Vorfall um Gil Ofarim in Leipziger Hotel - wieso ein Schauspieler den Fall jetzt nachspielt

Gil Ofarim erhob im Oktober Antisemitismus-Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter des Leipziger „The Westin“-Hotels. Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen den Fall – jetzt mit Hilfe eines Schauspielers, der die Szene nachstellt.
Leipzig - Der Skandal war deutschlandweit in den Medien. Der Sänger Gil Ofarim äußerte im Oktober Antisemitismus-Vorwürfe gegen einen Mitarbeiters des Leipziger Hotels „The Westin“ und stellte Strafanzeige. Polizei und Staatsanwaltschaft nahmen den Vorwurf sehr ernst und leiteten Ermittlungen ein – jetzt soll ein Nachstellen der Szene mit Hilfe eines Schauspielers Klarheit bringen, wie der Spiegel berichtet.
Antisemitismus-Skandal: Viele Fragen sind noch offen
Der Sänger, Schauspieler und Musiker Gil Ofarim erzählte Anfang Oktober in einem Video auf Instagram von einem Vorfall im Leipziger Hotel „The Westin“. Seiner Aussage zufolge sei er beim Check-in nachteilig behandelt worden, da er eine Kette mit einem Davidstern trug. Das Hotel leitete aufgrund des Antisemitismus-Vorwurfs interne Ermittlungen ein und beauftragte dafür eine Anwaltskanzlei, diese fand jedoch keine Beweise für die Version des Sängers. Der Mitarbeiter selbst bestreitet die Vorwürfe und erstattete seinerseits Anzeige wegen Verleumdung. Ofarim reichte ebenfalls Strafanzeige gegen den Angestellten des Hotels ein, die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft laufen, zahlreiche Zeugen wurden bereits befragt.
Auch das Videomaterial der Überwachungskameras des Hotel wurde bereits zweimal ausgewertet, einmal vom Hotel selbst, einmal von einem Experten für digitale Forensik. Die vom Hotel beauftragte Kanzlei gab in ihrer Bewertung der Videos an, dass die betreffende Kette nicht auf den Aufnahmen zu sehen war.
Im Anschluss zogen die Ermittler den Experten Dirk Labudde hinzu, einen Professor für digitale Forensik an der mittelsächsischen Hochschule Mittweida. Der digitale Forensiker wertete das Material der Überwachungskameras erneut aus, wobei die Ergebnisse der Untersuchung laut Spiegel bislang noch nicht offenliegen. Noch sind also viele Fragen offen, weshalb sich die Ermittler nun dafür entschieden, die betreffende Szene mit einem Schauspieler nachzustellen.
Schauspieler soll Szene nachstellen, Experten analysieren Videoaufnahmen
Der Schauspieler soll die Szene 1:1 nachstellen und wird dabei von den Überwachungskameras des Hotels gefilmt. Im Hotel in Leipzig sind sowohl die Ermittler vor Ort, als auch die Experten für digitale Forensik der Hochschule Mittweida. Sie sollen Informationen des Spiegel zufolge die Kameras überprüfen und die neuen Aufnahmen der Überwachungskameras im Anschluss mit den Originalvideos aus dem Oktober vergleichen. Dabei soll es nicht nur um die Kette gehen, sondern um ein Nachstellen des gesamten Vorfalls inklusive Betreten und Verlassen der Hotellobby. Diese „Dreharbeiten“ sind Teil des Gutachtens, das die Ermittler in Auftrag gaben.
In einem Interview mit dem Spiegel sagte der Musiker: „Ich hatte die Kette durchgehend an. Ich verstehe nicht, warum jetzt darüber debattiert wird, ob ich die Kette anhatte oder nicht“. Das sei in etwa so, als würde man sagen, ein Jude solle seine Kippa nicht tragen, dann werde ihm auch nichts passieren, so der Sänger. „Das darf nicht wahr sein.“
Gil Ofarim vs. „The Westin“-Hotel: Was der Antisemitismus-Skandal lehren kann
Unabhängig vom Ausgang der Untersuchungen regte der Fall eine Debatte über Antisemitismus in Deutschland an. Denn auch über 70 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges ist das Leben für Juden in Deutschland alles andere als normal. Jüdische Einrichtungen wie etwa Synagogen, Gemeindezentren, Schulen oder Kindergärten sind Bedrohungen ausgesetzt und müssen von Polizei bewacht werden. Besonders in Krisenzeiten profitieren vor allem rechte Parteien und befeuern Antisemitismus. Gerade Finanzkrisen haben einen großen Einfluss, wie etwa ein Blick auf die Wahlergebnisse der Europawahlen 2014 zeigt.
Auch Globalisierung, Digitalisierung und der Klimawandel tragen zu einer allgemeinen Verunsicherung und einem gefühlten Kontrollverlust bei, sagt etwa die Grünen-Politikerin Marina Weisband der Augsburger Allgemeinen. „Diejenigen, die nicht gelernt haben, Kontrollverlust und Komplexität auszuhalten, erzählen sich dann eine Geschichte, die die Welt vereinfacht. Und in dieser Geschichte muss es die Guten und die Bösen geben“, erklärt Weisband die Hintergründe. „Juden gehören [...] auch in der Corona-Krise zu den Sündenböcken.“ Obwohl sie selbst häufig Ziel von Hassrede und Bedrohungen ist, versucht die ehemalige Piraten-Politikerin aufzuklären. Auf Youtube startete sie 2020 zusammen mit Eliyah Havemann ein Format mit dem Titel „Frag einen Juden“, das mittlerweile als Buch verlegt wurde.
Der Fall in Leipzig richtete den Fokus jedoch auch auf ein weiteres gesellschaftliches Problem. Sowohl der Musiker selbst als auch der Mitarbeiter des Hotels sahen sich – noch vor dem Ende der Ermittlungen – mit Anfeindungen im Internet konfrontiert. Immer wieder kommt es in sozialen Medien zu einer Flut von Hasskommentaren, einem sogenannten Shitstorm.