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Ballack: "Deutschland fehlen die Typen"

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Michael Ballack © dpa

München - "Man darf sich die EM jetzt nicht schönreden." Michael Ballack schreibt in seiner tz-Experten-Kolumne Klartext. Und analysiert die Gründe für das deutsche EM-Aus.

Haben Sie die Italiener gesehen? Haben Sie in ihre Gesichter gesehen, als sie ihre Nationalhymne geschmettert haben? Ich habe in ihre Gesichter gesehen. Sie drückten unglaublichen Siegeswillen aus. Sie waren heiß, sie waren selbstbewusst, sie waren geil auf den Sieg! Diese pure Leidenschaft hat mir bei uns gefehlt. Im Gegenteil: Ich hatte sogar den Eindruck, als ob wir ein wenig ängstlich waren.

Joachim Löw hat nach dem Spiel gesagt, er sei enttäuscht. Aber er würde das Turnier insgesamt als positiv betrachten. Ich sehe das ein wenig anders.

Man darf sich die EM jetzt nicht schönreden. Die Spieler haben vom Titel geredet. Und sie hatten die Qualität dafür. Aber sie haben nicht genug daran geglaubt. Deshalb ist das Aus im Halbfinale – gemessen am Können der Mannschaft – diesmal eine Enttäuschung. Und es gibt Gründe dafür.

War es richtig, dass Joachim Löw die ganze Vorrunde kaum gewechselt hat und in den entscheidenden K.o-Spielen die Mannschaft plötzlich immer wieder erheblich verändert hat? Dadurch ging der Rhythmus verloren, Unsicherheit kam auf.

"Balla-Balla-Balotelli ballert Deutsche ab" - Pressestimmen zum Deutschland-Aus

Ich halte Joachim Löw weiterhin für den richtigen Trainer. Er darf jetzt nicht zurücktreten. Er hat eine junge, gute Mannschaft zusammengestellt. Aber wenn du es nach 2008, 2010 und jetzt wieder nicht schaffst, einen Titel zu holen, fehlt irgendetwas.

Löw muss jetzt den richtigen Schlüssel finden und in zwei Jahren bei der WM in Brasilien noch einmal angreifen.

Aber wo liegt der Schlüssel?

Viele können es vielleicht nicht hören. Aber man hat es gegen Italien gesehen: Uns fehlen Typen wie zum Beispiel Pirlo oder Buffon.

Pirlo hat vor dem Halbfinale gesagt, dass Deutschland vor Italien Angst habe. Damit wollte er provozieren. Aber damit hat er die eigene Mannschaft auch gepusht. Bei uns habe ich niemanden gesehen, der das machte. Im Gegenteil: Bastian Schweinsteiger sprach sogar davon, dass er es akzeptieren würde, wenn der Trainer ihn auf die Bank setzt. Nein, so kannst du dir keinen Respekt beim Gegner einholen. Und damit sendest du auch an die eigene Mannschaft ein falsches Signal.

Das Beispiel Pirlo zeigt auch: Natürlich braucht eine Mannschaft Typen mit Ecken und Kanten. Die auch mal provozieren, die reiben. Solche Spieler sind da, wenn es in den entscheidenden Momenten um Alles geht.

Die Italiener waren wieder da. Wir nicht.

Obwohl die Azzurri diesmal von der Qualität her die weitaus schlechtere Mannschaft als wir hatten, haben sie uns wieder aus dem Turnier geworfen. Das muss uns nachdenklich stimmen.

Die deutsche Nationalmannschaft hat stets die positive Berechenbarkeit ausgezeichnet. Das ist wie bei den unseren Autos. Sie haben eine Qualität, die es so auf der ganzen Welt nicht gibt. Die Menschen wissen, was sie erwartet, wenn sie ein deutsches Auto kaufen. So sollte es auch mit der Nationalmannschaft sein.

Unbedingter Siegeswille und Disziplin haben uns immer ausgezeichnet. Das müssen wir wieder in die Köpfe der Spieler bekommen. Gepaart mit dem großen Talent glaube ich, dass wir dann bei der WM 2014 in Brasilien um den Titel mitspielen werden.

Michael Ballack

Der Tag danach: Schwerer Abschied, herzlicher Empfang

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