Vettel sagt der Formel 1 Servus – im ganz privaten tz-Interview: „Hey Seb, wie geht‘s dir jetzt?“
Sebastian Vettel fährt am Sonntag zum letzten Mal Formel 1. Der viermalige Weltmeister blickt vor dem Abschied im Interview auf seine Karriere zurück.
Abu Dhabi – Max Verstappen (24) ist Weltmeister, Mick Schumacher (23) verliert seinen Platz im Haas-Team, Mercedes will mit viel Schwung in die Winterpause: Vor dem letzten Formel-1-Saisonrennen in Abu Dhabi (Sonntag, 14 Uhr MEZ, Sky) ist das meiste geklärt. Zeit also, mit Sebastian Vettel (35) bei seinem 299. und letzten Grand Prix auf seine große Karriere zurückzublicken. Das tz-Interview mit dem viermaligen Champion:
Sebastian Vettel |
Geboren: 3. Juli 1987 in Heppenheim |
Rennstall: Aston Martin |
Karriereende: 2022 |
Größte Erfolge: 4 x Formel-1-Weltmeister (2010, 2011, 2012, 2013) |
Herr Vettel, wollen wir uns für unser letztes Interview Ihrer aktiven Karriere duzen – so, wie wir das auch seit zig Jahren abseits von Aufnahmegeräten machen?
(lacht:) Ja, ich fand es sowieso immer ein wenig befremdlich, wenn man sich plötzlich siezt, nur weil man ein Interview macht. Inhaltlich hat das nie etwas geändert.
Kommst du vor deinem letzten Rennen mit deinem Rücktritt klar?
Ja, vielleicht wird es bei der Zieldurchfahrt etwas emotional. Ich verdanke dem Sport so viel, da kann man dann schon mal sentimental werden.
Und mehr nicht?
Nein, ich habe es richtig gemacht. Ich habe erkannt, dass es jetzt Zeit war, Adieu zu sagen. Man muss wissen, wann Schluss ist. Das hat aber nichts mit Leistung zu tun. Das Fahren selbst macht mir immer noch Spaß, ich fühle mich auch noch konkurrenzfähig. Aber wenn die ernsten Gedanken, die man sich über seinen Sport macht, größer sind als das reine Vergnügen, und wenn man mehr Privatleben haben will als Zeit im Job zu verbringen, gibt es nur eine Entscheidung: Aufhören! Mag sein, dass ich Ende Februar kurz vor Saisonstart schweißgebadet in der Nacht aufwache. Aber das glaube ich eher nicht. Und wenn, muss ich da durch.

Formel 1: Vettel trauert verpassten WM-Titel mit Ferrari nach
Du hast mit vielen in letzter Zeit über deine Zukunft gesprochen. Ich würde aber gerne noch mal zurückblicken auf deine Karriere. Helmut Marko sagte, als er dich das erste Mal gesehen hat: Da war dieser kleine Junge mit ganz viel Eisen im Mund, der unzufrieden war darüber, dass er nur 18 von 20 Formel-BMW-Rennen gewonnen hat.
Korrektur: Damals hat er mich nicht kennengelernt, damals hat er mich schon gut gekannt. Das erste mal getroffen haben wir uns 2001 oder 2002 auf dem Red-Bull-Ring. Da kann er sich anscheinend nicht mehr dran erinnern. Da hatte ich auch, glaube ich, noch keine Zahnspange, die hatte ich erst ab 2003 oder 2004.
Wie hat dieser junge Kerl von damals getickt?
Genau wie Helmut es empfunden hat. Der Ehrgeiz von damals ist auch heute noch nicht verflogen. Natürlich kann man, wenn man älter ist, Dinge besser einordnen – aber grundsätzlich war es und ist es auch noch der Antrieb, zu siegen und besser zu sein als die anderen. Und dass sich Verlieren nicht gut anfühlt. Das geht uns Rennfahrern aber allen so. Beispiel Race of Champions: Eigentlich ist das nur eine Spaßveranstaltung. Trotzdem schaut ab der ersten Session jeder auf die Uhr und versucht, sich zu vergleichen. Manche bereiten sich wochenlang vor.
