Bundesliga in der Corona-Krise? Kühnert kritisiert Neustart-Pläne: „Imageschaden größer als die Pandemie“
Die Bundesliga steht Mitte oder Ende Mai vor der Wiederaufnahme, insofern es grünes Licht von der Politik gibt. Für Kevin Kühnert ist eine Fortsetzung der Saison nicht vermittelbar.
- Die Fußball-Bundesliga* pausiert aktuell wegen der Coronavirus-Pandemie
- Kommende Woche wird über einen möglichen Neustart verhandelt - Kevin Kühnert kritisiert dies
- Der Bundesvorsitzende der Jusos spricht im Interview über seine Liebe zum Fußball
München – Die Entscheidung ist vertagt. Am 6. Mai findet die nächste Konferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten statt. Dann könnte auch entschieden werden, ob und wann die Fußball-Bundesliga wieder ihren Betrieb aufnimmt. Die Ministerpräsidenten Armin Laschet und Markus Söder haben sich für eine Fortsetzung der Saison ausgesprochen, auch das Arbeitsministerium hat grünes Licht gegeben. Für Kevin Kühnert (30) sind Spiele in der Bundesliga in der aktuellen Phase nicht vermittelbar. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Bundesvorsitzende der Jusos und stellvertretende Vorsitzende der SPD über die Diskussionen rund um den Fußball, eigene Fanerfahrungen und die Förderung von Sport bei den Frauen.
Kevin Kühnert, die Bundesliga steht vor der Wiederaufnahme Mitte oder Ende Mai – vorausgesetzt es gibt seitens der Politik grünes Licht. Wie stehen Sie dazu?
Kevin Kühnert:
Als Fan muss ich sagen: Klar vermisse auch ich den Fußball extrem. Ich halte diese Entscheidung aber nicht für vermittelbar. Der Fußball fügt sich damit einen erheblichen Imageschaden zu, mutmaßlich einen größeren, als es die Pandemie tut. Die Gesellschaft leidet unter der Corona-Krise* und kämpft mit den Folgen und Auswirkungen. In so einer Phase möchte der Profifußball den Spielbetrieb wieder aufnehmen – das hat eine ungeheure negative Symbolkraft. Tausende Corona-Tests für die Spieler, während nicht mal das medizinische Personal fortlaufend getestet wird sowie Zweikämpfe und Rudelbildungen in Zeiten von Abstandsgeboten, das wird doch sehenden Auges nach hinten losgehen.
Bundesliga/Corona-Krise: „Negative Symbolkraft“ - SPD-Politiker Kevin Kühnert kritisiert Neustart-Pläne scharf
Neben den wirtschaftlichen Faktoren zielten die Argumente für eine Saisonfortsetzung oft auch darauf ab, dass den Menschen wieder ein Stück Normalität und Lebensqualität zurückgegeben werden soll.
Kühnert:
Die Freude an Geisterspielen ist nur eine getrübte, und sie wird bei den meisten schnell erschöpft sein. Die Vorstellung, dass eine Mannschaft Meister wird und der Jubel in der Stille des leeren Stadions verebbt – das hat doch nichts mit dem zu tun, was man als Fan liebt. Der Zugewinn an Lebensqualität steht in keinem Verhältnis zu der schon angesprochenen Signalwirkung. Mir ist natürlich bewusst, dass die Bundesliga ein riesiger Arbeitgeber ist und die wirtschaftlichen Faktoren eine große Rolle spielen.
Aber?
Kühnert:
Mir hat da aber das Signal gefehlt, dass der Fußball im Bündnis mit der Öffentlichkeit Druck auf die Rechteinhaber macht. Es gab kaum Diskussionen darüber, wie ein geordneter Saisonabbruch abgewickelt werden könnte. Stattdessen wurde von Anfang an versucht, die Fortsetzung durchzuboxen, komme, was wolle. Dadurch hat man die Rechteinhaber in eine gute Verhandlungsposition gerückt. Ich hätte mir zum Beispiel vorstellen können, dass die Vereine die vereinbarten Gelder für die Saison jetzt ausgezahlt bekommen und dafür in den nächsten Spielzeiten Abzüge bei den TV-Geldern haben, um das in verträglichen Häppchen wieder auszugleichen. Generell fürchte ich, dass die schrittweise Entfremdung der Fans vom System Fußball, die latent in den letzten Jahren schon eine große Rolle gespielt hat, jetzt noch größer wird.
