Ein Bayer im Formel-1-Himmel: McLaren-Chef Andreas Seidl über Geduld und Spekulationen

McLaren-Chef Andreas Seidl hat seine Heimat im Herzen. Im tz-Interview spricht der 46-Jährige über seine Ziele, Glück und die Menschen im technischen Formel1-Betrieb.
München – Einmal Bayer, immer Bayer: Auf den Passauer Andreas Seidl trifft das auf zu. Der 46-Jährige reist zwar als Teamchef des McLaren-Formel-1-Teams rund um den Globus – aber seine Heimat hat er immer im Herzen. Im tz-Interview spricht Seidl über den für ihn immer noch himmlischen Job als F1-Boss.

Wie ist denn Ihr Kontakt in die bayerische Heimat, Herr Seidl?
Andreas Seidl: Ich verbringe so viel Zeit wie es geht mit meiner Familie. Ich pendle dadurch oft hin und her – aber im Urlaub fahren wir nicht groß weg, sondern genießen unser Zuhause oder fahren in unsere Heimat, den wunderschönen Bayerischen Wald. Da fehlt mir nix. Gleichzeitig muss ich sagen, dass das Leben in England gar nicht so schlecht ist. Im Sommer kann man in den Pubs draußen sitzen, das hat schon Biergartenatmosphäre. Auch das Essen ist gut. Weißbier, zumindest wie wir es kennen, gibt es natürlich nicht…
Kommen wir zum Sportlichen. Seit Sie bei McLaren sind, ging es stetig nach oben – Daniel Ricciardo siegte im vergangenen Jahr in Monza. Jetzt stagnieren Sie etwas…
Seidl: …aber das habe ich in diesem Jahr erwartet. Grundsätzlich ist immer noch Platz vier am Ende dieser Saison die Zielvorgabe. Uns fehlt im Vergleich zu den Topteams, aber auch zu Alpine noch was in der Infrastruktur. Was diese Saison betrifft: Unser Auto ist noch nicht auf allen Strecken konstant genug.
Können Rückschritte auch positiv sein?
Seidl: Ja, der kleine Rückschritt dieses Jahr bringt uns dazu zu fragen: Wie weit sind wir mit den ganzen Neuerungen in der Teamorganisation? Und da muss ich sagen: Ich bin extrem happy mit meiner Führungsmannschaft, happy mit der ganzen Kultur, die im Team herrscht. Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen. Wir müssen trotz allen Siegeswillens die Geduld haben, um am Ende ein Topteam zu werden.
Erklären Sie das bitte.
Seidl: Einfach erklärt: Wir haben vor drei Jahren das Team quasi auf den Kopf gestellt. Ich denke, der Glaube an sein System ist nicht nur in der F1 wichtig, sondern überall, wo es um Management und Menschenführung geht. Wir reden in unserem Fall davon, 700 Mitarbeiter als Einheit zu formen und als Team voran zu gehen. Das dauert eben.
Wie sehr helfen Ihnen Ihre Erfahrungen bei BMW und später Porsche?
Seidl: Extrem. Ich habe das Glück, bei BMW und Porsche mit großartigen Menschen zu tun gehabt zu haben, zum Beispiel Mario Theisen bei BMW. Da habe ich eine Menge gelernt. Ich hatte zum Glück immer Vorgesetzte, die mich unterstützt haben und mir viele Freiheiten gegeben haben. Diesen Führungsstil habe ich jetzt übernommen. Das heißt, ich bringe meiner noch relativ jungen Mannschaft das gleiche Vertrauen entgegen. Obwohl die Formel 1 extrem technisch ist und unglaublich viel Geld involviert ist, machen die Menschen am Ende den Unterschied.
Weiteres Thema ist die mediale Präsenz der F1, auch in den sozialen Medien. Daniel Ricciardo ist ein gutes Beispiel: Über ihn gab es trotz Dementis immer wieder Spekulationen. Wird man nicht müde zu bestätigen, dass man auch 2023 zusammenarbeitet?
Seidl: Nein. Das ist Teil meines Jobs. Viel wichtiger ist, den direkten Draht zu meinen Piloten zu haben. Egal, ob es um Vertragsinhalte geht, Leistungsanalysen oder anderes. Unsere Philosophie ist, den Fahrern möglichst viel Freiheit zu geben, sie sollen authentisch sein, weil ich glaube, dass dies die beste Basis für sie ist, Höchstleistungen zu bringen. Was Daniel betrifft: Er selbst ist sein größter Kritiker. Meine Aufgabe ist es, ihm zu vermitteln, dass wir ihm vertrauen und alles tun, damit er selbst wieder zufrieden ist.
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