neuen Verein zu finden. Diese extreme Hochpreis-Dynamik auf dem Transfermarkt gibt es nur positionsbezogen bei einzelnen Clubs und besonderen Spielern. Aber es ist keine allgemeingültige Tendenz.
Konkretisieren Sie das bitte.
Reschke: Wenn wir aktuell analysieren, was an Transfers in der Bundesliga und 2. Liga über die Bühne gegangen ist, dann stellt man fest: Natürlich sind einige – speziell in Dortmund, München und Leverkusen – kostenintensive Transfers getätigt worden. Aber viele Clubs bedienen sich nahezu ausschließlich auf dem ablösefreien Markt oder im relativ günstigen Transferbereich. Ablösesummen zwischen zehn und 35 Millionen sind aktuell noch relativ selten. Deshalb ist das Emporschnellen des Transfermarktes nicht die absolute Wahrheit, sondern eher eine Einzelfall-Wahrheit. Es wird sicherlich noch Bewegung in den Transfermarkt reinkommen. Und die wird immer nach dem Domino-Effekt passieren. Heißt: Wenn ein teurer Spieler den Club wechselt, der abgebende Verein also eine Transfereinnahme erwirtschaftet und gleichzeitig Gehaltsersparnisse verbucht, benötigt er in der Regel einen adäquaten Ersatz. Er bedient sich also auf der nächsten, realistischen Transferebene. Dies setzt sich dann weiter so fort.
Warum geben Vereine so viel Geld für Spieler wie Tchouameni und Núñez aus?
Reschke: In ihren Ländern und bei Experten sind beide schon bekannt und hoch gewettet. Da aber durch die Fernsehrechte wenige Spiele aus der portugiesischen oder französischen Liga hier übertragen werden und zudem wenig darüber berichtet wird, hat man diese Wahrnehmung bei uns halt nicht. Beide Spieler haben schon in jungen Jahren richtig abgeliefert und besitzen eine hohe individuelle Qualität. Dies lässt diese Spieler einfach zu besonderen Aktien – ich nenne das mal so – werden. Von Núñez braucht man sich nur die Torquote anzuschauen, die alleine ist schon beeindruckend. Beide besitzen das Potenzial, sich zu Unterschiedsspielern zu entwickeln, die die Qualität besitzen, auf dem Topniveau der Champions League zu spielen. Die Clubs sind überzeugt, dass sie in den entscheidenden K.o.-Spielen sogar Akzente setzen können. Solche Spieler werden immer einen außergewöhnlichen Marktwert besitzen, da sie ja für die besonderen Triumphe entscheidend sind. Für solche Juwele wird immer extrem viel Geld ausgegeben.
Hat die Bundesliga aktuell auch solche Spieler?
Reschke: Natürlich. Ich nehme bewusst einen Fall, der aktuell für einen Transfer überhaupt nicht infrage kommt, weil er sich in Leverkusen wohlfühlt, mit Sicherheit noch mindestens ein Jahr dort bleiben wird und zudem durch seinen Kreuzbandriss eh auf dem Transfermarkt keine Rolle spielt. Stellen Sie sich mal vor, Bayer Leverkusen wäre bereit, Florian Wirtz zu verkaufen und Florian würde auch wechseln wollen. Es gäbe einige Clubs, die bereit wären Ablösesummen von über 80 Millionen Euro für Florian zu investieren, weil er eben das ganz Besondere besitzt.
Ist es aus Ihrer Sicht vorstellbar, dass künftig auch deutsche Clubs Spieler für solche Wahnsinns-Summen holen?
Reschke: Nein. Ein Transfer a la Núñez ist für keinen deutschen Club wirtschaftlich möglich. Die Bayern haben sich in den letzten Jahren ja schon mächtig aus dem Fenster gelehnt und bei Lucas Hernandez und Leroy Sané hohe Transfersummen investiert. Aber einen 100-Millionen-Transfer beim FC Bayern würde ich aktuell ausschließen. Eine solche Investition würde total überraschen. Und für andere Bundesligaclubs sind solche Investitionen eh ausgeschlossen.
Ist es dann nicht gefährlich für die deutschen Topclubs, international den Anschluss zu verpassen?