Bundesliga/Corona-Krise: Kevin Kühnert kritisiert Verhalten der Verbände gegenüber Fans
Was stört Sie als Fußballfan an der Bundesliga?
Kühnert:
Sie ist sehr steril geworden. Regelmäßig werden zum Beispiel Choreografien und Mottotage von den Vereinen und nicht mehr von den Fans organisiert. Zudem haben sich die Verbände auch oft selbst ins Knie geschossen durch übertriebene Restriktionen gegen die Fans. Ein Beispiel von vielen sind die Kollektivstrafen gegen Zuschauer, die es zuletzt wieder häufiger gab – das sind meiner Meinung nach Kanonenschläge gegen Spatzen. Bei manchen Spielern und Verantwortlichen merkt man zudem eine sinkende Identifikation mit dem Verein. Auch Spieler agieren immer mehr als Manager ihrer eigenen Karriere, die dann alle zwei Jahre das Unternehmen wechseln. Richtige Vereinstreue und Leidenschaft gibt es nur noch selten.
Sie haben eine Dauerkarte bei Arminia Bielefeld. Ist der Fußball in der 2. Bundesliga noch mehr Leidenschaft und weniger Geschäft?
Kühnert:
Da kann ich natürlich nur für mich und meine eigenen Erfahrungen als Fan sprechen. Seit meiner Kindheit drücke ich ja auch dem FC Bayern die Daumen. Die Spieltage gleichen dort aber oft einer ermüdenden Routine. Rund um das Spiel gibt es ein Programm, das abgespult werden muss, und das Sportliche selbst wird eher routiniert erledigt. Bei den Spielen von Bielefeld ist schon der kollektive Marsch zum Stadion ein Erlebnis. Die meisten Fans gehen zu Fuß zur „Alm“, man freut sich zusammen auf das Spiel und verspürt schon diese Euphorie: Gleich stehe ich in der Kurve und singe mit Zigtausenden Menschen meine Mannschaft voran. In Bielefeld treffen sich viele Fans am „Siggi“ vor den Spielen und es gibt einen Rentner, der Bier aus seiner Garage raus verkauft. Das sind doch die Geschichten, die man beim Fußball liebt.
Bundesliga/Corona-Krise: Kühnert vermisst von DFB und DFL das Feingefühl
Bei Geisterspielen spürt man deutlich, wie wichtig die Fans für den Sport sind. Haben die Kurven in den letzten Jahren zu wenig Wertschätzung seitens der Verbände und Vereine bekommen?
Kühnert:
Mir hat oft das richtige Gefühl vom DFB oder der Liga für die Fans gefehlt. Noch immer wird zu häufig über anstatt mit den Fans gesprochen und das Gerede von den „sogenannten Fans“ nach jedem gezündeten Bengalo ist ein ermüdendes Ritual geworden. Der Fußball funktioniert in Deutschland auch über eine vitale Fankultur. Kurven verstehen sich vielerorts auch als Wertegemeinschaft mit einer sozialen Verantwortung. Sie engagieren sich für die Gesellschaft und positionieren sich politisch.
Für einen Verein mit einer klaren politischen Haltung schlägt ja auch ihr Herz.
