Wie so viele seiner ukrainischen Landsleute hat der 48-Jährige versucht, so lange wie möglich in seiner Heimat zu bleiben. Für die Armee ist der Caterer untauglich. Vor vielen Jahren wurde er wegen einer Schilddrüsen-OP ausgemustert. Als die russischen Panzer immer näher an ihr Heimatstädtchen im Großraum Kiew kamen, flüchtete die Familie zunächst zur Schwiegermutter in ein 100 Kilometer entferntes Dorf. Dann rollten die russischen Panzer auch dort an, der Beschuss ging los, den Vorobiovs blieb nichts ünbrige, als weiter in die Westukraine zu flüchten. „Da waren bereits alle Unterkünfte überfüllt und wir hatten keine Möglichkeit, irgendwo unterzukommen.“ Über Rumänien, Ungarn und Österreich landete die Familie in Bayern. Zunächst fand sie zwischen Deggendorf und Dingolfing einen Platz in einer Pension. Über einen Bekannten erhielt sie schließlich Kontakt nach München. Mit viel Hilfe haben sie jetzt eine Einzimmer-Wohnung in Neuperlach und ihr Sohn einen Platz in der europäischen Schule. „Was für ein Glück in dieser Zeit“, sagt Borys Vorobiov. Für den Unternehmer war von Anfang an klar, dass er so schnell wie möglich Arbeit braucht, um sich selbst zu finanzieren. Über die sozialen Netzwerke hörte er, dass die Münchner Tafel Fahrer sucht. Und seit Juni gehört der 48-Jährige zum Team. Gerne würde er schon besser Deutsch sprechen, er besucht einen Abendkurs, seine Frau einen Integrationskurs, um sich mit seinen deutschen Fahrer-Kollegen besser austauschen zu können. „Wir werden hier so gut aufgenommen und integriert. Die Münchner Tafel hat uns dabei so sehr geholfen.“
Ihor Zhuravlenko stammt aus einem Städtchen in der Nähe von Kiew. Dort besitzt er zwei Geschäfte für Taschen, Schul- und Bürobedarf. Am 13. Februar ist er mit seiner Frau Taisa in den Urlaub gestartet. Ein bisschen Sonne und Strand vor dem kalten Winter. Dann kam der 24. Februar. Seitdem sind er und seine Frau auf der Flucht. Denn alle Rückflüge aus Ägypten wurden sofort gestrichen, der Flugverkehr in die Ukraine eingestellt. Ihor Zhuravlenko konnte sich nicht aussuchen, mit welchem Ziel er aus Ägypten ausgeflogen wurde. Manche Maschinen gingen in die baltischen Staaten, manche eben nach Deutschland. Am 8. März ist das Ehepaar in München gelandet. „Wir hatten keine Ahnung, wie es weitergehen würde“, erzählt der 49-Jährige. Es war ein Zufall, dass die beiden auf eine Familie trafen, die helfen wollte und Ihor und Taisa einfach vom Flughafen mit zu sich nach Hause nahmen. Einen Monat konnten sie dort bleiben. Ihor nennt sie „Engel“. Nach rund vier Wochen ist das Ehepaar nach Tutzing in ein Flüchtlingsheim umgezogen. Rund 15 Familien aus der Ukraine leben dort. Über die Helfer hat Ihor auch von der Münchner Tafel erfahren und einen Flyer in ukrainischer Sprache in die Hände bekommen, mit dem die Tafel Fahrer sucht. „Ich habe mich sofort beworben. Und dann hat es auch geklappt.“ Vor allem, weil Ihor Zhuravlenko die notwendigen Führerscheine besitzt. „Ich habe auch als Busfahrer in der Ukraine gearbeitet.“ Personalchef Axel Schweiger ist mit Ihor und seinem Kollegen Borys (siehe links) sehr zufrieden: „Zuverlässig, gut ausgebildet und fleißig.“
Wir möchten etwas von der Hilfe zurückgeben