Reschke: Das befürchte ich überhaupt nicht. Zwar wird kein Bundesligaclub wirtschaftliche Harakiri-Aktionen starten, aber wir haben trotzdem eine sehr gute und spannende Liga, wenn man mal den Meisterschaftskampf ausklammert. Alles andere ist extrem spannend: Wie euphorisch hat der VfB Stuttgart den Klassenerhalt gefeiert? Wie intensiv hat Hertha BSC den Sieg in der Relegation über Hamburg bejubelt? Gigantisch, wie die Kölner den Einzug in die Conference League gefeiert haben! Und was war erst in Frankfurt los? Die Liga lebt!
Das Transfer-Theater um Robert Lewandowski diktiert rund um den FC Bayern die Schlagzeilen. Er will zum FC Barcelona. Die Münchner haben auf seinen bis 2023 gültigen Vertrag verwiesen. Wie geht es weiter?
Reschke: Die Situation ist total schwierig zu lösen. Robert besitzt natürlich eine wahnsinnige Strahlkraft innerhalb der Mannschaft. Wenn er um jeden Preis wechseln will und dies auch bis zum Ende der Transferperiode in der Kabine zum Ausdruck bringt, dann kann dies die Balance im Team gefährden. Das wird für Julian Nagelsmann als Trainer eine extrem große Herausforderung, weil Lewandowski mit seiner Aura ein wichtiges positives Stimmungsbild gefährden kann. Im Falle eines Bayern-Verbleibs müssen mit Robert frühzeitig gemeinsame Vereinbarungen getroffen werden. Nur auf den Vertrag zu pochen, reicht gewiss nicht. Es gilt wieder eine leistungsfördernde Basis innerhalb des Clubs, der Mannschaft und speziell auch in Zusammenhang mit Julian Nagelsmann zu finden. Da sind alle Entscheidungsträger beim FCB gefordert, das Gesamtgebilde so zu stabilisieren, dass man mit frischem Mumm in die neue Saison geht. Das kann nicht alleine von Julian gelöst werden. Aber das wissen die Bayern-Verantwortlichen und werden entsprechend handeln.
Was wäre Lewandowski auf dem Transfermarkt wert?
Reschke: Robert ist eine Tormaschine und weiterhin einer der besten Stürmer der Welt. Er wird noch eine ganze Zeit lang auf sehr hohem Niveau spielen können, weil er körperlich topfit ist. Eines ist natürlich auch sicher: nach einem möglichen Verkauf im Sommer wird er nicht mehr weitertransferiert werden. Ablöse und Gehalt muss man also gemeinsam betrachten – und man muss sich als Käuferklub fragen: Welche Gesamtinvestition ist er uns für drei Jahre wert? Deshalb wäre aus meiner Sicht eine mögliche Transfereinnahme von über 40 Millionen Euro für die Bayern absolut top.
Wie finden Sie Stuttgart-Stürmer Sasa Kalajdzic?
Reschke: Er ist ein sehr guter Stürmer und ihm ist viel zuzutrauen. Aber egal, wer Lewa irgendwann mal folgen sollte, man sollte keinem die Schuhe Lewandowskis überziehen und gleiches erwarten. Robert Lewandowski ist eine besondere Hausnummer. Er war über Jahre hinweg der beste Stürmer der Welt. Lewandowski-Nachfolger? Bitte keine Lewa-Messlatte anlegen.
Wird das ganze Transfer-Theater von allen Parteien nur medial so hochgeschaukelt?
Reschke: Wichtig ist es aus meiner Sicht immer, gemeinschaftlich partnerschaftliche Lösungen zu finden. Aber natürlich gehören auch Muskelspiele dazu. Das Transfer-Business ist wie ein Pokerspiel. Oftmals geht es darum: Wer hat die besseren Nerven? Das ist Teil des Geschäfts. Ich sehe das alles nicht so dramatisch. Die Bayern spielen ihre Trümpfe aus und Robert und seine Berater spielen ihr Spiel. Das ist normal. Aber klar ist: Die Bayern sitzen an einem verdammt langen Hebel. Ohne Bayern München geht gar nichts.
Es bleibt also spannend! Verlässt Robert Lewandowski den FC Bayern in Richtung Barcelona? Derzeit schaltet der Stürmer vom Transfer-Theater ab und genießt seinen Familienurlaub - in Spanien.