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Deutschland, hör endlich auf zu jammern und schau zusammen mit Hansi Flick nach vorne

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Von: Alexander Kaindl

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Hansi Flick bleibt Bundestrainer und führt Deutschland zur EM 2024 im eigenen Land. Hoffentlich kann er dann auch auf die deutschen Fans zählen. Ein Kommentar.

München – 7. Dezember 2022 und ganz Deutschland diskutiert darüber, ob Hansi Flick weiterhin unser Bundestrainer ist. In einer anderen Welt würden wir uns auf das Viertelfinale der WM 2022 einstimmen, würden darüber diskutieren, wer in der DFB-Startelf stehen soll. Würden fachsimpeln, wie man den nächsten Gegner – sei es Brasilien oder Portugal – knacken könnte. Wir würden ausmachen, wo wir dieses Spiel gemeinsam schauen könnten. Das kuriose ist: So weit ist diese Welt gar nicht entfernt gewesen.

Hans-Dieter „Hansi“ Flick
Geboren: 24. Februar 1965 (Alter 57 Jahre), Heidelberg
Ehepartnerin: Silke Flick
Bundestrainer seit 1. August 2021

Deutschland scheidet früh bei der WM aus – weil wir dieses Mal keinen „Flipper“ hatten?

Es war ja klar, dass nach dem zweiten Aus in einer WM-Vorrunde wieder alle aus ihren Löchern kriechen. Da kommen sie daher, die Ex-Ex-Ex-Europameister, die langjährigen TV-Experten und hauen drauf auf den deutschen Fußball, wo es nur geht. Und nicht nur die. Auch 82 Millionen Bundestrainer wollen unbedingt ihre Kritik an dieser Nationalmannschaft anbringen, weil das, aus sportlicher oder gesellschaftspolitischer Sicht, aktuell eben angesagt ist.

Wir haben keine Neun, wir müssen jetzt jeden Stein umdrehen, weil wir so schlecht sind. Zur Erinnerung: Als Deutschland beispielsweise mit Mario Gomez eine echte Neun hatte, hat euch das doch auch nicht gereicht. „Wundgelegen“ hat er sich, der „Flipper“. Die gar nicht so alte Meinung zur echten Neun? Brauchen wir nicht, ist doch völlig aus der Mode. Wir wollten doch alle so sein wie die Spanier oder Barcelona, wo es diesen 1,90-Meter-Mittelstürmer zu dieser Zeit auch nie gegeben hat und wo man trotzdem sehr erfolgreich war.

Deutschland hatte in der Vorrunde die meisten Torschüsse und einen xG-Wert von zehn

Und jetzt ist der fehlende Mittelstürmer das große Problem, das der DFB zu haben scheint – wir bilden keine Neuner aus, wir versagen an der Basis, jajaja. Das sind Diskussionen, die man führen kann. Aber ganz sicher ist, Deutschland ist nicht ausgeschieden, weil wir grundlegend schlecht sind und wir generell nur elf Blinde auf den Platz bringen. Ein paar Belege dafür?

Deutschland hat in der Vorrunde die meisten Torschüsse aller 32 Teilnehmer abgegeben. 69 waren es am Ende. Die DFB-Auswahl hatte in der Gruppenphase einen expected-Goal-Wert von zehn. Letztlich waren es nur sechs Tore, die Deutschland erzielt hat. Kernaussage der Statistik: Wenn Deutschland seine Chancen so genutzt hätte, wie man es erwarten würde, wäre man als Gruppenerster mit sieben Punkten ins Achtelfinale eingezogen.

Deutschland bei der WM 2022 nicht nur mit Unvermögen, sondern auch Pech

Eine weitere grauenhafte Auswertung: Aluminium-Treffer. Gegen Costa Rica knallten die Deutschen das Leder binnen sechs Minuten dreimal ans Gebälk, insgesamt scheiterte man im Turnier fünfmal an Latte oder Pfosten. Mehr als alle anderen. Und das ist letztlich doch auch eine große Aussage dieser WM: Wir sind nicht ausgeschieden, weil wir plötzlich so gar nicht mehr kicken können, weil wir irrwitzig viel über eine Kapitänsbinde diskutiert haben oder die Familien zu viel Zeit im Spielerhotel verbracht haben. Deutschland ist mittlerweile WM-Zuschauer, weil es in bestimmten Situationen um wenige Zentimeter nicht gereicht hat. Das ist Fußball.

