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Goldene Generation bleibt unvollendet

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Sami Khedira (r.) hilft Mesut Özil auf © dpa

Warschau - Die Durststrecke der deutschen Nationalmannschaft wird immer länger. Auch die Goldene Generation geht leer aus. Bundestrainer Jogi Löw ist mit schuld.

Mesut Özil sank wie vom Blitz getroffen zu Boden, jede Emotion schien aus seinem Körper gewichen. Thomas Müller erstarrte erst zur Salzsäule, dann schlich er auf die

Ersatzbank, zog ein Handtuch über den Kopf und weinte. Er bot ein Bild des Jammers, ebenso wie Bastian Schweinsteiger, dem wie nach dem albtraumhaften Endspiel in der Champions League die Tränen in die Augen schossen. Bundestrainer Joachim Löw, der sich beim Aufstellungspoker gewaltig verzockt hatte, versuchte einstweilen wie in Trance, seinem Kollegen Cesare Prandelli im Tohuwabohu auf dem Rasen des Warschauer Nationalstadions zu gratulieren. Kurz zuvor, um 22.38 Uhr, hatten sich die Titelträume der deutschen Nationalmannschaft bei der EM in Polen und der Ukraine in Luft aufgelöst - ausgerechnet gegen Italien. Der Angstgegner schickte Deutschland mit einem 2:1 (2:0) in ein Tal der Tränen. Statt nach Kiew, wo Löw und seine Rekordjäger am Sonntag den ersten Titelgewinn seit 1996 perfekt machen wollten, ging der Flug nach Frankfurt/Main. Dort, wo sie am 4. Juni voller Zuversicht in das Abenteuer EURO gestartet waren, landeten die Unvollendeten am Freitagnachmittag völlig konsterniert.

Liebe Spielerfrauen, ihr müsst jetzt schön trösten!

„Alle sind total enttäuscht. Wir brauchen eine Zeit, um aus diesem Loch wieder rauszukommen“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der zugleich ein wenig mit dem Schicksal haderte: „Es ist im Augenblick ein Stück zum Verzweifeln. Irgendetwas hat sich gegen uns verschworen, wenn es gegen Italien geht.“ Beim Abschlussessen im Restaurant des Teamhotels Mercure Grand machte Niersbach der Mannschaft aber wieder Mut: „Der Weg dieser Mannschaft ist noch lange nicht zu Ende. Weil die Mannschaft jung ist, weil sie Talent hat, weil sie keine Elf, sondern ein großes Team ist.“

Sieben Turnierspiele hatte Deutschland gegen Italien nicht gewonnen - im achten, dem EM-Halbfinale, stellte sich die Auswahl des DFB selbst ein Bein. Das hatte schon bei der Mannschaftsaufstellung begonnen: Löw, der in den vier Turnierspielen zuvor zuverlässig ein goldenes Händchen bei den Personalentscheidungen bewiesen hatte, schoss ein Eigentor mit der Nominierung von Mario Gomez, Toni Kroos und Lukas Podolski. Das Pokerface hatte sich total verzockt. Im Tennis sagt man dazu: „unforced error“, Fehler ohne Not.

„Im Nachhinein kann man immer sagen, man hätte dieses und jenes anders machen können“, sagte Löw. Aber Mario Gomez habe in der Vorrunde drei Tore geschossen „und war nach dem Griechenland-Spiel sehr motiviert, weil er nicht von Beginn an gespielt hat“. Kroos habe er „zusätzlich an zentraler Stelle im Mittelfeld“ haben wollen, um dort Daniele De Rossi und vor allem Andrea Pirlo aus dem Spiel zu nehmen. Eine Erklärung für eine fast nicht nachvollziehbare Rotation.

Vorrundenheld Gomez stand gegen Italien bis zur Auswechslung nach der Halbzeit neben den Schuhen, Kroos erfüllte seine Aufgabe nur bedingt. Miroslav Klose und Marco Reus, beim 4:2 im Viertelfinale gegen Griechenland die Besten in der deutschen Auswahl, kamen erst nach der Pause. Da stand es bereits 0:2 durch die Treffer des überragenden Mario Balotelli (20./36.). Das Bemühen um die Wende in der zweiten Halbzeit war aller Ehren wert. Doch zu mehr als zum viel zu späten Anschlusstreffer per Handelfmeter durch Mesut Özil (90.+2) reichte es eben nicht.

Löw wehrte sich aber dagegen, nun das Gesamtkunstwerk Nationalmannschaft wegen einer Niederlage gegen Italien beschädigen zu lassen. „Natürlich ist die Enttäuschung zunächst mal sehr groß“, sagte er, aber „es gibt nach einem Spiel keinen Grund, alles in Frage zu stellen.“ Die Mannschaft habe „eine phänomenale Vorrunde bestritten mit drei Siegen und auch das Viertelfinale gewonnen“. Doch es bleibt die Erkenntnis: Trotz aller Rekorde und Highlights seit der WM 2010 ist die deutsche Mannschaft immer noch zu grün, um einen Titel zu gewinnen.

Bei den Spielern herrschte Fassungslosigkeit, die auch mit ein paar Bier in der Nacht nicht gleich runtergespült werden konnte. „Wir haben alles versucht, alles gegeben, aber das reicht dann eben nicht“, sagte Kapitän Philipp Lahm, der seit 2004 einem Titel hinterherläuft. „Die Enttäuschung ist immens groß. Wir haben uns selbst aus dem Turnier katapultiert“, ergänzte Mats Hummels und meinte damit wohl in erster Linie sich und Holger Badstuber. Beide hatten in der Innenverteidigung einen schwarzen Abend erwischt.

Einen dicken Hals hatte Torwart Manuel Neuer, der in der Schlussphase vergeblich mitstürmte und alles versuchte, das Ruder im größten Sturm noch rumzureißen. „Wenn man das Turnier sieht und uns mit Italien vergleicht, haben wir den besseren Fußball gespielt. Leider nicht in der ersten Halbzeit“, stellte er fest und fügte wohl auch für den Großteil seiner ebenso frustrierten Kollegen an: „Ich werde mich jetzt erst einmal nicht mit Fußball beschäftigen, sondern versuchen, zur Ruhe zu kommen.“

Dies hat offenbar auch Löw nötig. „Zu den Planungen kann ich im Moment gar nichts sagen, denn Brasilien ist noch ein ganzes Stück weg“, sagte er mit Blick auf die im September beginnende Qualifikation für die WM 2014. „Wir werden mit allen Spielern das Turnier aufarbeiten, es wird aber keine großen personellen Einschnitte geben“, ergänzte der Bundestrainer. Ob Torjäger Klose (34) seine Karriere im DFB-Trikot fortsetzt, ist noch offen. Eines ist aber klar. Der Goldenen Generation läuft langsam die Zeit davon.

sid

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