Speidel: Ungewöhnliches Interview zum 60.

München - Jutta Speidel feiert heute ihren 60. Geburtstag - und zwar auf der Bühne. Der tz gab sie ein ungewöhnliches Interview.
Rückblicke sind nicht ihr Ding, auch nicht zum 60. Geburtstag. Jutta Speidel genießt lieber den Augenblick – und ihre Arbeit. Und deshalb findet sie’s auch gar nicht schlimm, dass sie an diesem Mittwoch mit ihrem Stück Verliebt, verlobt, verschwunden im Frankfurter Rémond-Theater auf der Bühne steht. „Andere arbeiten doch auch an ihrem 60. … “, lacht sie ins Telefon, „heute muss man ja froh sein, wenn man das noch darf.“
Ein ganz normaler Theaterabend wird’s aber trotzdem nicht werden. „Ich bin schon ein bisschen nervös“, gesteht sie. Schließlich werden am Geburtstagsabend alle ihre Lieben im Publikum sitzen: ihre Töchter Franziska (31) und Antonia (28), Lebensgefährte Bruno Maccallini und einige Freunde. „Vielleicht krieg ich ja ein Ständchen …“ Eine Party gibt’s danach auf jeden Fall und reichlich Beifall … Auch von der tz – für ein ungewöhnliches Geburtstagsinterview.
Hier das Protokoll:
Es ist kurz nach zehn, als bei Jutta Speidel in ihrem Frankfurter Gastdomizil das Handy klingelt. Zehn, elf, zwölf Mal …, dann ist sie dran, noch nicht ganz bei Stimme und sehr verschlafen: „Hallo???“
Hab ich Sie geweckt, Frau Speidel?
Jutta Speidel: „Jaaaa.“
Oh, tut mir leid, wir waren eigentlich für zehn Uhr verabredet ...
Jutta Speidel: Ohh ... ist es schon zehn ...?!
Soll ich vielleicht später noch einmal anrufen …?
Jutta Speidel: Nein, nein, das machen wir jetzt. Wissen Sie, ich hab’ die letzten Nächte schlecht geschlafen. Es war Vollmond, da schlaf ich nie gut ... aber legen Sie doch los. Ich mach mir nur nebenher einen Tee …
Von wegen nur Tee ... Im Laufe des Gesprächs schafft es die Schauspielerin auch noch, sich anzuziehen und frisch zu machen – und mit ihren Hunden am Mainufer Gassi zu gehen. Nur einmal muss sie das Handy kurz wegstecken, als Nepomuk, die Chihuahua-Pekinesen-Mischung ihres Schwiegersohns in spe einen mittelalten Herrn („mit grünem Sakko“) ins Visier nimmt ... und Jutta Speidel das „Opfer“ retten muss. So sanft ihr Ton bis dahin am Telefon war, so laut wird sie jetzt: „NEE-POO-MUUK!“
Die Schauspielerin kann auch streng sein! Nachzulesen ist das in ihrem neuen Buch, dem vierten, das sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Bruno Maccallini veröffentlicht. Wir haben doch ein Auto (ab 10. April im Buchhandel) lautet die Fortsetzung von Wir haben gar kein Auto, und dabei geht’s um eine Wohnmobil-Reise durch Süditalien. Ulkig: Die hat Bruno bei einer Weinverkostung gewonnen! Das Problem an der Sache: Jutta Speidel hasst Wohnmobil-Reisen, ließ sich dann aber doch dazu überreden. „Aber nur unter der Bedingung“, stellt sie klar, „dass ich nicht fahren, nicht kochen und auch nicht das Klo putzen muss!“
Die Fahrt? „Unvergesslich“, erzählt sie lachend. „Immer, wenn Bruno ein Ziel bombastisch angepriesen hat, ging’s völlig in die Hose.“ Und ein Abenteuer erlebten die Zwei auch noch – als sie ihr Wohnmobil auf einem Parkplatz zwischen anderen Campern abstellten und erst mit einiger Verspätung entdeckten, dass sie auf dem Straßenstrich gelandet waren!
Oh Madonna … unser (TV-)Liebling, Schwester Lotte zwischen Sodom und Gomorra – klingt nach himmlischem Lesevergnügen …
Apropos Nonne: Jutta Speidel ist froh, dass dieses TV-Kapitel für sie beendet ist: „Für mich war die Rolle auserzählt. Und ich bin sehr stolz darauf, dass ich in meiner Karriere – und zwar von Anfang an – immer nur das gemacht habe, von dem ich überzeugt war. Auch, wenn das vielleicht finanziell ein Risko war.“ Den Kollegen um Fritz Wepper wünscht sie aber natürlich weiterhin viel Erfolg.
Erfolg ist für sie übrigens nicht unbedingt das, was zählt im Leben. Die Jagd nach Ruhm und Reichtum ist ihr eher suspekt. „Ich bin zufrieden, wenn ich’s schaffe, dass es meinen Kindern und meiner Mutter gut geht, den Menschen, die um mich herum sind.“ Ihren Töchtern („Die ganz anders sind als ich“) wollte sie immer vermitteln, dass sie „mutig und ohne Angst durchs Leben gehen und sich im besten Sinne zu Menschen mit Herz entwickeln“.
Mit einem Herz, das sich berühren lässt. So wie Jutta Speidel das 1995 selbst erlebte, als sie davon hörte, dass es in ihrer Geburtsstadt, im reichen München, über 350 obdachlose Kinder gibt. Und heute? „Kann man an die Zahl leider noch eine Null dranhängen“, meint sie traurig. „Dabei meinten die Beamten im Sozialreferat, als ich ihnen mein Projekt Horizont e.V. vorstellte, dass sich das Problem in fünf Jahren erledigt hätte …“ Doch da lagen die Herren – leider – falsch. Ebenso wie mit ihrer Einschätzung, die Schauspielerin werde schnell die Nase voll haben, wenn sie erst merke, mit welcher Klientel sie es zu tun habe ...
Nächstes Jahr macht sie die 20 Jahre voll! Und das nächste Großprojekt steht schon vor der Tür. „Wir wollen ein zweites Haus für Familien bauen, allerdings ist die Grundstücksfrage noch nicht ganz geklärt.“
600 000 Euro Spenden muss Jutta Speidel jedes Jahr sammeln, damit Horizont seine Arbeit fortsetzen kann. Und stolz sagt sie: „Ich schaff das. Und zwar ohne Purzelbäume zu schlagen.“
Trotzdem würde sie sich zum 60. natürlich über Spenden freuen. „Bei uns ist das Geld in jedem Fall besser angelegt, als wenn es in der Schweiz vor dem Finanzamt versteckt wird ...“
Jutta Speidel spricht gern Klartext. Obwohl sie sagt, dass sie in den letzten Jahren doch ein bisschen diplomatischer geworden sei.
In Sachen Partnerschaft gibt’s aber keine Kompromisse. Auch nach zehn Jahren Beziehungsaufs- und -abs mit ihrem Bruno kommt Heiraten für sie nicht infrage. Im Gegenteil: „Ich brauch keinen Gatten, ich brauch einen Lieb-Haber“, lacht sie. Ihr Erfolgsrezept für eine gute Beziehung ist kein lebenslanges Eheversprechen, sondern „viel Toleranz, Humor und eine gute Kommunikation. Wenn die stimmt“, räumt sie aber ein, „dann ist das schon der pure Luxus.“
Wolfgang de Ponte