Ist die Formel 1 nicht besonders brutal in der Bewertung? Du wirst mit dem Aston Martin Achter in Spa – und wirst gelobt. Mit einem Ferrari kriegst du Schelte, obwohl du auf dem Podium stehst – weil du nicht gewonnen hast.
Ja, in der Hinsicht ist die Formel 1 und auch der Motorsport insgesamt unfair, weil man einfach so abhängig ist von seinem Material. Ich glaube aber trotzdem daran, dass man sein Schicksal selber in der Hand hat und man sehr viel Einfluss nehmen kann.
Du hast zuletzt über Selbstzweifel am Ende deiner Ferrari-Zeit gesprochen. Worauf beruhten die? War es nur wegen der Leistung von Leclerc?
Nein, ich glaube, da muss man die Situation insgesamt sehen. Natürlich war das Ferrari-Projekt von Anfang an für mich so, dass ich gedacht habe, ich will da was reißen. Weltmeister werden mit Ferrari, das war ja mein großes Ziel. Aber es gibt Erklärungen, warum es nicht geklappt hat: 2017 war das Auto gut, aber Motor noch zu schwach. 2018 hatten wir ein solides Auto und der Motor war auch besser, aber Mercedes war einfach unantastbar. Natürlich kamen dann auch zwei, drei Fehler von mir dazu, weil ich aufgrund der Umstände das Auto manchmal überfahren habe.
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Man entwickelt sich ja auch als Mensch weiter. Gibt es Situationen wie zum Beispiel in Malaysia 2013, die du heute ändern würdest? Damals hast du dich über die Red-Bull-Stallorder hinweggesetzt, den Teamkollegen Mark Webber überholt – und gewonnen.
Nein, das würde ich nicht ändern. Zu der Situation mit Mark Webber hatte ich ja schon immer eine klare Meinung. Gut, vielleicht würde ich es ändern, in dem ich es noch klarer machen würde (lacht). Aber das Ergebnis würde ich nicht ändern. Ich habe danach ja auch mit Mark gesprochen und ihm gesagt: „Unser Verhältnis war nicht das beste in den letzten Jahren. Du hast mir nicht geholfen – und deswegen fand ich, dass du es nicht verdient hattest, den Sieg geschenkt zu bekommen.“ Ich hatte ihn mir in dem Rennen fair und hart erkämpft.
Wie sieht es mit dem Rennen in Baku 2017 aus, als du Lewis Hamilton mit einem Rammstoß gezeigt hast, was du von seinem Bremstest hältst?
Das würde ich ändern. Einfach weil es unsportlich war. In dem Moment war es eine falsche emotionale Reaktion, es war, als hätte ich ihm auf dem Fußballplatz eine gescheuert. Es hat ihn jetzt nicht verletzt wie eine Backpfeife, weil die Autos dazwischen waren, aber ich bin danach auf ihn zugegangen – und genau diese Situation hat uns am Ende dann doch näher zusammen geführt.
Fühlst du dich mit den Auf und Abs deiner Karriere insgesamt fair bewertet, oder stört dich die oberflächliche Betrachtungsweise in der Formel 1?
Oberflächlichkeit gibt es überall. Die Formel 1 erzeugt sehr viel Interesse, zum Glück. Natürlich geht es damit einher, dass man sehr oft sehr vorschnell beurteilt wird. Ich glaube, das passiert in anderen Sportarten, die nicht so dieses Interesse erzeugen nicht so oft, und es geht dort vielleicht oft familiärer, fairer und besser zu. Aber es ist immer ein Geben und Nehmen. Missverstanden wurde ich vielleicht ab und zu, aber grundsätzlich fühlte ich mich immer gerecht und fair behandelt.
Was würdest du dem kleinen Jungen mit der Zahnspange sagen, wenn du ihm aus heutiger Sicht einen Tipp geben könntest?
Die Zeiten sind andere. Wenn ich heute 20 wäre, würde es bestimmt eine andere Reise werden. Aber eins würde ich den Kids ganz bestimmt sagen, das hat mit Zivilcourage zu tun: Macht Euren Mund auf, wenn es um eine gute Sache geht!
Interview: Ralf Bach