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Hargreaves-Interview vor CL-Kracher: Über Bayern, United, Kane und die Wiesn

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Owen Hargreaves spricht im tz-Interview vor dem CL-Auftakt zwischen dem FC Bayern und Manchester United über seine beiden Ex-Klubs.

München – Die Anfragen stapeln sich auf dem Schreibtisch von Owen Hargreaves – na klar! Denn wer sowohl mit dem FC Bayern als auch mit Manchester United die Champions League gewonnen hat, ist der perfekte Experte für das Duell, das heute Abend (21 Uhr) in der Allianz Arena angepfiffen wird. Der 42-Jährige hat sich viel Zeit für ein Interview mit unserer Zeitung genommen.

Owen Hargreaves
Geburtsdatum:20. Januar 1981 (Alter 42 Jahre), Calgary, Kanada
Ex-Vereine:FC Bayern, Manchester United, Manchester City
Position:Defensives Mittelfeld
Länderspiele:42 A-Auftritte für England

Duell mit Manchester United – leichtes Spiel für den FC Bayern?

Herr Hargreaves, haben Sie am Freitag Topspiel geschaut?

Ja, natürlich.

Und am Samstag das 1:3 von Manchester United gegen Brighton?

Auch das: natürlich.

Der logische Gedankengang für das Duell wäre: Leichtes Spiel für Bayern.

Zurzeit ist Manchester nicht gut drauf, das kann ich nicht leugnen. Aber was viele nicht auf dem Zettel haben, ist, dass auch Brighton eine Super-Mannschaft ist. Roberto De Zerbi ist ein Top-Trainer, ich sehe ihn irgendwann mal auf dem Trainerstuhl bei Real Madrid oder einem anderen europäischen Topteam. Für alle Premier-League-Kenner war das Ergebnis daher keine Überraschung. Brighton war der Favorit, United war es nicht. Sie haben zurzeit einfach zu viele Baustellen.

Trotzdem sagt Erik ten Hag: „Wir haben keine Krise.“ Redet er sich die Situation schön?

Der Plan war, dass United mit City um den Titel spielt. Und das sieht jetzt schon nicht mehr machbar aus. Der Start ist katastrophal und kann auch ten Hag nicht zufriedenstellen. Zwei Siege – einer davon sehr glücklich -– und drei Niederlagen, das ist nicht der Anspruch.

Owen Hargreaves (r., im Trikot der Bayern-Legenden-Elf) hat im Interview auch über Harry Kane gesprochen.
Owen Hargreaves (r., im Trikot der Bayern-Legenden-Elf) hat im Interview auch über Harry Kane gesprochen. © Crystal Pix / MIS / Imago

Owen Hargreaves: Welchen Wert Harry Kane für den FC Bayern hat

Ist die Partie gegen Bayern ein Charaktertest?

Sie ist unheimlich wichtig. Bayern ist Favorit in der Gruppe, Manchester wäre mit einem Punkt glücklich. Hoffnung allerdings macht, dass United am besten ist, wenn sie auf Konter spielen können. Wenn Bayern viel Ballbesitz hat, könnte diese Chance kommen. Dann wäre es ein Spiel, das United liegt. Das ändert aber nichts daran, dass das Selbstvertrauen zurzeit fehlt. In so einer Verfassung fährt man eigentlich nicht gerne nach München…

Tabellen-13., dazu das Chaos um Jadon Sancho, die ungeklärte Zukunft mit dem katarischen Investor: Warum kommt Manchester United nicht zur Ruhe?

Es sind viele Baustellen, aber ich denke nicht, dass sie bis auf den Platz ausstrahlen. Für die Spieler zählt vor allem das Sportliche. Das ging damit los, dass schon im ersten Spiel die Balance im Mittelfeld nicht passte, viele defensive Fehler passierten. So kommt man dann in einen Negativ-Trend. Und wenn Marcus Rashford nicht trifft, ist es schon schwer für die Mannschaft.

Also ruhen alle Hoffnungen auf ihm?

Normalerweise ist er in Spielen wie diesen top. Wenn er Platz zum Kontern hat, ist das sein Ding.

Muss Bayern also genauso zittern wie Manchester vor Harry Kane?

(lacht) Ähnlich. Die United-Fans hätten Kane schon gerne in ihrem Trikot gesehen. Aber nun gibt Harry den Bayern genau das, was sie letzte Saison vermisst haben. Und er weiß auch, was er in München tun will: den Champions-League-Titel holen.