Über das gute Zeugnis freut sich Ihor. Auch wenn er sonst Unternehmer ist. „Wir sind uns alle für nichts zu gut, ganz im Gegenteil. Wir sind dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, zu arbeiten.“
Ca. 40 Stunden ist Fahrer Ihor für die Münchner Tafel pro Woche unterwegs. Morgens um 7.30 Uhr geht es los. Doch bereits um 4.30 Uhr klingelt sein Wecker. Um 5.15 Uhr sitzt er im Zug von Tutzing nach München. Damit er das günstige Ticket nutzen kann, mit dem man nur bis sechs Uhr fahren darf. Damit spart er jeden Monat 100 Euro. Die eineinhalb Stunden bis Arbeitsbeginn sind Schulzeit für Ihor. Per Handy-App lernt er Deutsch. Gegen 19 Uhr ist er zurück in seiner Unterkunft, verbringt noch eine Stunde mit seiner Frau in dem 13 Quadratmeter großen Zimmer, das sie seit April bewohnen. Seine Frau ist Pädagogin, hat noch keine Arbeit. „Wir möchten uns zum einen nützlich machen und zum anderen etwas für die Hilfe, die wir hier erhalten, zurückgeben.“
Ihor ist bescheiden. Natürlich würde er sich für sich und seine Frau eine kleine Wohnung in München wünschen, damit der lange Fahrtweg wegfällt. Und natürlich möchte er so schnell wie möglich zurück in seine Heimat, ein Stück seines alten Lebens zurückhaben. „Unser Haus steht Gott sei Dank noch.“
Aber das Allerwichtigste ist ihm einfach: dass dieser schreckliche Krieg so schnell wie möglich zu Ende ist.
Bis vor wenigen Wochen unterrichtete Anastasiia Englisch an einer Schule in Odessa. Jetzt macht sie das Gleiche, allerdings an einer Schule in Bukarest, wo sie Unterricht für ukrainische Flüchtlingskinder organisiert. Mit Unterstützung der rumänischen Behörden erhielten Anastasiia und andere ukrainische Lehrer die Erlaubnis, acht Klassenzimmer im Gymnasium Mihai Viteazu in Bukarest einzurichten, wo die Kinder nun endlich wieder in Sicherheit lernen können.
Anastasiia erinnert sich an die Szenen auf dem Bahnhof in Bukarest in den Wochen nach ihrer Ankunft in Rumänien. Sie war mit ihrem zweijährigen Sohn Kyril aus ihrer Heimatstadt Odessa in der Südukraine in die Stadt geflohen, als es dort immer gefährlicher wurde. Anastasiia ließ ihren Mann, ihre Eltern und ihren Job als stellvertretende Direktorin einer Grundschule zurück. „Wenn ich mich jetzt umschaue, denke ich oft an unser früheres Leben. Wir dachten, es sei langweilig – aber es war ein glückliches Leben“, sagt sie. Als immer mehr Flüchtlinge in der rumänischen Hauptstadt ankamen, ging Anastasiia mit anderen geflüchteten Kollegen zum Bahnhof, um zu helfen. Zwar hatten sie ihre Heimat verloren, nicht aber ihren Wunsch, Kindern beizustehen.
Wir müssen Kindern helfen, den Krieg zu verarbeiten
„Wir sind Lehrer, wir wollen unterrichten – egal wo“, erklärt Anastasiia. Ihre Initiative hatte Erfolg: Mit Unterstützung des rumänischen Bildungsministeriums wurden in weniger als einer Woche zusätzliche Klassen an dem Gymnasium eingerichtet. Rund 50 ukrainische Flüchtlingskinder im Alter von fünf bis zehn Jahren konnten endlich wieder lernen. Sie erhalten Unterricht in Ukrainisch und Englisch, im Lesen und Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften. Die Zahl der Kinder wuchs stetig: Inzwischen kommen rund 230 Flüchtlingskinder und lernen mit Unterstützung von Unicef und lokalen Partnern. Es gibt eine Warteliste und es werden noch mehr ukrainische Lehrer benötigt, um alle Fächer abzudecken.
