Auch als der Krieg in der Ukraine begann, war es für Viktoriia und Ganna nicht vorstellbar, ihr gewohntes Leben zu verlassen. „Es wird schon irgendwie agut gehen“, glaubten sie die ersten Tage. Doch dann wurden am 1. März in Baschtanka bei einem Angriff Läden, Häuser und Straßen zerstört. Platon wickelten sie in eine dicke Wolldecke und verschanzten sich mit ihm im Keller.
Bis zum 17. März harrten sie dort aus. Platon wurde krank. Auch ohne Krieg kann er seine Ängste kaum kontrollieren und nun war er Tage lang im Keller gefangen. An eine medizinische Versorgung war nicht zu denken. In diesen Tag organisierte die evangelische Kirchengemeinde der Stadt Busse in den Westen der Ukraine. Viktoriia, Ganna und Platon bekamen einen Platz.
Mit ein paar Tüten und Taschen reisten sie ab, ließen ihre Heimat und alles, was ihnen lieb war zurück. Es ging nach Iwano-Frankiwsk (bis 1962 Stanislau). Dort hat die Familie Verwandtschaft – aber schreckliches Heimweh. Sie beschlossen, lieber in ihrer Heimat auszuharren als irgendwo in der Fremde. Mit viel Glück kamen sie wieder unversehrt in Baschtanka an. Aber die Angriffe dort wurden immer heftiger, Zivilisten kamen unweit ihres Hauses ums Leben. Viel zu gefährlich für Platon. Und er hörte auf zu sprechen und zu essen. Innerhalb kurzer Zeit nahm der Bub vier Kilo ab. „Uns ist keine andere Wahl geblieben“, erzählt Viktoriia Sukhyna. Die beiden verließen erneut ihr Zuhause, allerdings ohne die Babuschka.
Erst Tage später trafen sie sich nach Aufenthalten in Lwiw später in Polen wieder. Dort kam Viktoriia mit Christine Bronner in Kontakt. Die in München die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz (AKM) gegründet hat und nun schwer kranke Kinder aus dem Kriegsgebiet holt. Sie sah sofort: Auch wenn Platon keine lebensbedrohliche Krankheit hat, braucht er doch dringend Hilfe. Und die bekam er.
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Seither kümmert sich das Ambulante Kinderhospiz München um die Familie, hat Ihnen in München eine Unterkunft besorgt, unterstützt sie bei allen medizinischen und bürokratischen Fragen und hat auch dafür gesorgt, dass sie mit der Münchner Tafel in Kontakt kommen. „Auch wenn das nicht zu unseren originären Aufgaben gehört, sehen wir die Unterstützung ganz klar als Akt humanitärer Hilfe“, erklärt Barbara Schachtschneider, Bereichsleiterin der AKM-Angehörigenberatung.
Eine der ersten Stellen, die wie so vielen anderen Flüchtlingen aus der Ukraine ganz unbürokratisch auch den Sukhynas geholfen hat, ist die Münchner Tafel. Jeden Samstag ist Viktoriia Sukhyna nun bei der Ausgabestelle an der Großmarkthalle, bekommt vor allem für Platon Lebensmittel, die ihm guttun, aber im Laden viel zu teuer wären. „Er isst so gerne Südfrüchte, braucht vor allem glutenfreie Nahrung“, erzählt Mama Viktoriia.
Sie ist dankbar für die Unterstützung. Nicht nur für die Lebensmittel. Für jedes freundliche Wort, für jede Hilfe bei bürokratischen Hürden. Für die Hilfe bei der Suche nach einer integrativen oder heilpädagogischen Schule für Platon. „Die Hilfsbereitschaft für uns ukrainische Familien hier ist überwältigend.“
Es ist viel passiert seit 1994, als Hannelore Kiethe, Vera Mauser und fünf Freundinnen beschlossen, den Verein Tischlein Deck Dich zu gründen. Mit einem Lächeln denken Tafel-Chefin Hannelore Kiethe und Mitbegründerin Barbara Dengler an die Anfänge zurück. Als etwa ein Dutzend Menschen mit Tüten unter den Armen in der Blumenau standen und argwöhnisch fragten, ob es hier wirklich Lebensmittel umsonst gäbe. „Kein Trick dabei?“ Nein, kein Trick dabei. Hannelore Kiethe: „Wir mussten Vertrauen aufbauen. Wir sprachen die Menschen an, wir interessierten uns für ihre Familien und Situationen und vor allem: Wir blieben nicht plötzlich weg.“ Egal bei welchem Wetter, einmal in der Woche, immer am gleichen Tag, immer an der gleichen Stelle.
Das ist bis heute so. „Vertrauen ist das Wichtigste“, sagt auch Barbara Dengler, eine der Mitbegründerinnen der Münchner Tafel. 22 Jahre lang hat sie an der Ausgabe in der Blumenau mitgeholfen. „Dann hat es beruflich nicht mehr gepasst. Wenn man nur ab und an vorbeikommt, dann macht das keinen Sinn. Man muss die Menschen regelmäßig sehen, mit ihnen in Kontakt sein.“
Umso mehr freut es Barbara Dengler, wenn sie sieht, wie gut es in der Blumenau bei Ausgabestellenleiterin Shauna Speck läuft. Es ist die einzige Ausgabestelle, die entlang einer Straße aufgebaut wird und ein eigenes Halteverbotsschild des KVR hat. Zwischen Ida-Schumacher-Weg und Ludlstraße versorgen heute 22 Helfer rund 196 Familien, also knapp 500 Personen. Und die Passanten sehen quasi auf der Straße, wie die Tafel arbeitet und wo die Spenden hingehen. Direkter ist Hilfe kaum wahrnehmbar. Das ist heute nicht anders als in den Anfangsjahren der Münchner Tafel.