Sie haben ihn zuletzt als „Sahnehäubchen“ bezeichnet – vor allem für die Königsklasse?

Wenn man sich die letzte Saison anschaut, haben die Bayern eigentlich ordentlich gespielt. Aber sie haben vorne die Chancen nicht gemacht. Wenn da jetzt Harry Kane vorne die Tore schießt – und Manuel Neuer zurück ist –, dazu Minjae Kim in der Verteidigung: Diese Mannschaft ist schon sehr stabil auf den wichtigsten Positionen.

MANCHESTER, ENGLAND, 16th September 2023. Marcus Rashford of Manchester United, ManU has a shot on goal during the Premi
Der FC Bayern muss auf Marcus Rashford (r.) besonders aufpassen. © IMAGO/Gary Oakley

Braucht der FC Bayern eine „holding six“?

Sie als ehemaliger Mittelfeldspieler sind Experte: Braucht man eine „holding six“, um in der Königsklasse richtig anzugreifen?

Mein Opa hat früher immer gesagt: Du brauchst es nicht, Du willst es! Viele Mannschaften versuchen immer, alle offensiven Topspieler zu holen. Aber ich finde nicht, dass das immer gut funktioniert. Du brauchst schon auch Leute, die die Zweikämpfe gewinnen, die Bälle zurückholen, die kleinen Sachen machen. Und das macht zum Beispiel Joao Palhinha super. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Bayern da noch etwas machen im Januar.

Das Ziel der Bayern ist der Titel, United hingegen backt inzwischen kleinere Brötchen. Sind die Clubs sich noch so „ähnlich“, wie Sie sie einst nannten?

Sie sind vom Erfolg, von ihrer Tradition, ihrer Geschichte, ihren großen Spielern ähnlich. Aber Bayern ist als Club einfach unheimlich stabil in fast allen Bereichen. Während bei Manchester United der Name riesig ist, aber die Probleme auf vielen Ebenen um sich greifen. Manchester United ist vielleicht der namhaftere Club auf der Welt, aber Bayern hat alles: einen super Trainer, eine Top-Mannschaft. Man geht aus gutem Grund davon aus, dass dieses Team sehr viel Erfolg haben könnte. Bei United hingegen gibt es so viel Unsicherheit, auch was den Verkauf des Vereins angeht. So weit wie derzeit waren die beiden Vereine selten auseinander.

Hat der FC Bayern in den letzten zehn bis 20 Jahren etwas „besser“ gemacht als Manchester United?

Die englische Liga ist schon etwas anderes als die deutsche, das darf man nicht vergessen. Allein beim TV-Geld kann der FC Bayern nicht mithalten, da hat die Premier League einen tollen Job gemacht. Ohne diese TV-Gelder aber hätte United richtige Probleme. Sie brauchen ein neues Stadion, das Trainingsgelände ein Investment, dazu die Mannschaft. Bei Bayern hingegen fällt mir nichts ein, was große Aufmerksamkeit benötigt. Das Stadion ist top, das Gelände, das Team, der Trainer: Als Bayern-Fan kann man zufrieden sein. Die United-Fans hingegen sind unsicher und unzufrieden.

Dabei hat United mit 991,7 Mio. Pfund den wertvollsten Kader der Welt – der FC Bayern ist nur 12.

Die Preise sind aber in der Premier League auch anders. Wenn United anfragt, kostet der Spieler gleich mehr. So hat man vielleicht das meiste Geld ausgegeben – aber nicht den besten Kader. Man lag relativ oft daneben, öfter als andere Topclubs. Wenn Manchester City einen Transfer macht, schlägt der meist ein. Bei United wird viel zu viel Geld ausgegeben, aber der Plan ändert sich zu oft. Ohne Stabilität, ohne Konstanz wird es schwer, wieder um Titel zu spielen.

Dabei ist die Sehnsucht nach dem ersten Titel seit 2013 groß.

Sie ist unglaublich groß. Und man hatte dieses Jahr große Hoffnungen auf Erik ten Hag gesetzt, weil er viel Ruhe und Disziplin reingebracht hat. Aber auch unter Jose Mourinho waren sie mal Zweiter. Und Zweiter zu sein, ist nicht ausreichend.

Vor allem, wenn der Konkurrent aus der eigenen Stadt die Maßstäbe setzt.

Es ist schwer, mit ManCity irgendwie mitzuhalten. Arsenal hat in der letzten Saison fast alles richtig gemacht bis zu den letzten acht Saisonspielen. Dann war Manchester City bereit. Da hast Du keine Chance! Sie sind perfekt in der Liga.