Kühnert:
Tennis Borussia, mein lokaler Lieblingsclub in Berlin, ist ein Verein mit einer starken jüdischen Tradition. Unter anderem war Hans Rosenthal lange Präsident des Vereins. Die Fanszene wurde häufig beschimpft und musste sich Anfeindungen aussetzen. Wir haben aber nicht zurückgepöbelt, sondern stattdessen Kampagnen gegen Homophobie oder Antisemitismus gestartet. Aus den Schmähungen haben wir also ein Image gemacht. Damit kann ich mich gut identifizieren. Das steht auch stellvertretend für die große Kreativität und Leidenschaft in vielen Kurven. Im Endeffekt freuen sich doch einfach alle darauf, dass sie am Wochenende für ein paar Stunden abschalten können. Auch wenn es unter der Woche nicht so gut lief und man schlecht drauf ist, kann man sich immer noch auf das Spiel am Wochenende freuen.
Von solchen Spielen sehen Sie als Groundhopper ziemlich viele.
Kühnert:
Ich habe das Glück, dass mein Terminkalender zwar voll ist, ich ihn mir aber sehr selbstständig zusammenstellen kann. Wenn Bielefeld beispielsweise ein Auswärtsspiel in Niedersachsen hat, versuche ich dort einen Termin wahrzunehmen und kann mir zudem das Spiel anschauen. Ich schaue aber auch viele Spiele im Amateursport, es muss nicht immer der Profibereich sein.
Bundesliga/Coronavirus: Kühnert kritisiert den unterschiedlichen Saisonabbruch beim Handball
Als Politiker sind Sie lange Arbeitstage und endlose, vermutlich oft nervenaufreibende Diskussionen gewohnt. Ist der Besuch eines Fußballspiels in der Kreisliga dann die notwendige mentale Entspannung?
Kühnert:
Genau das ist es. Niemand geht zu einem Spiel in der siebten Liga, um hochklassigen und taktisch anspruchsvollen Fußball zu sehen. Es geht vielmehr um die Atmosphäre – der ganze Ort trifft sich sonntags am Sportplatz. Es ist eine Mischung aus vielen unterschiedlichen Leuten, die das gleiche Hobby fasziniert. Bei einem Bier und einer Bratwurst kann man einfach mal für zwei Stunden viele Sorgen vergessen. Und wenn die Mannschaft verliert, für die man mitgefiebert hat, dann geht es zumindest nicht gleich um die Existenz. Ich nehme aber nicht nur Fußballspiele mit, sondern schaue auch Eishockey, Volleyball oder Handball live.
Die kleineren Sportarten stehen in den aktuellen Diskussionen mal wieder im Schatten von König Fußball. Was kann die Politik tun, damit auch Sportarten, die nicht über die gleiche Wirtschaftskraft wie der Fußball verfügen, einen größeren Einfluss haben?
Kühnert:
Aufmerksamkeit kann man natürlich nicht herbeibeschließen. Und es gibt nicht nur eine große Diskrepanz zwischen den einzelnen Sportarten, sondern auch zwischen Sport bei den Männern und Sport bei den Frauen. In der Politik geht es auch immer um Symbole. Wenn vermehrt Politiker nicht mehr nur Spiele der Männernationalmannschaft, sondern auch von der Frauennationalmannschaft besuchen, hätte das schon eine starke Signalwirkung. An einem aktuellen Beispiel aus dem Handball sieht man wieder die Unterschiede: Kiel wird bei den Männern trotz der abgebrochenen Saison zum Meister erklärt, den Frauen von Dortmund bleibt die Meisterschaft jedoch verwehrt. Da drängt sich natürlich der Verdacht auf, dass die grauen Zellen dann vermehrt angestrengt werden, wenn es um größere Geldbeträge geht, und dass die vielen Männer an den Verbandsspitzen auch eher den Männersport im Blick haben, oftmals unbewusst. Ich sehe das ganze Problem deutlich bei mir in der Kommunalpolitik. Wer wie der Männerfußball seit Urzeiten existiert, beruft sich auf traditionelle Trainingszeiten und –flächen. Der erst vor 50 Jahren legalisierte Frauenfußball sowie jüngere Sportarten streiten dann um die zu wenigen Reste. Fehlende Sportflächen sind aktuell eine Engagement-Bremse für Vereine, die ihr Profil erweitern und vielfältiger werden wollen. Das muss sich dringend ändern, und dafür arbeite ich auch.
Interview: Nico-Marius Schmitz
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