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„Züge einer Hetzjagd”: Ex-Bayern-Manager übt scharfe Kritik nach Bierhoff-Aus

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Von: Philipp Kessler

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Michael Reschke steigt in die „Schwarzmalerei“ nach dem WM-Aus des DFB-Teams nicht mit ein. Stattdessen übt der Ex-Bundesliga-Manager Kritik an der „typisch deutschen“ Debatte.

Doha/München - Michael Reschke (65) kennt den deutschen Fußball wie kaum ein anderer. Der langjährige Manager (Leverkusen, FC Bayern, Stuttgart, Schalke) und aktuelle Head of European Football der Berater-Agentur ICM Stellar spricht im tz-Interview über den DFB und das Scheitern der Nationalmannschaft bei der WM 2022.

Herr Reschke, wie beurteilen Sie das deutsche WM-Abschneiden?

Michael Reschke: Gleich vorweg: In den Wettbewerb der dunkelsten Schwarzmalerei werde ich nicht mit einsteigen. Rein ergebnistechnisch: Im Spiel gegen Japan wäre eine 2:0-Führung hochverdient gewesen. Wir hätten dann sicher nicht verloren und wären weitergekommen. Das wäre auch geglückt, wenn Spanien erwartungsgemäß gegen Japan gewonnen hätte. In beiden Fällen würde es die Diskussion nicht geben und wir hätten voller Vorfreude dem Achtelfinale gegen Marokko entgegengefiebert. Richtig oder falsch?

Richtig.

Reschke: Sehen Sie. Was auch deutlich zu kurz kommt, ist die Anerkennung der Leistung der Japaner. Mit Siegen gegen uns und Spanien, sowie beim unglücklichen Ausscheiden gegen Kroatien haben die Japaner ihre internationale Klasse bewiesen. Ein Sieg gegen Japan, der natürlich möglich gewesen wäre, ist definitiv keine Selbstverständlichkeit mehr.

Trotzdem muss der Anspruch von Deutschland sein, Japan zu besiegen.

Reschke: Wenn man das WM-Halbfinale (zum Spielplan, d. Red.) erreichen will, muss es natürlich der Anspruch sein, gegen Japan zu gewinnen. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass dies eine echte Herausforderung ist und keine selbstverständliche Pflicht. Die Art und Weise, wie jetzt auf Team und Umfeld raufgenagelt wird, ist leider typisch deutsch und unverhältnismäßig.

DFB-Team fliegt in der WM-Vorrunde raus - „extrem überzogene, unsachliche Kritik“

Woran lag der vorzeitige WM-K.o. ?

Reschke: Es war schon vor dem Turnierstart bekannt, dass es auf gewissen Positionen Probleme gibt. Ich habe höchsten Respekt vor Niclas Füllkrug. Was er in dieser Bundesligasaison geleistet hat, ist top und sein Tor gegen Spanien war Extraklasse. Und ja – er wäre gewiss eine Alternative für mehr Spielzeit gewesen, aber man sollte ihn nicht zum Weltklasse-Mittelstürmer hochhieven, denn das ist er nicht. Ich schätze auch David Raum, aber dass wir auf den Außenverteidiger-Positionen nicht top besetzt sind, ist schon länger bekannt.

Wie viel Schuld trägt Bundestrainer Hansi Flick?

Reschke: Hansi wird mit seinem Trainerstab vieles hinterfragen und würde sicher jetzt einiges anders machen. Hinterher ist man immer schlauer. Aber als Trainer muss er vorher viele Entscheidungen treffen und manchmal liegt dann richtig oder falsch ganz nahe beieinander. Ein Beispiel: Hansi wurde kritisiert, weil er gegen Costa Rica Kimmich als Rechtsverteidiger und Müller als Mittelstürmer aufgestellt hat. Gleich zu Beginn landete eine Traumflanke von Kimmich bei Müller, der per Kopf knapp am Tor vorbei zielte. Wenn dies dann mit dem bitteren Ausscheiden endet, prügelt das auf die deutsche Volksseele ein und es führt zu extrem überzogener, unsachlicher Kritik.

Riesiger Druck: DFB-Direktor Oliver Bierhoff bei der WM 2022
Riesiger Druck: DFB-Direktor Oliver Bierhoff bei der WM 2022. © INA FASSBENDER / AFP

DFB-Team: Reschke verteidigt Bierhoff nach „Flut von völlig überzogener Häme“

Welchen Anteil hat Oliver Bierhoff am erneuten Scheitern des DFB?

Reschke: Ich habe unter anderem gelesen, dass der neue Campus überdimensioniert sei und Bierhoff es nicht geschafft habe, seine Ideen in Sachen Nachwuchsfußball in die Bundesliga-Klubs zu implementieren. Geht’s noch?! Im Campus ist vieles extrem innovativ und wird den deutschen Fußball in den kommenden Jahren wichtige Dienste leisten. Daran hat Oliver großen Anteil – vermutlich sogar den größten. Was die Kritik an der Ideen-Implementierung in den Nachwuchs angeht: Dies ist Aufgabe der Klubs, ihrer NLZ-Verantwortlichen und der Jugendtrainer und gewiss nicht Thema von Oliver Bierhoff. Ich habe während meiner Managerzeit in der Bundesliga etliche Gespräche mit Oliver geführt. Er war immer kreativ, über den Tellerrand blickend, interessanten Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen und hat wichtige positive Prozesse angeschoben. Einfach ein sachlich, guter Typ.

Was hat ihn zum Rücktritt bewogen?

Reschke: Diese Flut von völlig überzogener Häme war vermutlich für seine Familie und ihn nicht mehr zu ertragen. Die Art und Weise, wie er teilweise von Journalisten und auch Ex-Nationalspielern angegriffen wurde, war unverschämt und hatte teilweise Züge einer Hetzjagd. Es ging nicht um eine sachliche, faire Analyse, sondern darum einen Schuldigen zu suchen und den dann durchs Dorf zu jagen. Dies hat wohl zu seiner Entscheidung beigetragen. Glücklicherweise ist Oliver sehr stabil und wird gewiss auf Strecke damit zurechtkommen.

Bierhoff-Nachfolger? Reschke schwärmt von Ex-BVB-Sportdirektor Zorc

Im Gespräch ist die Reinstallation eines Sportdirektors. Was braucht ein guter Mann auf dieser Position?

Reschke: Wichtig wäre eine sportlich komplexe Erfahrungspalette, im Idealfall als Spieler und Trainer sowie mit wichtigen Einblicken in den Nachwuchsbereich, dem Scouting und einem guten Gefühl für die Sportwissenschaft. Zudem benötigt man emphatische Intelligenz, muss Gruppen und Teams führen können, Diskussionsrunden leiten, Strahlkraft in die Vereine besitzen und natürlich auch das Medienspiel beherrschen. Der Sportdirektor sollte fleißig, belastbar und deutschsprachig sein, da Kommunikation das A & O ist. Michael Zorc wäre aus meiner Sicht eine Toplösung. Eins ist sicher: Der Sportdirektor kann nur stark sein, wenn er Entscheidungsbefugnisse besitzt.

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