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Reif: "Bayern hat einen größeren Plan"

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Marcel Reif
Marcel Reif © dpa

München - Manche Guardiola-Entscheidung ist bei Fans auf Unverständnis gestoßen. Marcel Reif erläutert im tz-Interview den Plan des FC Bayern - und erklärt, warum Pep lieber nicht öffentlich Deutsch sprechen sollte.

Ist das Weißbierglas halbvoll oder halbleer? Nach dem 1:1 in Freiburg ist der FC Bayern erstmals unter Pep Guardiola Tabellenführer – aber die ersten beiden Punkte sind weg. Sky-Chefkommentator Marcel Reif hat das Spiel übertragen, und analysiert für die tz vor dem europäischen Supercup-Finale am Freitag gegen Chelsea (Sky und ZDF live) die Lage beim Triple-Sieger.   

Hallo Herr Reif, hat sich Guardiola in Freiburg mit seiner Rotation verzockt?

Reif: Auf die Idee kann man natürlich kommen, bei sieben Umstellungen. Falsch ist sie trotzdem. Sehen Sie sich die Startaufstellung der Bayern an: Zehn Nationalspieler, eine exquisite Mannschaft – wenn sich Guardiola das in Freiburg nicht leisten kann, wo denn dann? Natürlich bin ich auch erst mal zusammengezuckt, dass nur vier Spieler vom Club-Spiel übrig waren. Aber was er macht, ist in sich schlüssig und konsequent.

Erklären Sie uns, was sich Pep gedacht hat.

Reif: Es ist doch so: Der FC Bayern hat Guardiola nicht dafür engagiert, um in aller Bierruhe die 24. Meisterschale abzuholen. Das hätten einige andere Trainer auch hinbekommen, oder man hätte noch drei, vier Jahre mit dem hochverehrten Jupp weitermachen können. Nein, Bayern hat einen größeren Plan. Man will Barcelona nacheifern, man will konstant in der Lage sein, die Champions League zu gewinnen – und nicht nur alle Jubeljahre.

Ketzerisch gefragt: Ein 1:1 in Freiburg gehört zu diesem Plan?

Reif: Das muss man in Kauf nehmen. Guardiola hat diese Idee vom Fußball, nach der der FC Bayern lange Jahre gesucht hat – mit Flexibilität und mit einem breiten Kader, der unabhängig von einzelnen Spielern funktioniert. Und beim Verfolgen dieser Idee macht der Trainer keine Gefangenen. Soll Guardiola sagen, ich habe die Vision vom FC Bayern der Zukunft, aber die ist mir heute egal, heute zählen nur drei Punkte? Wenn er jetzt schon einknickt, wenn er in Freiburg die Top-Elf bringt, aus nackter Angst um drei Punkte, wäre er der falsche Mann.

Überfordert er die Spieler?

Reif: Er fordert sie, und zwar gewaltig. Einige spielen etwas, das sie nie zuvor gespielt haben. Schweinsteiger musste noch nie so viel rennen wie unter Guardiola, und er hat keinen Martínez mehr, der ihm den Hacki Wimmer macht. Der muss jetzt ackern wie ein Ochse. Oder Philipp Lahm, aus dem Pep mehr rausholen will, als wir alle je geahnt haben. Die müssen alle raus aus ihrer Komfortzone. Was Guardiola mit ihnen veranstaltet, ist permanentes Rasen-Sudoku, das ist katalanischer Denksport, der im Kopf richtig wehtut. Das kostet Zeit. Aber wenn’s funktioniert, lohnt es sich.

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Mit dem Risiko, irgendwann acht Punkte hinter Dortmund zu liegen.

Reif: Das wäre ungünstig, aber die Gefahr sehe ich im Moment nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, ist Bayern Tabellenführer, und liegt nicht auf Platz zwölf. Man ist im Soll. Nein, Guardiola weiß, was er tut. Und mein Eindruck ist: Die Granden des FC Bayern betrachten die momentane Situation tatsächlich völlig entspannt, die haben keinerlei Zweifel daran, dass sie mit Guardiola langfristig auf dem richtigen Weg sind.

Und kurzfristig muss man Punktverluste akzeptieren?

Reif: Notfalls opfert Guardiola auch zwei, drei Punkte. Im Endeffekt ist die Situation beim FC Bayern derzeit so: Du baust das Münchner Nationaltheater um, damit es danach noch herrlicher strahlt und funkelt – aber während des Umbaus muss die Oper weitergehen. Da wird gemalt und gehämmert, während die Ouvertüre läuft, da fliegen Dreck und Staub durch die Gegend. Und wie prachtvoll es wird, siehst du erst, wenn alles fertig ist.

Haben die Spieler noch diesen Hunger, diese Gier der letzten Saison?

Reif: Momentan sicherlich nicht, aber das kann man auch gar nicht verlangen. Selbst der gierigste Wolf ist irgendwann satt. Und die Spieler wissen genau, wie lang die Saison ist. Die Gier kommt von selbst zurück, da muss man sich keine Sorgen machen.

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Haben Sie den Eindruck, dass sich Guardiola in München wohlfühlt?

Reif: Dass hier beim FC Bayern eine andere Kultur herrscht, hat er gewusst, damit kann er umgehen. Ich weiß allerdings nicht, ob sich Guardiola einen Gefallen damit tut, in der Öffentlichkeit Deutsch zu reden. Bei allem Respekt vor seinem Eifer: Da kommen nur Floskeln raus, die ihm nicht gerecht werden. Auf Spanisch, mit Dolmetscher, könnte er seine Idee vom Fußball viel besser vermitteln.

Wie wichtig ist das Spiel gegen Chelsea?

Reif: Eigentlich völlig unwichtig, ein reiner Marketing-Pokal. Aber es ist halt Chelsea, wir alle erinnern uns ungern. Und auch Pep ist kein Heiliger – es ist nur allzu menschlich, dass er alte Rechnungen mit Mourinho begleichen will. Seine Spieler wissen auch: Am Freitag müssen wir Mourinho eine mitgeben, das sind wir Guardiola schuldig. Also: Man muss diesen Cup nicht gewinnen, aber schön wär’s schon.

Interview: Jörg Heinrich

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