„Ich war im Mittelpunkt – und doch einsam“: Ex-Skistar Lindsey Vonn spricht über ihre Depressionen

Die ehemalige US-Ski-Ikone Lindsey Vonn spricht im Merkur-Interview über die Schattenseiten ihrer Karriere und echte Freundschaften im Spitzensport.
München – Lindsey Vonn war einer der Superstars der alpinen Skiszene. Spätestens seit ihrem Olympiasieg 2010 in Vancouver auch in ihrer US-amerikanischen Heimat. Doch das Bild des schillernden Glamour-Girls täuschte, wie sie auch in ihrer Biografie „Hoch hinaus“ schreibt. Wie hoch der Preis war, erzählte die 38-Jährige, die heute Investorin der Ski-Equipment-Marke „Yniq“ ist, auch im Interview mit unserer Zeitung erklärte.
Lindsey Vonn |
Geboren: 18. Oktober 1984 in Saint Paul, Minnesota (USA) |
Einzel-Weltcupsiege: 82 |
Größte Erfolge: Olympiasieg 2010 (Abfahrt), 2 x WM-Gold (Abfahrt, Super-G) |
Karriereende:\t10. Februar 2019 |
Lindsey Vonn über ihr Karriereende: „Ich wollte ja eigentlich weitermachen“
Frau Vonn, Sie waren zu Ihrer aktiven Zeit dafür bekannt, sich mit Slogans auf den Skiern („Be aggressive“) selbst anzufeuern. Was würde dort heute stehen?
Oh, das ist schwer zu sagen, mein Fokus ist jetzt natürlich ein anderer. Hmm, aber ich denke, es wäre trotzdem nichts anderes als damals. Weil ich mich nicht verändert habe. Ich denke, diese Worte stehen einfach für mich und meinen Weg. Während und auch nach meiner Karriere.
Stichwort Karriere – Biografien beginnen meist mit dem größten Moment einer Laufbahn. Ihre, „Hoch hinaus“, beginnt mit deren Ende. Was sagt uns das?
Das ist eine sehr, sehr gute Frage. Ich wollte ja eigentlich weitermachen. Wollte weiter Skifahren, weil ich es sehr geliebt habe. Für mich war das ein unheimlich einschneidender Moment. Dass es einfach nicht mehr ging. Es ging etwas zu Ende, für das meine Familie viel investiert hat. Für das ich viel investiert habe. Ich habe für meine Karriere viel überwunden. Aber ich war damals körperlich total zerstört.
Lindsey Vonn über jahrelange Depressionen: „Mein Leben wurde plötzlich total ausgeleuchtet“
Nicht nur körperlich, wie es scheint, Sie litten auch viele Jahre unter Depressionen. Viele andere Sportler erleben das, wenn sie sich aus dem Rampenlicht verabschieden. Bei Ihnen scheint es gekommen zu sein, als Sie ins Rampenlicht traten.
Der drastische Wechsel war bei mir sicher das Problem. Ich war schon eine erfolgreiche Sportlerin, aber gerade nach meinem Olympiasieg hat sich alles verändert. Mein Leben wurde plötzlich total ausgeleuchtet. Ich war plötzlich immer irgendwie im Mittelpunkt. Aber ich war trotzdem alleine. Du bist fast immer umgeben von Leuten und doch einsam. Damit habe ich sehr zu kämpfen gehabt. Es gab viele Momente, in denen ich irgendwo in den Bergen alleine in einer Kabine saß und mir dachte: warum?
Also eher der gesellschaftliche als der sportliche Druck?
Das kann man sicherlich so sagen, ja. Den sportlichen Druck hast du natürlich. Wenn du eine erfolgreiche Sportlerin bist, dann erwartet man bei Großereignissen auch Erfolge von dir. Aber die erwartest du auch selbst. Diesen Druck machst du dir auch.
Sie sprechen von der Einsamkeit in Ihrem Leben. Man weiß, dass Sie zum Beispiel der Deutschen Maria Höfl-Riesch sehr nahestanden. Gibt es denn echte Freundschaften im Spitzensport?
Schon, wenn auch vielleicht nicht oft. Aber wenn man es genau betrachtet: Natürlich ist man Konkurrentin in den Rennen. Jeder will am Ende nach Möglichkeit gewinnen. Aber eigentlich kämpfst du weniger gegen die anderen Fahrerinnen als gegen den Berg und die Piste.
Lindsey Vonn: „Ein Star in der Szene zu sein, das ist etwas, auf das ich gut verzichten kann“
Würden Sie die Goldmedaille von Vancouver 2010 gegen ein wieder „normaleres“ Leben eintauschen?
Nein, das würde ich nicht. Die Goldmedaille ist etwas, wofür ich viele Jahre gearbeitet habe. Das war wie ein Projekt meines Lebens. Für mich ist das etwas wie der Lohn für vieles, was du über die vielen Jahre gemacht hast. Aber die andere Seite, ein Star in der Szene zu sein, das ist etwas, auf das ich gut verzichten kann. Das vermisse ich nicht. Was ich vermisse, ist das Adrenalin, wenn du mit 130 Kilometern pro Stunde den Berg hinunterfährst. Der Druck und die Kräfte, die auf dich wirken. Das Skifahren generell, weil es einfach mein Leben war.
Also kommt keine Sehnsucht auf, wenn Sie jetzt in Richtung WM in Frankreich schauen?
Nein, ich bin jetzt ja auch schon vier Jahre draußen und ich stehe im Leben. Ich hatte auch einen Plan für das Danach – ich war also nicht gelangweilt. Aber ich schaue mir das sehr gerne an. Ich freue mich sehr für meine ehemaligen Teamkollegen, die sehr gut gefahren sind. Ein bisschen traurig war ich, dass es für Sophia Goggia nicht geklappt hat. Sie ist eine wirklich gute Freundin von mir.
Die technischen Disziplinen stehen noch aus. Was erwarten sie am Abschlusswochenende?
Das wird sehr interessant. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mikaela (Shiffrin, d. Red.) noch mehr holt. Wobei der Riesenslalom momentan in meinen Augen ihre bessere Disziplin ist. Auch Sara Hector traue ich viel zu. Und ich würde mich natürlich über ein gutes Ergebnis für Paula Moltzan freuen. Sie hat ihre Ursprünge wie ich in Buck Hill. Das verbindet einen natürlich.
(Interview: Patrick Reichelt)