Fühlt sich das ähnlich schlimm an, wie wenn in München plötzlich die Löwen die beste Mannschaft in Europa wären?

(lacht) Ich bezweifle, dass die Löwen um den Champions-League-Titel spielen.

Ein fiktives Beispiel…

Na gut (lacht). Bei United ist man es immer gewohnt gewesen, die bessere Mannschaft in Manchester zu sein. Das hat sich komplett gedreht. City hat das viele Geld besser ausgegeben als United. Wenn sie etwas machen, werden sie immer besser. United nicht. Für die Fans ist es schwierig, dabei zuzusehen.

Manchester City v RB Leipzig Champions League 14/03/2023 Owen Hargreaves on media duties before the Champions League mat
Owen Hargreaves absolvierte über 200 Pflichtspiele für den FC Bayern. © IMAGO/Malcolm Mackenzie

Owen Hargreaves: FC Bayern Mitfavorit auf Titel in der Champions League

Sie wollten nach zehn Jahren im Bayern-Trikot nur zu Manchester. Würden Sie das heute noch sagen?

Ich halte es mit den vielen Fußballromantikern: Was unseren Sport auszeichnet, ist die Geschichte hinter den Clubs. Aber der Fußball verändert sich immer wieder – und zwar schnell, wenn man nicht aufpasst. Wenn man heute die Möglichkeit hat, in einer Mannschaft von Pep (Guardiola/d.Red.) zu spielen, ist es schwer, nein zu sagen. Damals wollte ich unbedingt zu United, aber heute tut es mir schon auch weh, dass United nicht mehr das ist, was es früher war.

Sie sagten damals über Ihren Abschied: „Ich bin als Junge gekommen und als Mann geblieben.“ Was ist heute noch münchnerisch in Ihnen?

Viel! In München ist so viel für mich zusammengekommen, ich habe so viel gelernt. Die Sprache, aber auch die Mentalität. Der Wettkampf bei Bayern hat mich schon geprägt. Genau wie die Lebensqualität in München. Man konnte Fußball spielen, aber auch seine Ruhe haben, also: Profi und Mensch sein. Alle, die mich besucht haben, waren verliebt in München.

Auch in die Wiesn?

Am Anfang habe ich das alles nicht so verstanden, aber je länger man da ist, desto mehr merkt man, wie wichtig die Wiesn für München ist. Bei uns allerdings war die Stimmung immer ergebnisabhängig. Wenn man verloren hatte, konnte man es nicht genießen. Einfach mal hingehen und alles los lassen – das ging selten zu aktiven Zeiten. Aber dafür jetzt: Kommende Woche bin ich draußen.

Die Bayern gehen am Sonntag – also hat das Spiel großen Einfluss auf die Wiesn-Stimmung.

Oh ja. Sie sollten besser nicht verlieren (lacht). Die Mass würde nach einem Sieg besser schmecken.

Apropos verlieren: 1999 saßen Sie als Jugendspieler auf der Tribüne, als United Bayern den Last-Minute-K.o. versetzte.

So ist es – und danach hatte ich keine Stimme mehr. Wir waren alle komplett geschockt, wir konnten das nicht fassen. Und ich hätte in diesem Moment auch nie gedacht, dass ich 2001 – also gerade mal zwei Jahre später –selber ein Champions-League-Finale spielen würde. Das hat schon einen Rieseneindruck hinterlassen. Ich war zwar nah dran – aber alles war für mich so weit weg.

2001 waren Sie selber dabei. Wäre der Titel ohne den Schmerz von 1999 möglich gewesen?

Für mich ist das eine deutsche Mentalität, dieses Wieder-Aufstehen. Bei der Nationalmannschaft fehlt das zur Zeit, das ist untypisch für ein deutsches Team. Fußball ist nicht das perfekte Spiel, sondern ein Wettkampf. Unser Team wurde getragen von diesen starken Persönlichkeiten. Die braucht es für den Erfolg. Wir waren nicht perfekt – aber wir hatten einen unheimlichen Willen!

In den vergangenen Jahren ist Bayern vergleichsweise früh ausgeschieden. Haben Sie heuer die nötige Mentalität?

Manchester City ist Favorit auf den Titel, aber danach kommen Real Madrid und der FC Bayern. Die Mannschaft ist solide, Harry Kane ergänzt sie perfekt. Für mich hat Bayern alles.

Interview: Hanna Raif.

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