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Deutschlands Schach-Ass Vincent Keymer: „Die Topspieler sind auch nur Menschen“

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Von: Nico-Marius Schmitz

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Vincent Keymer
Denksport: Vincent Keymer (r.) im Duell mit Schach-Primus Magnus Carlsen. © Foto: DPA

Vincent Keymer, Deutschlands jüngster Großmeister aller Zeiten, über seine Begeisterung für Schach, seine erste Partie gegen Magnus Carlsen und den Sprung in die Weltspitze. Das Merkur-Interview.

München – Bei Vincent Keymer häufen sich die Superlative. Der 18-Jährige ist der jüngste deutsche Großmeister aller Zeiten. Im Oktober 2020 wurde seine Elo-Wertung von 2700 Punkten bestätigt. Diese Marke gelang Keymer als erster gebürtiger Deutscher und als einer von neun Spielern, die zu dem Zeitpunkt unter 18 Jahre waren. Bei der Schnellschach-Weltmeisterschaft schrammte er nur knapp am Titel vorbei, es gewann – natürlich – Magnus Carlsen. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Keymer über den Vergleich zu Carlsen und Betrug im Schach.

Vincent Keymer, aktuell findet die Weltmeisterschaft statt. Sind das auch ohne Magnus Carlsen Festtage für Schachfans?

Für die Spieler geht es um irrsinnig viel. Eine WM bleibt eine WM, es geht um den Titel. Es gibt eine extrem hohe Belastung, die sich noch mal von anderen Turnieren unterscheidet. Es ist sehr spannend, eine WM zu verfolgen. Ich habe schon ein paar verfolgt, aber je mehr man versteht im Laufe der Jahre desto interessanter wird es natürlich auch.

Was hat Sie – auch schon im jungen Alter – speziell am Schach begeistert?

Das weiß ich selbst nicht so genau (lacht). Ich finde es immer schwierig, das so konkret zu benennen. Mir gefällt, dass man dem Spiel seinen eigenen Touch verleihen kann. Auf dem höchsten Niveau sollte man versuchen, so objektiv wie möglich zu spielen, aber natürlich hat jeder seinen eigenen Stil, auch bedingt durch die jeweilige Ausbildung. Durch neue Engines sind immer mehr Züge im Bereich des Akzeptablen, die Möglichkeiten im Schach sind so vielfältig. Auch die Lernmöglichkeiten und Schachplattformen sind mittlerweile viel ausgereifter als zu meiner Anfangszeit.

Bei den Berliner Schachtagen, so titelten es Medien, wurden Sie als „Influencer“ gefeiert, viele Fans wollten Fotos mit Ihnen. Wie nehmen Sie das wahr?

Das freut mich. Innerhalb der Schachblase bin ich daran gewöhnt, da bin ich relativ bekannt. Wenn Leute in anderen Zusammenhängen mit mir Selfies machen wollen, ist es noch nicht so, dass ich das als völlig normal empfinde. Aber dieses Interesse ist ja auch ein schönes Zeichen für mich und zeigt, dass ich auf einem ganz guten Weg bin.

Ganz guter Weg trifft es ziemlich gut. Bei der Schnellschach-WM wurden Sie Zweiter hinter Magnus Carlsen. Denkt man sich da, wenn man einem Carlsen gegenübersitzt, auch mal für einen Moment „Wow, ich habe es geschafft“?

Gegen Magnus Carlsen zu spielen ist nicht wirklich eine riesige Errungenschaft. Gegen ihn mal zu gewinnen, das wäre ganz groß (lacht). Die erste Partie gegen Magnus 2019 war natürlich was ganz Besonderes. Aber je mehr ich mich selbst verbessert habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass die absoluten Topspieler natürlich auch nur Menschen sind, die Fehler machen und Partien verlieren können. Am Anfang denkt man immer: Die können alles. Das ist, wenn man es von weitem betrachtet, auch durchaus korrekt (lacht). Natürlich habe ich einen unheimlichen Respekt vor Magnus. Er dominiert die Schachszene seit zehn Jahren. Das ist unglaublich beeindruckend. Aber natürlich will man auch seine Chance nutzen, ihn zu schlagen.

Viele vergleichen Sie mit Magnus Carlsen.

Zumindest sind unsere Spielstile nicht komplett gegensätzlich. Aber auch Spieler, die einen ähnlichen oder gleichen Stil haben, können sehr unterschiedlich damit umgehen. Der eigene Touch wird dadurch überhaupt nicht vernachlässigt. Es gibt so viele kleine Schrauben, an denen man sein Spiel justieren kann, da ist eine Duplizität fast ausgeschlossen.

Googelt man Vincent Keymer, liest man oft Begriffe wie „Jahrhunderttalent“. Setzt Sie so was unter Druck?

Ich nehme mir das nicht wirklich zu Herzen, da ich fast ausschließlich versuche, meinen eigenen Erwartungen zu entsprechen. Wenn man mit Schachspielern spricht, merkt man in vielen Fällen, dass sie sehr hart mit sich in die Kritik gehen, was die Qualität der eigenen Partien angeht. Also, ich glaube, diesem Anspruch gerecht zu werden, reicht schon (lacht). Man kann selbst auch ganz gut einschätzen, wozu man fähig ist. Was man leisten kann, und was eben nicht.

Denkt man während einer Schachpartie auch mal an die Einkaufsliste, oder ist Abschweifen verboten?

An ganz alltägliche Dinge denke ich nicht. Natürlich stehe ich mal auf und schweife ein bisschen ab. Aber komplett abschweifen sollte man nicht. Das ist im Schach ab einem gewissen Niveau brutal; da kann eine kleine Ungenauigkeit ausreichen, um die ganze Partie zu verlieren. Also in Gedanken völlig vom Schach wegzugehen, wäre keine gute Idee.

Was ist Ihr Ausgleich zum Schach?

Zeit für was anderes muss sein. Das ist sonst viel zu stressig und anstrengend. Dann kann man irgendwann auch nicht mehr effizient trainieren. Ich fahre schon seit Längerem gerne Fahrrad als Ausgleich. Früher habe ich auch Handball oder Fußball gespielt, da komme ich aus Zeitgründen aber nicht mehr zu.

Würden Sie sagen, dass Sie aktuell schon zur Weltspitze gehören? Auch wenn man den Erfolg bei der Schnellschach-WM betrachtet.

Die WM in Kasachstan würde ich nicht zu hoch einschätzen, was den Weg in die Weltspitze beim klassischen Schach angeht. Wenn man als Weltspitze die Spieler definiert, die seit Jahren in den Top Ten sind und ins Kandidatenturnier kommen möchten, würde ich aktuell sagen, dass ich noch nicht ganz in der Weltspitze bin. Das versuche ich natürlich, dahin zu kommen. Aber diese kleinen Schritte auf diesem Niveau sind extrem schwer. Von 2700 auf 2740 Elo-Punkte zu kommen ist was ganz anderes als von 1900 auf 1940. Da liegen Welten dazwischen.

Zum Schluss noch ein unschönes Thema. Cheating, also betrügen, spielt im Schach eine immer größere Rolle. Wie nehmen Sie das wahr?

Das ist natürlich eine Bedrohung, die das Spiel ernsthaft gefährden kann. Du musst die Maßnahmen immer erweitern, um Möglichkeiten des Betrugs einzuschränken. Die Schach-Engines sind mittlerweile so stark, dass jeder Amateurspieler mit deren Hilfe den Weltmeister besiegen könnte.

Interview: Nico-Marius Schmitz

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