Teresa Enke sagt auf dem Podium: „Der von den Medien geschürte Konkurrenzkampf mit René Adler – das war schlimm für Robbie. Die Nationalmannschaft war ihm so wichtig, das war sein Traum, aber das hat ihn kaputtgemacht.“ Er habe sich gefühlt wie ein „einsamer Cowboy im Strafraum“.
Während die Teamkollegen Aserbaidschan 4:1 bezwingen, begibt sich Robert Enke, unbemerkt von der Öffentlichkeit, in Köln in Behandlung bei Psychiater Valentin Markser. Er will sich mit seiner Krankheit nicht offenbaren. Auch nicht dem Psychologen der deutschen Nationalmannschaft, Hans-Dieter Hermann, und dem Internisten Tim Meyer. Hermann und Meyer, zwei Männern mit großen Einfühlungsvermögen.
Hermann und Meyer hatten seinerzeit eine mögliche Depression zwar in Betracht gezogen, verwarfen den Verdacht dann aber wieder. Der DFB-Teampsychologe berichtete später von einem „etwa einstündigen Gespräch“, in dem er Enke „außerhalb seiner Müdigkeit als privat und sportlich glücklichen Menschen mit klaren Zukunftsideen“ erlebt hätte.
„In der Bundesliga ist noch kein Platz für Zweifel und Ängste.“ Andreas Bergmann, ehemaliger Trainer von Robert Enke bei Hannover 96
Robert Enke wollte gegenüber Hermann keine Schwäche zeigen. Er wusste, dass Schwäche im Verdrängungswettbewerb zwischen den Pfosten keine gute Botschaft für einen Stammplatz ist. Der Sportphilosoph Gunter Gebauer gibt ihm Recht: „Der Fußball erträgt keine Schwäche. Kein professioneller Sport erträgt sie.“ Psychiater Markser bestätigt: „Ein Spieler wird fortwährend auf seinen Nutzen überprüft, wie ein Auto“.
Fußballtrainer, auch solche mit der großen Sozialkompetenz eines Joachim Löw, wählen ihre Startelf aus dem vorhandenen gesunden Personal aus. Verletzte oder erkrankte Spieler, Kniereizungen, Bänderdehnungen oder grippale Infekte, gehören nicht dazu. Und auch keine Profis, die an Depressionen leiden und so Gefahr laufen, ihre Leistung nicht optimal abrufen zu können.
Im Saal vor den vielen Zuhörern wird Teresa Enke widersprechen: „Robbie dachte, er sei allein. Seine größte Angst war immer, dass er seinen Platz im Tor verliert, wenn er seine Krankheit öffentlich macht. Aber die wäre ihm genommen worden. Er hätte um diesen Platz im Tor nicht fürchten müssen, wenn er sich hätte erfolgreich behandeln lassen und wieder zurückgekommen wäre. Es ist wie bei einer anderen Verletzung auch: Ist die Behandlung erfolgreich, wird ein Fußballer wieder genauso gut spielen können wie davor.“
Ihr Mann hatte das einige Jahre zuvor schon bewiesen, nach schweren depressiven Phasen in Barcelona und Istanbul. Aber er hatte die Hoffnung verloren, das noch einmal zu schaffen. In sein Tagebuch schrieb er, er sei ein Versager, er könne nichts, das Leben sei nicht lebenswert.
Im Tor hielt er Bälle, die andere durchließen.
Hilfe für Betroffene: Wegen der hohen Nachahmerquote berichten wir über Suizide nur in ausgewählten Fällen. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, können Sie sich an die Telefonseelsorge wenden. Unter der Hotline 0800/111 0 111 bzw. 0800/111 0 222 erhalten Sie Hilfe.
