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Zukunft in der F1? Sebastian Vettel stellt sich die „Sinnfrage“

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Sebastian Vettel
Geht für den Rennstall Aston Martin auf die Strecke: Ex-F1-Weltmeister Sebastian Vettel © Bradley Collyer/dpa

Sebastian Vettel beendete die Formel-1-Saison im Aston Martin auf dem zwölften Rang. Mit der tz sprach er über seine Zukunftspläne, Emotionalität und Verantwortung.

München - Seine erste Formel-1-Saison* für Aston Martin hat Sebastian Vettel vor seinem Teamkollegen Lance Stroll mit 43 Punkten auf dem zwölften Platz beendet. Das Highlight: der zweite Platz beim Großen Preis von Aserbaidschan. Tiefpunkt: die Disqualifikation nach dem zweiten Platz in Ungarn, als von Vettels Wagen nach dem Rennen nicht die vorgeschriebene Menge an Resttreibstoff entnommen werden konnte. Im tz-Interview spricht Vettel offen über die Sinnfrage, in einem unterlegenen Auto* weiterzufahren. Weiteres großes Thema: Emotionalität und Verantwortung.

Herr Vettel, es ist jetzt elf Jahre her, als ein damals erst 23 Jahre alter Sebastian Vettel beim letzten Saisonrennen in Abu Dhabi jüngster Formel-1-Weltmeister aller Zeiten wurde. Sie haben dann noch dreimal hintereinander Ihren Titel verteidigt. Wie sehr unterscheidet sich der junge Mann von damals vom Familienvater von heute – besonders wenn es um Verantwortung geht?

Vettel: Ich bin älter geworden, da ist es normal, dass man sich weiterentwickelt. Grundsätzlich gibt es aber immer noch viele Überschneidungen. Die Werte, die in einem schlummerten, waren schon immer da. Aber man lebt sie offener aus und spricht sie direkter an, wenn man reifer geworden ist. Ich beschäftige mich heute auf jeden Fall mit anderen Themen als vor elf Jahren.

Also geht es nicht nur mehr darum, um jeden Preis zu gewinnen?

Vettel: Ja, auf jeden Fall. Der sportliche Ehrgeiz ist immer noch da, aber es gibt daneben viel mehr Dinge, die man wahrnimmt und mit denen man sich beschäftigt, wenn man ein wacher Mensch ist. Es gibt auch Leute, die werden zwar älter, aber entwickeln sich dennoch nicht weiter. Man nimmt sich heute mehr Zeit für Dinge, die nicht direkt mit dem Job zu tun haben.

Gibt es jemanden außerhalb Ihres Lebenskosmos, den sie bewundern, weil der- oder diejenige Werte vertreten, ohne die Seele zu verkaufen?

Vettel: Ich bin nicht gut darin, spontan Namen zu nennen. Es gibt da einige. Auch welche, von denen ich heute noch nichts gehört habe. Die aufstehen, die Generationen wachrütteln können, damit wir am Ende eine bessere Welt haben. Wer hätte schon gedacht, dass dieses junge schwedische Mädchen das Bewusstsein von Millionen von Menschen aufrüttelt, weil sie die Schule streikt, um auf die Probleme unseres Planeten hinzuweisen?

Sie haben mal gesagt: „Seit ich Vater bin, fluche ich weniger im Auto.“ Verändert auch das Elternsein die Verantwortungsperspektive?

Vettel: Da gibt es zwei Dinge zu sagen: Als ich anfing, hat es niemand interessiert, was ich in den Helm brüllte, weil es kaum jemand hören konnte. Zweitens: Heute werden Funksprüche oft zeitversetzt gesendet und da passen sie oft nicht mehr zum Kontext. Ich bekam oft Gegenwind für meine Emotionen. Das ist mit den ersten Emotionen von Fußballern nach dem Abpfiff zu vergleichen. Aber am wichtigsten ist natürlich die Verantwortung, die du gegenüber deinen Kindern hast. Es wäre nicht gut, ihnen eine geläuterte Sprache vorzuleben, die du selbst nicht sprichst.

Formel-1-Pilot Sebastian Vettel: „Man sollte Emotionen ausleben“

Dennoch: Wie schwierig ist es da eine Balance zu finden: Einerseits, die Verantwortung gegenüber den Kindern, die man nicht mit in der ersten Emotion entstandenen Flüchen konfrontieren will. Andererseits will man auch Ehrlichkeit vorleben, Werte, zu denen man steht. Emotionale Funksprüche sind doch in diesem Sinne immer von Grund auf ehrlich…

Vettel: Ich kann da nur für mich selbst sprechen. Man sollte immer seine Emotionen ausleben und zu seinen Gefühlen stehen. Aber man muss nicht zehnmal „Scheiße“ brüllen. Da gibt es noch genug andere Worte, um sich auszudrücken. Aber wichtig ist, nicht vorzuleben, dass man ein Heiliger ist, aber zumindest zeigen, dass man zumindest einer sein will. Aber Emotionen sind wichtig. Es ist auch wichtig, sie zu zeigen. Gerade im Sport. Man ist manchmal glücklich, manchmal wütend, manchmal traurig und man weint. Es ist wahrlich keine Schande, genau das in diesem Moment auch zu zeigen. Entscheidend ist aber die Art und Weise.