Von rund 300 Minuten, die Deutschland bei dieser Weltmeisterschaft gespielt hat, waren insgesamt 30 schlecht. Und da gibt es nichts schönzureden: Das war richtig, richtig mies. Die beiden Japan-Gegentore bereiten manch einem Beteiligten immer noch Albträume. Der kurzzeitige Tiefschlaf gegen Costa Rica sorgte ebenfalls für Schockstarre bei den Fans. Aber sonst war das in einer starken Gruppe zumindest so weit in Ordnung, dass es für ein Weiterkommen hätte reichen können. Als wir 2014 Weltmeister wurden, wurde die Mannschaft nach dem Zittersieg im Achtelfinale gegen Underdog Algerien regelrecht zerrissen. Solche Phasen gibt es in einem Turnier eben. Und dieses Mal wieder mit einem schlechten Ende für Deutschland und darüber muss selbstverständlich gesprochen werden. Allerdings muss klar differenziert werden: Es ist nicht alles so schlecht, wie es der grantelnde Deutsche hier darstellt.

Hansi Flick ist der richtige Bundestrainer, trotzdem muss er Lehren ziehen

Die WM ist Geschichte, wir können nicht mehr zurück. Und deshalb muss jetzt endlich nach vorne geschaut werden und zwar zusammen mit Hansi Flick. Dieser Mann wurde vor zwei Jahren vergöttert, man hätte beinahe schon Statuen für ihn geplant, plötzlich wurde jedem ansatzweise erfolgreichen Fußballverein Europas nachgesagt, dass man Flick als Trainer haben möchte. Und jetzt wird ernsthaft darüber diskutiert, ob dieser Mann der richtige für den DFB ist?

Als er seine Stelle angetreten hat, war Fußball-Deutschland zufrieden, die Ergebnisse stimmten. Die Rolle eines Bundestrainers ist für Flick prädestiniert. Er kann managen, ist einfühlsam, versteht den Fußball und den Fußballer. Dass er bei der WM Fehler gemacht hat, weiß er selbst: Das Festhalten an alten Hierarchien, das Brechen des eigenen Spiels, um Ersatzspieler noch mit Einsatzminuten zufriedenzustellen, die Entscheidung gegen Spieler, die Startelf-reif waren. Dafür wurde er auf die bitterste Weise bestraft und daraus zieht er seine Lehren.

Hansi Flick
Bundestrainer Hansi Flick (2.v.r.) lauscht mit seinem Trainer- und Betreuerstab bei der Nationalhymne. © Federico Gambarini/dpa

Deutschland, hör endlich auf zu jammern und schau zusammen mit Hansi Flick nach vorne

Was es jetzt braucht, ist Zusammenhalt. Nach Niederlagen wieder aufzustehen, ist die wahre Größe. Mit der Neubesetzung der Bierhoff-Stelle sollen Weichen gestellt werden, was richtig und wichtig ist. Schließlich steht eine Europameisterschaft im eigenen Land vor der Tür. Und dann ist nicht nur der Deutsche Fußball-Bund Gastgeber, sondern die gesamte Republik. Bis dahin muss wieder eine Fußball-Euphorie entfacht werden, um auch nur ansatzweise wieder ein Sommermärchen feiern zu können.

Das geht nur, wenn unsere Jungs so unterstützt werden, wie das von anderen Nationen vorgelebt wird und denen wir jetzt neidisch im Viertelfinale zusehen müssen. Es ist schwer, uns etwas vorzuschreiben, weil wir ja die großen Moralweltmeister sind und so vieles so viel besser wissen. Aber bitte: Deutschland, hör endlich auf zu jammern und schau zusammen mit Hansi Flick nach vorne. (akl)

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