Jonas Hector: Vor sechs Jahren spielte er noch in der Oberliga

Bordeaux - Mit seinem ersten Elfmetertor im Profifußball hat Jonas Hector ein Kapitel deutscher Fußball-Geschichte geschrieben. Sein Werdegang ist außergewöhnlich.
Sein Handy piepte wie wild, vor Schulterklopfern konnte sich Jonas Hector kaum retten. Und der stille Held? Dem schien das alles ein wenig peinlich zu sein. Als er weit nach Mitternacht in den Katakomben des Stade de Bordeaux den längsten Interview-Marathon seiner Karriere absolvierte, sprach Hector so ungerührt über seinen "größten Moment", als sei nichts geschehen.
"Es bringt ja nichts, wenn ich jetzt hier rumspringe", sagte der 26-Jährige. Grund genug hätte er gehabt: Im Elfmeterschießen des EM-Viertelfinales gegen Italien avancierte er neben Torhüter Manuel Neuer zu einem der beiden Matchwinner für die deutsche Mannschaft. Mit seinem entscheidenden Treffer zum 6:5 beendete er das deutsche Trauma gegen den Angstgegner, er gab damit den Startschuss zu einer großen deutschen Party - doch er blieb, was er ist: ein zurückhaltender Star.
Erzählen musste er dennoch, und das ausführlich. "Das ist schwer in Worte zu fassen. Ich bin glücklich, dass der Ball reingegangenen ist. An die Bilanz denkt man nicht, man will nur, dass der Ball irgendwie reingeht", schilderte er seine Gedanken, erkennbar glücklich, überglücklich, aber cool und sachlich wie fast immer. "In der Jugend bei einem Turnier habe ich mal einen Elfer geschossen, im Seniorenbereich aber noch keinen", berichtete er - und musste doch mal kurz lächeln.
Dass er zunächst in die deutsche Kurve gerannt war, auf dem Kopf ein Käppi des 1. FC Köln, das ihm der Ur-Kölner Lukas Podolski zur Feier des Tages aufgesetzt hatte, das war Hector dann schon wieder unangenehm. "Das gehört halt auch dazu", sagte er über die Selfies, die sich in Windeseile in den sozialen Netzwerken verbreiteten. Lieber wies er immer wieder darauf hin, dass er in der magischen Nacht von Bordeaux nicht alleine den Ruhm einheimsen wolle.
"Ich habe den entscheidenden Elfmeter geschossen. Aber ohne Manu und die anderen, die getroffen haben, wäre es nicht dazu gekommen", sagte Hector. Damit gerechnet, schießen zu müssen, hatte er nicht. "Wir haben auf dem Platz abgesprochen, wer als nächstes schießt. Und irgendwann war ich dann plötzlich dran", berichtete er, "da wird man schon ein bisschen nervös. Ich habe mir aber einfach gesagt, den musst du jetzt irgendwie reinmachen. Und da habe ich mein Herz in die Hand genommen." Nun steht Deutschland dank ihm im Halbfinale der EM 2016.
Bei all dem Jubel ging beinahe unter, dass Hector auch das 1:0 durch Mesut Özil (65.) mit vorbereitet hatte. "Es war ein bisschen Instinkt dabei. Der Raum war frei", beschrieb er die Traumkombination vor dem Führungstreffer, an der auch Mario Gomez maßgeblich beteiligt war. Dass er eine gute Stunde später noch einen draufsetzen konnte und eine ganze Nation glücklich machte, hätte sich Hector aber nicht träumen lassen.
FC Bayern wollte Jonas Hector nicht
Im Gegensatz zu vielen anderen Karrierewegen deutscher Youngster über Fußballinternate ging Hector eher einen unkonventionellen Weg. Erst mit 20 Jahren wechselte Hector 2010 ablösefrei vom Südwest-Oberligisten SV Auersmacher zum 1. FC Köln II, zwei Jahre später schaffte er den Sprung zu den Profis. Was nur wenige wissen: Jonas Hector hatte ein Probetraining beim FC Bayern II absolviert, fiel bei Mehmet Scholl aber durchs Raster. Für den 26-Jährigen aber vollkommen ok. "Ich bin mit dem Weg über die U 21 des 1. FC Köln sehr zufrieden und völlig mit meinem bisherigen Karriereverlauf im Reinen. Auch mit dieser Abweisung", sagte er im Frühjahr im Interview mit dem Münchner Merkur. Nach nur elf Bundesligaspielen für Köln gab Hector im November 2014 sein DFB-Debüt gegen Gibraltar. In der EM-Saison ist er der einzige von 33 eingesetzten Nationalspielern, der in allen Partien auflief - und sich nun durch den so wichtigen Elfmeter unsterblich machte.
"Wenn man sich die Dramatik vor Augen hält und daran denkt, dass ich das erste Mal bei einem Turnier dabei, war das sicher mein bislang größter Moment", sagte er. Dann trat er aus den Schweinwerfern - er konnte endlich seine Mailbox abhören und die vielen Nachrichten lesen.
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sid/mol