1. tz
  2. Sport
  3. Fußball

Zu grün hinter den Ohren – oder die einzig richtige Wahl? Pro und Contra zu Bundestrainer Nagelsmann

Kommentare

Julian Nagelsmann wird Bundestrainer. Ist das die richtige Entscheidung vor der EM in Deutschland? Ein Pro und Contra.

Pro: „Nagelsmann ist die einzig logische und zudem noch herausragende Wahl“, sagt Korbinian Kothny.

Contra: „Julian Nagelsmann ist noch zu grün hinter den Ohren und fehlt die Erfahrung“, sagt Florian Schimak.

Frankfurt – Seit Freitagmittag ist es offiziell: Julian Nagelsmann ist neuer Bundestrainer und führt die Fußball-Nationalmannschaft bei der EM im eigenen Land an. In neun Monaten soll Nagelsmann das gelingen, was Hansi Flick in knapp zwei Jahren nicht geschafft hat: für Aufbruchstimmung in der Bundesrepublik zu sorgen.

Ist Nagelsmann dafür die richtige Wahl? Fußball–Deutschland scheidet sich an dieser Frage. Immerhin ist Nagelsmann mit 36 Jahren der jüngste Bundestrainer in der Geschichte. Ein Pro und Contra zur Nagelsmann-Entscheidung.

Der Standpunkt der Debatte:

FC-Bayern-Reporter Florian Schimak hält Julian Nagelsmann nicht für die optimale Besetzung als Bundestrainer.
FC-Bayern-Reporter Florian Schimak hält Julian Nagelsmann nicht für die optimale Besetzung als Bundestrainer. © IPPEN.MEDIA

Julian Nagelsmann ist noch zu grün hinter den Ohren – ihm fehlt die Erfahrung

Julian Nagelsmann ist fachlich ein herausragender Trainer, darüber bestehen keine Zweifel. Allerdings benötigt ein Bundestrainer eine gewisse Lebenserfahrung, sowohl sportlicher als auch persönlicher Natur. Die kann er mit 36 Jahren einfach noch nicht haben.

Sein Engagement beim FC Bayern hat gezeigt, dass er für manche Situationen einfach noch zu grün hinter den Ohren ist. Das soll gar kein Vorwurf oder gar Kritik sein, aber Nagelsmann kann manche Dinge im Trainerleben de facto noch gar nicht erfahren haben. Bestes Beispiel ist doch jetzt Hansi Flick, der am Ende teilweise überfordert wirkte. Auch er hatte „lediglich“ den FC Bayern als Chefcoach trainiert.

Nagelsmann nimmt sich zu wichtig

Nagelsmann als Bundestrainer bis zur EM 2024 – das liest sich wie ein Projekt. Klar, was dahinter steckt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der 36-Jährige aufgrund seiner Vita wirklich das Fußball-Feuer einer ganzen Nation entfachen kann. Nagelsmann hat die TSG Hoffenheim, RB Leipzig und für anderthalb Jahre die Bayern trainiert, das sind keine Vereine, mit denen er bei den BVB- oder Schalke-Fans offene Türen einrennt und die einem Nagelsmann-Engagement von vornherein skeptisch gegenüberstehen.

Zwar ist der gebürtige Bayer rhetorisch ungemein begabt, aber nicht zwingend ein Menschenfänger, weil ihm in einigen Situationen ganz einfach noch die Reife fehlt. Als Bayern-Trainer nahm er sich in manchen Situationen zu wichtig, was weder bei Spielern noch bei Verantwortlichen wirklich gut ankam. Nagelsmann darf und sollte die Heim-EM als Bundestrainer nicht als Ego-Show wahrnehmen. Es bleibt zu hoffen, dass er aus seiner Zeit an der Säbener Straße gelernt hat.

Nagelsmann tut sich mit dem Job selbst keinen Gefallen

Welches Ziel verfolgt Nagelsmann als Nationaltrainer? Klar, schlechter als in den vergangenen Jahren kann es für das DFB-Team nicht laufen. Aber sollte die EM im eigenen Land ähnlich erfolglos wie die letzten beiden Weltmeisterschaften verlaufen, wäre Nagelsmann auch verbrannt.

Beim FC Bayern gescheitert, die Heim-EM beim DFB an die Wand gefahren – da kommt dann vermutlich nicht mehr Real Madrid und fragt an. Auch wenn sein Aus beim FC Bayern noch immer diskutabel ist, hat dies Spuren hinterlassen. Immerhin war Nagelsmann klug genug, nicht das erstbeste Angebot danach anzunehmen. Ob er sich jetzt mit dem Bundestraineramt einen Gefallen tut, werden wir spätestens in neun Monaten sehen. Es gibt berechtigte Zweifel. Florian Schimak

Die Fakten zur Debatte:

Der Standpunkt der Debatte:

Sportredakteur Korbinian Kothny ist von der Lösung Julian Nagelsmann überzeugt.
Sportredakteur Korbinian Kothny ist von der Lösung Julian Nagelsmann überzeugt. © IPPEN.MEDIA

Nagelsmann ist die einzig logische und zudem noch herausragende Wahl

Was sollte das Hauptkriterium für einen Bundestrainer sein? Alter, Auftreten, Ausstrahlung? Nein. Klar, eine gewisse Reife oder Ausstrahlung à la Franz Beckenbauer schaden keinem Trainer dieser Welt, aber das Hauptkriterium für die Ernennung des wichtigsten Trainerstuhls der Bundesrepublik muss immer noch die erbrachte Leistung sein. Und Nagelsmann hat in seiner Karriere bis jetzt immer geliefert.

