Die Top Ten der Formel-1-Revolutionen

Die Formel 1 hat ein neues Wunderauto! Der doppelte Unterboden am Brawn BGP 001 ist einer der Geniestreiche, wie es sie heute im Grand-Prix-Zirkus kaum mehr gibt.
Grund: Das eng gefasste Reglement verhindert meist radikale Neuerungen. Früher war das anders. Wir präsentieren Ihnen die zehn größten Formel-1-Revolutionen der Neuzeit – vom Sechsradler bis zum Turbo-Auto.
Das Spoiler-Auto (1968): In Monaco taucht Lotus erstmals mit Front- und Heckspoilern auf, die den 49B von Graham Hill besser auf die Straße pressen. Im Laufe der Saison wuchern die Flügel bei allen Teams zu regelrechten Monstern, die an meterhohen Stangen befestigt sind. Weil die abenteuerlichen Konstruktionen zum Abbrechen tendieren (vier Tote allein 1968!), wird der extreme Geflügelsalat schnell wieder verboten. Doch Formel-1-Autos ohne Spoiler sind bis heute undenkbar.
Die Slick-Reifen (1971): Die Idee kommt aus den USA, wo Dragster-Fahrer schon seit den 50ern ihre Reifen „rasieren“. Vorteil der profillosen Slicks: Mehr Gummi-Kontakt mit der Straße, bessere Haftung. 1971 startet die Formel 1 erstmals auf Slicks. Seit heuer sind die „rasierten“ Reifen wieder erlaubt.
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Der Sechsradler (1976): Ein Formel-1-Auto wie ein Ufo. Der Tyrrell P34 hat sechs Räder – vorne sollen vier winzige Rädchen für bessere Aerodynamik sorgen. Konstrukteur Derek Gardener: „Ich hatte ausgerechnet, dass das so viel bringt wie 50 Extra-PS.“ Klappt leider nicht ganz. Pilot Jody Scheckter hasst das Auto („Ein Haufen Schrott“). Er gewinnt zwar 1976 in Schweden – aber weil Goodyear die Minireifen nicht weiterentwickelt, fällt Tyrrell zurück. Ende 1977 fährt der „Tausendfüßler“ ins Museum.
Der Turbomotor (1977): In Silverstone bringt Renault die gelbe Turbo-Banane RS01 auf die Strecke – mit 580 statt der üblichen 510 Saugmotor-PS. Zwei Jahre lang explodiert der Turbo so zuverlässig, dass ihn die Konkurrenz als „Teekessel“ verspottet. Ab 1979 lacht Renault: Premieren-Sieg für Jean-Pierre Jabouille. Den ersten Turbo-Titel holt aber Nelson Piquet 1983 im Brabham-BMW, den die Münchner als Gaudi auch mal mit Weißbier kühlen. Nachdem die Turbos zu Höllenmaschinen mit bis zu 1400 PS mutieren, wird der Spuk Ende 1988 verboten.
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Das Flügel-Auto (1977): Anfang 1976 hat Lotus-Chef Colin Chapman eine neue Idee: Wenn man die Flügelprofile, die an einem Flugzeug für Auftrieb sorgen, umdreht und an den Autoboden schraubt, könnten sie den Rennwagen in Kurven auf die Straße pressen. Das Konzept funktioniert: 1977 bringt Chapman mit dem Lotus 78 das erste „Ground-Effect“-Auto in die Formel 1, 1978 holt Mario Andretti den Titel. Weil die Kurvengeschwindigkeiten immer irrsinniger werden, ist die Flügelei ab 1983 untersagt.
Der Staubsauger (1978): Konstrukteur Gordon Murray hängt einen riesigen Ventilator ins Heck des Brabham-Alfa BT46 – offiziell, um den Motor zu kühlen. Ist aber gelogen: Der Ventilator erzeugt ein Vakuum unter dem Auto und sorgt dafür, dass es auf der Straße klebt. Der BT46B fährt wie auf Schienen – aber nur einmal, Niki Lauda siegt in Schweden überlegen. Dann wird der Staubsauger verboten, mit der fadenscheinigen Begründung, dass er Steine auf die Hinterherfahrenden schleuderte. Niki verärgert: „200.000 Pfund Entwicklungskosten beim Teufel.“
Das doppelte Auto (1981): Chapmans letzter Geniestreich bleibt erfolglos. Er baut 1981 zwei Autos in einem. Über eine Karosserie, in der der Fahrer sitzt, wird eine zweite gestülpt, die das Gefährt auf die Straße presst. Nigel Mansell muss Versuchskarnickel spielen, aber der Lotus 88 wird noch vor dem ersten Renneinsatz verboten.
Das Kohlefaser-Auto (1981): Als Ron Dennis McLaren übernimmt, lässt er Konstrukteur John Barnard ein revolutionäres Auto bauen – der McLaren MP4/1 besteht nicht mehr aus Alu, sondern aus extrem leichter und harter Kohlefaser. Vorteile: Das Auto wird steifer – und der Fahrer ist bei Unfällen so gut geschützt wie nie zuvor. Deshalb gibt Niki Lauda sein Comeback 1982 auch im McLaren, und nicht im Alu-Williams. Gebaut wird der MP4/1 übrigens bei Hercules – der US-Rüstungsfirma, die auch die Pershing-II-Raketen herstellt.
Das aktive Auto (1987): Chapman ist schon tot, als Lotus seine letzte Revolution anzettelt. Ayrton Senna sitzt 1987 im Lotus 99T, dem ersten Formel 1 mit „aktiver“ Radaufhängung. Ein vorsintflutlicher Bordcomputer sorgt dafür, dass das Auto immer den gleichen Abstand zum Boden einhält. 1992 und 1993 funktioniert das System bei Williams so gut, dass Mansell und Prost zum WM-Titel spazierenfahren können. Danach wird die Science-Fiction-Spielerei vom Reglement „deaktiviert“.
Das Automatik-Auto (1989): Bei Ferrari baut Barnard den F1 640, das erste Formel-1-Auto ohne Schaltknüppel. Stattdessen bedienen Nigel Mansell und Gerhard Berger das Halbautomatik-Getriebe mit Wippen am Lenkrad. Bis zum Saisonstart 1989 in Rio zickt die Technik. Teamchef Cesare Fiorio will Mansell mit halbleerem Tank starten lassen, um wenigstens für eine gute Show zu sorgen – irgendwann würde die Kiste ohnehin zusammenbrechen. Doch Mansell lässt volltanken, siegt sensationell. Und „gewippt“ wird am Formel-1-Lenkrad bis heute.
Jörg Heinrich