Doping-Experte Sörgel im Interview: „Das IOC ist moralisch am Ende“

Wir befragten Professor Dr. Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Heroldsberg zum Thema „saubere Spiele“.
Auch am Tag vor der Olympia-Eröffnungsfeier (Fr., 12.00 Uhr, MEZ) war offen, wie viele russische Sportler in Pyeongchang teilnehmen werden. Der Internationale Sportgerichtshof CAS gab seine Entscheidungen über Klagen von 45 Athleten und zwei Betreuern gegen Sperren infolge des russischen Doping-Skandals erst in der Nacht zu Freitag bekannt. Doch unabhängig von der Entscheidung glaubt kaum jemand an saubere Spiele in Südkorea. Die tz befragte Professor Dr. Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Heroldsberg bei Nürnberg. Die Prognose von Deutschlands renommiertesten Doping-Experten? Eher düster, wenn er sagt: „Die Nachricht, die das IOC dem Zuschauer gegeben hat ist doch klar: was interessiert uns der Anstand, Hauptsache das Spektakel funktioniert.“
Herr Sörgel, werden wir während der Spiele einen Dopingfall erleben?
Fritz Sörgel: Ich bin kein Hellseher, aber ich erwarte nicht, dass ein Top-Athlet während der Olympischen Spiele positiv auf Doping getestet wird. Aber der Sport birgt Überraschungen, nicht nur beim Ergebnis.
Habe Dopingkontrollen überhaupt noch Sinn? Der IOC rühmt sich, so scharf wie nie zu kontrollieren.
Sörgel: Natürlich haben sie Sinn, aber nach den jüngsten Entdeckungen müssen eben besondere Vorkehrungen getroffen werden, um die Integrität, also die Zuordnung zu einem Sportler zweifelsfrei sicherzustellen. Das zu jeder Olympiade einsetzende Sprücheklopfen des IOC, jetzt wären es die strengsten Tests, das nervt.
Wo macht Doping am meisten Sinn?
Sörgel: Im Langlauf, Biathlon, Eisschnelllauf und Shorttrack, das sind die üblichen Verdächtigen und das ist ja auch gut begründet. Da kann jedes Blutkörperchen mehr im Blut den Unterschied machen (schmunzelt). Aber das Medikamentenkabinett für Doping im Sport ist so groß, dass es auch in anderen Sportarten gut vorstellbar ist. Im Eishockey beispielsweise ist das gut belegt, dort nimmt praktisch jeder Spieler Nikotin wie eine Arznei zu sich. Das ist zwar nicht verboten, aber dieser Missbrauch zeigt, dass der Wille zum Doping, zur Leistungssteigerung da ist. Bis an die Grenzen des Erlaubten.
Ihr Kollege Perikles Simon hat den Anti-Doping-Kampf entnervt aufgegeben: Lohnt es sich noch zu kämpfen?
Sörgel: Ich kann ihn verstehen, bin mit ihm befreundet und war mit ihm in der Freiburger Kommission zur Dopingaufklärung an der Uni, kenne sein Seelenleben zu dem Thema Sportbetrug sehr gut. Im Gegensatz zu mir sieht er die Dinge nicht mit Distanz, sondern ist als Sportmediziner mittendrin. Da wirkt der Betrug doppelt schlimm. Schade ist nur, dass die Betrüger immer wieder erfolgreich sind und ehrliche Menschen weichklopfen. Perikles meint vor allem die Funktionäre in Deutschland, die Bachs, die Hörmanns und selbst die NADA.
Das IOC verurteilt. Die Verbände haben oft eine andere Meinung. Der CAS hebt IOC-Urteile wieder auf. Kann man als normaler Sportfan da überhaupt den Überblick behalten?
Sörgel: Das versteht kein Mensch mehr und muss es auch nicht verstehen. Die Nachricht, die das IOC dem Zuschauer gegeben hat, ist doch klar: Was interessiert uns der Anstand, Hauptsache, das Spektakel funktioniert. Und in Deutschland heißt es sogar: Sie zahlen mit Ihrer Gebühr, ob Sie wollen oder nicht. Ich glaube aber trotzdem, dass den Sportfan Fragen zum Doping interessieren, besonders, wenn man über den Missbrauch schimpfen kann. Das tut man in der Kantine, am Stammtisch doch ganz gerne. Aufgabe der Journalisten ist es, die Wahrheit zu Tage zu fördern und sachlich zu informieren. Ohne jegliches Interesse beim Leser oder Zuschauer könnten auch die Journalisten das Thema auf Dauer nicht warm halten.
Mit welchem Blick muss man die Langlauf-Ergebnisse verfolgen? Vorsichtige Freude mit den Siegern?
Sörgel: Ein normaler Mensch sollte sich schon freuen, wenn sich ein anderer Mensch über einen Sieg freuen kann. Das Bild vom Sieger von Langlauf-Veranstaltungen, der nach dem Ziel zusammenbricht, wen berührt das nicht? Und Menschen wollen doch auch ein bisschen betrogen sein. Deswegen bejahe ich auch die Frage, ob ich Olympia schaue – in feinen Häppchen ja.
Lesen Sie dazu auch: 17 Tage Olympia - Der Sport im Ringen mit Politik und Justiz
DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat von ARD-Journalist Hajo Seppelt im Bezug auf seine Langlauf-Ergebnisse gefordert, Namen zu nennen. Der verweist auf Verdachtsberichterstattung und dass man keine „Hexenjagd“ inszenieren wolle. Auf welcher Seite stehen Sie?
Sörgel: Herr Hörmann ist ein Sicherheitsrisiko und eine Zumutung für den deutschen Sport. Da das IOC, die Sportverbände und natürlich auch der DOSB komplett versagen, müssen investigative Journalisten Trends bekannt machen. Das hat Hajo Seppelt nun schon oft getan und man nennt es „Verdachtsberichterstattung“. Das klingt erst mal negativ. Ich würde es „Trenderkennung“ nennen. Wenn sich die Damen und Herren von den Verbänden dann dazu entscheiden wollen, das weiterzuverfolgen, dann können sie ja. Hörmann hat mit seinen Äußerungen im BR am Sonntagabend bewiesen, dass er für den Job ungeeignet ist, indem er so tat, als ob er die Ergebnisse – zumindest für die deutschen Sportler – nicht schon längst hätte haben können.
Russland hat seinen Betrug nie zugegeben. Ist es richtig, dem Land die Möglichkeit zu geben, bei der Schlussfeier wieder aufgenommen zu werden und unter russischer Fahne einzulaufen?
Sörgel: Es ist doch längst entschieden, dass sie bei der Schlussfeier mit Fahne antreten. Auf internationaler Ebene gibt es doch überhaupt keinen Widerstand dagegen. So wenig wie man sich dazu entschließen konnte, eine Generalsperre für die Russen auszusprechen, so wenig will man den Einmarsch mit Flagge verhindern. Das IOC ist moralisch längst am Ende. Die Frage ist doch, was kommt danach?
Haben Sie überhaupt keinen positiven Ausblick?
Sörgel: Doch, ich hoffe, wenn die Spiele aus den russisch-asiatischen Fängen 2024 nach Europa (Paris, d. Red.) zurückkommen und hier in Zentraleuropa auf eine kritische Gesellschaft und Medienlandschaft treffen, dann wird das IOC seine Geschäfte nicht mehr so einfach und rücksichtslos abwickeln können. Und mit der 2024er-Olympiade wird das Ende des IOC eingeleitet.
Interview: Mathias Müller