Ist das nicht ein Wegducken des IOC, wenn man die Entscheidung letztendlich den Verbänden überlässt?
Ja. In der Pressekonferenz vom IOC gab es viele Widersprüche, es wurde ganz schön rumgeeiert. Das IOC will am Ende nicht den „schwarzen Peter“ haben, so kommt es mir vor. Das soll den Verbänden zugeschoben werden. Wenn beispielsweise der Rodelverband russische Sportler ausschließen sollte, wird Russland dann eben gegen den internationalen Rodelverband vorgehen, und nicht gegen das IOC. Da will Herr Bach sich anscheinend keinen Schiefer einziehen beim Herrn Putin.
Thomas Bach beruft sich immer darauf, dass der Sport nicht politisch sein soll.
Wir haben es 2014 bei den Spielen in Sotschi gesehen, als Russland alles gegeben hat, um bei Olympia erfolgreich zu sein. Das wurde ja auch von höchster politischer Ebene gesteuert. Der Sport ist politischer denn je – und war auch immer schon politisch. Das Statement „Der Sport soll nicht politisch sein“ passt hinten und vorne nicht.
Sie engagieren sich seit Kriegsbeginn im Verein „Athletes for Ukraine“. Nun sollen laut IOC ukrainische und russische Sportler wieder gemeinsam im Wettkampf starten, während der russische Angriffskrieg in der Ukraine weiter andauert.
Ich kann mir das immer noch nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Tausende Kilometer entfernt liegen sie sich an der Front gegenüber – dort herrscht Krieg. Und hier sollen sie dann friedlich nebeneinander im Starthaus sitzen und sich um Podestplätze duellieren. Das ist für mich nicht vorstellbar. Das kann man keinem ukrainischen Sportler zumuten. Ich weiß auch nicht, wie die internationalen Verbände das handeln wollen. Du müsstest beide Seiten ständig schützen – und das ist nicht machbar. Stellen wir uns das im Biathlon vor: Da steht dann ein russischer Sportler mit einer Waffe neben einem ukrainischen Sportler mit Waffe. Das ist so skurril und surreal, das geht einfach nicht. Ich weiß nicht, wie die Verbände das regeln sollen.
Interview: Nico-Marius Schmitz