An jenem Abend, als Robert Enke sich das Leben nahm, hatte die Nationalmannschaft gerade in einem Hotel in Bonn versammelt, um sich auf das für den 14. November 2009 in Köln angesetzte Länderspiel gegen Chile vorzubereiten. Robert Enke war nicht nominiert worden, nachdem der Kapitän von Hannover 96 erst zehn Tage zuvor beim 1:0-Sieg in Köln erstmals seit seines vermeintlichen Infekt wieder im Tor gestanden hatte. Im Kreis der Nationalspieler wurde die Nachricht mit großer Betroffenheit aufgenommen. Das Spiel gegen Chile wurde abgesagt.
Fünf Tage nach seinem Tod kamen 35.000 Menschen zur Trauerfeier in das Stadion von Hannover, die live im Fernsehen übertragen wurde. Der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger sagte in einer bewegenden Rede: „Fußball ist nicht alles. Denkt nicht nur an den Schein. Denkt auch, was in den Menschen ist, an Zweifel und Schwäche.“
Lesen Sie auch den Leitartikel zum Thema: Enkes Vermächtnis
Teresa Enke, die zwischenzeitlich nach Köln umgezogen war und ihr Privatleben konsequent abschottet, wohnt inzwischen wieder in Hannover. An der Robert-Enke-Straße am Stadion fährt sie regelmäßig vorbei. Mit der von ihr gemeinsam mit dem Deutschen Fußball-Bund, der Deutschen Fußball-Liga und Hannover 96 initiierten Robert-Enke-Stiftung hat sie mit dafür gesorgt, das Thema Depressionen zu enttabuisieren. Sie glaubt: „Im Fußball sehe ich uns tatsächlich schon einen Tick weiter als in der Gesellschaft. Es wird darüber in den Mannschaften gesprochen, es gibt Netzwerke. Es entwickelt sich etwas.“ Aber sie weiß auch: „Heute müssen die Spieler in den Sozialen Medien viel mehr aushalten, das ist ein Teil des Geschäfts, weshalb wir vor allem junge Leute darauf besser vorbereiten müssen.“ Sie lässt nicht locker. Sie ist unermüdlich.
Am Sonntag wird sie zum Grab ihres Mannes und ihrer gemeinsamen Tochter gehen. Sie wird nicht allein sein. Sie sagt, sie werde versuchen, diesen Tag schnell hinter sich zu bringen. Und sie will sich dabei auch an die schönen Stunden mit Robert Enke, dem Ehemann und Nationaltorwart, erinnern.
Der DFB und die Robert-Enke-Stiftung haben zu einer gemeinsamen Aktion des deutschen Fußballs unter dem Hashtag #gedENKEminute aufgerufen. Bei den Fußballspielen am Sonntag soll nicht nur an Robert Enke erinnert, sondern vor allem für die Volkskrankheit Depression und die vorhandenen Hilfsangebote sensibilisiert werden. Aufgerufen sind alle Vereine von der Bundesliga bis zur Kreisliga. Auch Klubs, die bereits am Freitag oder Samstag ihre Partien bestreiten, können sich beteiligen.
Die Robert-Enke-Stiftung hat unter anderem dafür gesorgt, dass psychisch erkrankten Leistungssportlern, Trainern und Schiedsrichtern ein schneller, vertraulicher Zugang zu einer psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung ermöglicht wird. Die Beratungshotline Seelische Gesundheit im Sport (Telefon: 0241 – 80 36 777) bietet einen Erstkontakt als Anlaufstelle.
Die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) sieht auch zehn Jahre nach dem Suizid von Robert Enke große Defizite in der sportpsychologischen Betreuung im deutschen Profifußball. Laut einer Umfrage unter Spielern aus den ersten drei Ligen würden nur wenige Teams eine entsprechende professionelle Betreuung anbieten.
Anlässlich des zehnten Todestages von Robert Enke bringt sein ehemaliger Ausrüster eine Sonderedition der Torwarthandschuhe auf den Markt, die Enke in seinen letzten Spielen getragen hatte. Auf dem Daumen der Handschuhe steht „Gemeinsam das Leben festhalten“, auf der Lasche „Robert Enke“. (jcm/dpa/sid)