Zur Erinnerung: Nagelsmann wurde im März entlassen, als der FC Bayern noch in allen drei Wettbewerben berechtigte Titelchancen hatte und acht von acht Champions-League-Spielen in dieser Saison gewonnen hat – darunter zwei überaus souveräne Auftritte gegen das Starensemble von Paris St. Germain. Mit Leipzig erreichte er zudem das Halbfinale der Königsklasse und Hoffenheim bewahrte er in seinen ersten Monaten vor dem fast schon sicheren Abstieg. Mit damals 28 Jahren! Dass Nagelsmann trotzdem die Erfahrung – mit jetzt fast einem Jahrzehnt als Chefcoach im Bundesliga-Alltag – fehlen soll, ist schlicht und einfach falsch.

Nagelsmann trifft auf etliche Fürsprecher im DFB-Team

Klar, die Zeit bis zur Heim-EM ist kurz. In nicht mal neun Monaten soll Julian Nagelsmann aus einem gefallenen Riesen einen Titelanwärter formen, der am besten in Deutschland noch eine Stimmung wie beim Sommermärchen 2006 entfachen soll. Aber genau deswegen ist Nagelsmann die einzig logische Wahl.

Der 36-Jährige kennt bereits nahezu den gesamten DFB-Kader und insbesondere die Bayern-Spieler, auf die es nun mal ankommen wird. Und diese stehen hinter ihm! Manuel Neuer mal ausgenommen. Dass ein Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder Serge Gnabry für Nagelsmann durchs Feuer gehen werden, steht außer Frage. Dazu kommen Spieler wie Timo Werner, Benjamin Henrichs oder Niklas Süle, die allesamt unter Nagelsmann zurück zu alter Stärke fanden oder ihren Durchbruch schafften. Mit der Entscheidung für Nagelsmann hat der DFB auf einen Schlag unzählige (Führungs-)Spieler hinter sich gebracht. Das wäre bei einem Felix Magath oder Louis van Gaal eher nicht der Fall gewesen.

Nagelsmann liefert Meisterwerk bei Vorstellung

Spätestens nach der Pressekonferenz zu seiner eigenen Vorstellung sollte aber allen klar sein: Nagelsmann ist der richtige Mann für diese Herkules-Aufgabe. Auf kritische Fragen zu Manuel Neuer oder seiner Bayern-Zeit antwortet der 36-Jährige äußerst reflektiert, gibt zu, Fehler begangen zu haben und nun nach vorne zu blicken.

Sein Meisterwerk schlechthin liefert Nagelsmann aber zur Frage: Warum nur bis zur EM 2024? „Mir ist es wichtiger, sich Vertrauen zu erarbeiten, als in Form eines Papiers zu haben.“ Rumms! Dass er gleichzeitig eine weitere Zusammenarbeit im Falle einer erfolgreichen EM nicht ausschließt, lässt die Kritiker zu den eigentlich zu Kritisierenden werden. Ein Mann, der seine eigenen Ambitionen auf Vereinsebene dermaßen hinten anstellt, zudem noch auf einen Haufen Batzen Geld verzichtet, um seinem Land im Notfall zur Seite zu springen, ist schlicht und einfach die richtige Wahl. Korbinian Kothny

Stimmen Sie ab! Und teilen Sie uns Ihre Meinung unter den Kommentaren mit!

IPPEN.MEDIA: Netzwerk für Meinungsvielfalt

„Ansichtssache“: Hier kommen Menschen mit Haltung zu Wort. Sie stoßen eine Debatte an – zu Themen, die unsere Gesellschaft bewegen.

Das IPPEN.MEDIA-Netzwerk ist einer der größten Online-Publisher Deutschlands. An den Standorten Berlin, Hamburg/Bremen, München, Frankfurt, Köln, Stuttgart und Wien publizieren Journalistinnen und Journalisten für mehr als 50 Nachrichtenangebote. Dazu zählen u.a. Marken wie Münchner Merkur, Frankfurter Rundschau und BuzzFeed Deutschland.

Nachrichten, Interviews, Analysen und Kommentare aus dem IPPEN.MEDIA-Netzwerk erreichen mehr als 5 Millionen Menschen täglich in Deutschland.

Auch interessant

Kommentare