Unicef unterstützt die Regierungen und Gemeinden des Aufnahmelandes dabei, ukrainischen Kindern Zugang zum Unterricht und zu digitalem Lernen anzubieten. Dies ist enorm wichtig, um Kindern eine Tagesstruktur zu geben und ihnen zu helfen, ihre Kriegserfahrungen zu verarbeiten, so Unicef-Sprecherin Christine Kahmann, die gerade in der Ukraine war. „Die Schule gibt den Kindern ein wichtiges Gefühl von Struktur und Sicherheit zurück und ist ein Ort, an dem sie unbeschwerte Zeit mit anderen Kindern verbringen können.“ Unicef hat diverse „School-in-a-Box“-Pakete an die Schule geschickt, die aus Materialien für Lehrer und Schüler, Sportpakete sowie Rucksäcke mit Material für Flüchtlingskinder bestehen. Jede Schultasche enthält Notizbücher, Buntstifte und eine Malpalette.
Sofiya und Liza sind zwei der 200 ukrainischen Kinder, die jetzt in Mihai Viteazu lernen. Sie sagen, sie mögen ihre neue Schule. Ihre Lieblingsfächer sind Mathematik und Englisch. Sie kamen zusammen mit ihrem Englischlehrer nach Rumänien, während ihre Familien noch in Odessa sind.
Anastasiia kämpft vor allem mit den Tagen, an denen die Kinder erfahren, dass einer ihrer Verwandten im Krieg getötet wurde. Ihre Schule muss weit mehr leisten, als nur Wissen zu vermitteln. Es ist ein ständiger Balanceakt, das Gleichgewicht zwischen Unterricht und einem sicheren Umfeld zu schaffen. „Meine Kollegen und ich versuchen, den Kindern Kraft zu geben“, sagt sie. Auch die Kraft, keinen Hass zu empfinden. „Sie haben alle das Recht zu hassen, aber es macht sie von innen heraus kaputt.“ Die Gelassenheit, die Anastasiia an den Tag legt, lässt auch leicht vergessen, dass sie selbst ein Flüchtling ist, selbst jeden Tag mit der Angst um ihre Familie lebt.
Fahrer werden bei der Münchner Tafel immer gebraucht. Denn an sechs Tagen der Woche sind 19 Transporter unterwegs, um gerettete Lebensmittel abzuholen und zu verteilen. Nur wenn die Flotte funktioniert, können jede Woche die 23 000 Gäste der Tafel an den 28 Ausgabestellen versorgt werden. Borys Vorobiov und Ihor Zhuravlenko, die beide aus der Ukraine stammen, sind zwei von rund 20 Fahrern, die fest angestellt sind oder über öffentliche Fördermaßnahmen finanziert werden. Ingesamt sind die meisten der 180 Fahrer ehrenamtlich unterwegs. Zwischen 50 und 60 Mitarbeiter sind täglich für den Fuhrpark im Einsatz. Manche können nur ab und zu, manche sind fast jeden Tag auf einer Tour unterwegs. Die meisten starten morgens um 7.30 Uhr mit der Abholung. Danach geht‘s hin und her – zu den Abholpunkten, zum Lager, zu den Ausgabestellen und wieder zurück – alles nach einem ausgeklügelten System.
Haben Sie noch Fragen oder möchten selbst aktiv werden, beispielsweise eine eigene Spendensammlung oder Versteigerung organisieren? Dann rufen Sie an oder schreiben eine E-Mail. tz-Redakteurin Dorit Caspary hat sich sowohl bei den Projekten der Münchner Tafel als auch bei Unicef ein Bild gemacht. Sie können sich sicher sein: Jeder Spenden-Euro wird dringend gebraucht. Unsere Reporterin erreichen Sie unter Tel. 089/5306 512 oder per E-Mail unter dorit.caspary@merkurtz.de.