Was würden Sie der jüngeren Generation raten – sollten sie zu ihren Werten stehen, auch wenn sie nicht populär sind? Oder sich anpassen?

Vettel: Das große Ziel hinter allem ist das Wichtigste. Was muss ich tun, um bei meinem Anliegen den größten möglichen Erfolg zu haben? Ich denke, diese Frage stellen sich gerade Politiker immer wieder. Aber man muss bei allem, was man tut und sagt, immer noch in den Spiegel schauen können, und wissen, wo seine eigenen Grenzen liegen. Ein Beispiel: Wenn mir jemand anbieten würde, das schnellste Auto im Starterfeld fahren zu dürfen und ich damit den nächsten Sieg und Titel garantiert hätte, ich aber dafür nackt im Auto sitzen müsste, würde ich sagen: Nein Danke. Man muss für seine Werte und Ideale einstehen, ganz sicher. Jeder aber muss für sich selbst entscheiden, was er dafür zu tun bereit ist. Man sollte nie etwas gegen sein Naturell tun.

Bleiben wir in Ihrem Sport: Es war offensichtlich, dass Sie für Mick Schumacher, dem Sohn ihres sportlichen Idols, eine Art Ziehvater gespielt haben. Haben Sie ihm gegenüber auch so etwas wie Verantwortung gespürt?

Vettel: Nicht wirklich. Mick kommt aus einem sehr guten Elternhaus. Er ist ein sehr gut erzogener junger Mann, der jetzt bereit ist, seinen eigenen Weg zu gehen. Das macht er sehr gut. Ich bin mehr Freund als jemand, der Verantwortung spürt. Für Freunde ist man immer da. Ich habe deswegen null Konkurrenzdenken ihm gegenüber. Ich bin eh nicht der Typ, der alles abwägt, um Vorteile zu haben und Spielchen zu spielen.

Sebastian Vettel rät Mick Schumacher zum Ferrari-Rennstall

Würde der Freund ihm raten, zu Ferrari zu gehen?

Vettel: Absolut. Auch, wenn bei mir dort der ganz große Erfolg ausgeblieben ist. Aber ich hatte nicht nur negative Momente, sondern auch sehr viele positive. Menschen neigen dazu, in Erinnerungen das Glas immer halb leer zu sehen. Ich sehe es lieber halb voll und das Positive überwiegt. Zu viel motzen bringt nichts.

Der Sohn des Formel-1-Idols führt in der Formel 1. Würden Sie es gerne sehen, wenn auch Ihre Töchter und Ihr Sohn in ihre Fußstapfen treten?

Vettel: Nein. Das ist auch noch viel zu weit weg. Ich wünsche, dass meine Kinder glücklich sind, egal was sie machen. Ich habe da null Erwartungen. Zum Glück. Ich habe schon so viele Leute erlebt, die viel, viel Geld haben und trotzdem nicht glücklich sind. Und umgekehrt. Glück ist, wenn man glücklich ist, egal warum. Und das will ich für meine Kinder. Ich weiß, es klingt romantisch, besonders wenn man selbst Geld hat. Aber es ist nun mal das, an was ich glaube.

Also ist es ein Luxusproblem, wenn Ihr Aston Martin auch nächstes Jahr nicht schnell genug ist, um zu siegen?

Vettel: Als Sportler ärgere ich mich und tue alles dafür, dass er schneller werden kann. Aber es ist nicht lebensbedrohlich, stimmt. In diesem Sinne ist es ein Luxusproblem, weil man über den eigenen Tellerrand hinausschauen kann. Aber das heißt nicht, dass man in seinem eigenen kleinen sportlichen Mikrokosmos nicht alles tun will, um zu gewinnen. Sonst würde es keinen Sinn mehr machen.

Also fahren Sie erst mal weiter?

Vettel: Erst mal ja. Aber natürlich stellt man sich manchmal die Sinnfrage. Sonst müsste ich lügen. Am Ende muss man den Spaß, die Freude, die man hat, gegen den negativen Aufwand abwägen. Wenn plötzlich negative Emotionen überwiegen, sollte Schluss sein.

Das Interview führte Ralf Bach. *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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