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Jaroslawa Mahutschich zwischen Goldmedaillen und Krieg in der Heimat: „Ich träume von unserem Sieg“

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Von: Nico-Marius Schmitz

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Springt für ein ganzes Land: Jaroslawa Mahutschich. © IMAGO/Eibner/Memmler

Für Jaroslawa Mahutschich war es ein Jahr zwischen Goldmedaillen und Krieg in der Heimat. Die 21-jährige Hochspringerin will endlich wieder ihren Vater umarmen. Und Neujahr in der Ukraine feiern.

München – Ende Februar setzte sich Jaroslawa Mahutschich ins Auto und floh vom Krieg. Über 2000 Kilometer fuhr Mahutschich mit dem Auto. In 60 Stunden von Dnipro nach Belgrad. Dort gewann die Hochspringerin trotz der kräftezehrenden Anreise bei der Hallen-Weltmeisterschaft Gold. Es folgte eine Silber-Medaille bei der WM in Eugene und erneut Gold bei der Europameisterschaft in München. Die 21-Jährige springt für ihr Land. Im tz-Interview spricht Mahutschich über ihren Vater in der Ukraine, russische Sportler und den Wunsch, Neujahr in der Ukraine zu feiern.

Jaroslawa Mahutschich, bei den European Championships in München haben Sie uns erzählt, dass Sie dieses Jahr wieder in die Ukraine reisen wollen. Waren Sie schon wieder in Ihrer Heimat?

Ich habe mein Haus Ende Februar verlassen und seitdem hatte ich noch keine Möglichkeit, die Ukraine wieder zu besuchen. Als meine Mutter und meine Schwester nach Deutschland gekommen sind, konnte ich mich ein bisschen beruhigen. Für mich war es sehr wichtig zu wissen, dass sie in Sicherheit sind. Sie haben mit mir einige Wettbewerbe besucht und ich habe ihre Unterstützung gespürt. Aber mein Vater, viele von meinen Verwandten und Freunden sind noch in der Ukraine. Ich vermisse sie jeden Tag, deshalb hatte ich vor, im Herbst nach Hause zu fahren, aber es ist mir leider nicht gelungen. Ich verstehe, dass es in der Ukraine sehr gefährlich ist, aber ich sehne mich danach, meinen Vater endlich wieder zu umarmen und meine Heimat wiederzusehen. Die Weihnachtszeit werde ich in Portugal verbringen, wo ich mein Camp habe, aber am 29. Dezember will ich in Dnipro ankommen und Neujahr mit meiner Familie feiern.

Was berichten Ihre Freunde vom aktuellen Leben in der Ukraine?

Das Leben in der Ukraine ist sehr schwierig für alle Menschen. Russland begeht unmenschliche Taten. Ihr Militär bombardiert kritische Infrastruktur, deshalb leben die Menschen meistens ohne Elektrizität und Wasser. Es gibt auch Probleme mit der Heizung. In einigen Städten oder Stadtbezirken gibt es seit einigen Tagen keine Elektrizität. Es ist kaum möglich, sich vorzustellen, wie diese Menschen unter solchen Bedingungen leben. Stellt euch vor, wie schwierig es ist, besonders wenn ihr kleine Kinder habt. Aber ich bewundere die Ukrainer und Ukrainerinnen und bin so stolz auf sie. Ihr Mut und ihre Tapferkeit inspirieren mich jeden Tag. Trotz aller Schwierigkeiten leben sie, trainieren und glauben an den Sieg.

In München und bei der Hallen-Weltmeisterschaft haben Sie Gold gewonnen. Ihre Erfolge, es gibt mehrere Berichte darüber, sollen auch die ukrainischen Soldaten an der Front inspiriert haben.

München war meine erste Europameisterschaft. Ich erinnere mich sehr gut an alle Emotionen. Der Sprung war nicht besonders hoch, aber ich war so glücklich, gewonnen zu haben. Vor dem Start in München habe ich verstanden, wie wichtig es für mein Land ist, diese Goldmedaille zu gewinnen. Sie war für die Ukraine und es war so rührend, unsere Hymne zu singen. Je mehr Medien die Ukraine erwähnen, desto besser ist es. Und unsere Erfolge tragen dazu bei. Es freut mich auch sehr, dass unsere Erfolge ukrainische Soldaten inspirieren, weil alle von uns alles dafür tun, um den wichtigsten Sieg für unsere Heimat zu erringen.

Das IOC will russische Sportler wieder zulassen. Was denken Sie darüber?

Als ukrainische Athletin und Ukrainerin bin ich total dagegen. Viele ukrainische Sportler sind in diesem Krieg getötet worden. Viele von ihnen sind heute noch in russischer Gefangenschaft – unter ihnen die ukrainischen Leichtathleten Dmytro Witkowskyj und Wladyslaw Oksentschuk. Das alles macht mich traurig. Und gleichzeitig unterstützen russische Athleten und Athletinnen diesen Krieg und den Völkermord in der Ukraine. Von Anfang an habe ich offen meine Einstellung zu dem Thema geäußert, und seitdem hat sich nichts geändert – ich bin gegen ihre Teilnahme an den internationalen Wettbewerben.

Wie sieht Ihr Leben aktuell aus?

Nach dem Ende der Saison habe ich mehr als einen Monat in Deutschland verbracht. Ich habe viel im Fitnessstudio trainiert. Und seit November trainiere ich in Portugal. Es war sehr wichtig für mich nicht nur meine physische, sondern auch meine psychische Gesundheit zu erneuern. Und danach habe ich meine Vorbereitung auf die Hallensaison begonnen. In meinen Gedanken bin ich aber schon zu Hause und hoffe sehr, dass dieses Mal alles klappen wird.

Sie sind 21 und mussten dieses Jahr so viele schreckliche Nachrichten verarbeiten. Was ist Ihre Hoffnung für das Jahr 2023?

2022 war das schrecklichste und schwierigste Jahr – sowohl in meinem Leben als auch im Leben von vielen Ukrainern und Ukrainerinnen. Dank der Unterstützung meiner Familie und meiner Trainerin konnte ich während der ganzen Saison springen. Sie haben mir geholfen, den Kopf nicht hängen zu lassen. Dass ich nicht zusammenbreche. Ich hoffe, dass das Jahr 2023 besser wird. Jetzt habe ich nur einen einzigen Wunsch. Ich träume vom Ende des Krieges und von unserem Sieg. Ich will eine Möglichkeit haben, zu Hause zu trainieren. Ich hoffe, dass mein Traum in Erfüllung geht.

Interview: Nico-Marius Schmitz

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