Angehörige dürfen ihren geliebten Menschen nicht auf dem letzten Weg begleiten, Bewohner warten verzweifelt auf ihre Liebsten, die sie nicht besuchen dürfen. Situationen, die nicht spurlos an einem vorübergehen. „Corona macht etwas mit den Menschen“, sagt Kurka-Wöbking, die auch im Vorstand des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe ist.
108 Mitarbeiter gehören dem Team im KWA Stift am Parksee an, davon 52 Pflege- und Betreuungskräfte, die sich Tag und Nacht dafür einsetzen, dass das Haus von Corona verschont bleibt. Deshalb gibt es ein engmaschiges Impf- und Testsystem. „Als unser erster Fall aufgetaucht ist, haben wir sofort alle Kontakte getestet und dann Stichproben unter den Bewohnern gemacht. An viel Schlaf war in dieser Zeit nicht zu denken.“ Wenn die Luft brennt, steht die Stiftsdirektorin selbst in vorderster Reihe. Testet, impft, versorgt die Bewohner. Auch jetzt, in der vierten Welle: „95 Prozent unserer Bewohner sind schon geboostert.“
Der Preis ist hoch – bei allen. „Wir haben leider auch Ausfälle wegen Krankheit und Belastung. Eine Mitarbeiterin hat umgesattelt.“ Die anderen machen weiter. „Wir werden auch die vierte Welle mittragen“, sagt Kurka-Wöbking. Nur bei einer Impf-Pflicht* für Pfleger sieht sie Rot. „Es kann nicht sein, dass die Menschen an den Pranger gestellt werden, die sich seit 19 Monaten aufopferungsvoll für unsere Gesellschaft einsetzen!“
Von Bett zu Bett hetzt Katarina Sulic (39) noch immer. Bloß nicht mehr im Altenheim oder Krankenhaus – sondern auf vier Rädern. 2013 kam die Kroatin nach Bayern und arbeitete als Stations- und Intensivpflegerin. „Je größer die Betriebe, desto schwieriger“, sagt sie. „Da wurde man als Angestellte als Zahl und nicht als Mensch gesehen.“ 2019 zog sie die Reißleine: Mit einem ambulanten Pflegedienst machte sie sich selbstständig, lernte als Arbeitgeberin aber auch schnell die andere Seite kennen. „Eine gute Pflegekraft zu finden, ist sehr schwer“, sagt sie. „Wir leisten bei den Hausbesuchen ja nicht nur körperlich harte Arbeit, sondern auch mental.“
Sechzig Menschen pflegt Sulic mit ihrem Team aus vier Festangestellten und drei Mini-Jobbern. Port reinigen, Insulin spritzen, Kompressionsstrümpfe anlegen, waschen, Medikamente geben, Einläufe legen – und all das im Akkord. „Letztens hat sich eine Kollegin den Arm gebrochen – da wurde es eng“, so Sulic. Alle Termine sind dicht getaktet: Nur so verdient sie genug, um den Betrieb am Laufen zu halten.
„Die Krankenkasse zahlt mir 3,62 Euro für die Medikamentengabe und kalkuliert drei Minuten ein. Die Parkplatzsuche dauert aber ja oft schon zehn Minuten“, seufzt Sulic. Minuten, die sich läppern, wenn in siebeneinhalb Stunden 15 Patienten versorgt werden müssen. Und wenn Kleinbeträge Gehälter, Handschuhe, Desinfektionsmittel, Pinzetten & Co. decken müssen.
Die Pandemie macht es noch anstrengender – und hinzu kommt die Angst, sich oder Patienten anzustecken. „Deshalb plädiere ich für eine Impf-Pflicht“, sagt Sulic. „Und das nicht nur für die Pfleger.“ Zwei Patienten seien nicht geimpft – und ein Risiko für alle.
Christina Erbel liebt ihren Beruf. Umso schlimmer ist es für die Kinderkrankenschwester, wenn sie das Gefühl hat, ihren kleinen Patienten nicht gerecht werden zu können. „Die Qualität in der Pflege sinkt. Es fehlt einfach oft an Zeit für die Patienten und ihre Familien“, sagt die 41-Jährige.
Seit 17 Jahren arbeitet Erbel auf der Intensivstation der Kinderkardiologie am Klinikum Großhadern. Viele Jahre, in denen sie dem wachsenden Druck standhält, in Notsituationen immer wieder spontan einspringt. So wie ihre Kollegen auch. „Wir sind ein gutes Team. Aber die Belastung wird immer größer“, sagt die Münchnerin. Personalmangel und Bürokratie machen den Arbeitsalltag zum Spießrutenlauf. „Man ist oft unzufrieden, weil man seine Arbeit nicht geschafft hat. Man hat ja einen hohen Anspruch an sich selbst.“
Acht Betten könnten auf Erbels Station belegt werden. Aktuell sind es wegen des Personalnotstands nur vier. „Allein bei uns könnten sofort zehn bis zwölf Vollzeitkräfte eingestellt werden“, sagt sie. Doch die harten Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung schrecken ab. 2800 Euro brutto ist das Einstiegsgehalt für eine Kinderkrankenschwester. „Mehr Gehalt wäre ein erster Schritt“, sagt Erbel.
Doch auch hier: Ernüchterung. Die von den Gewerkschaften geforderte Gehaltserhöhung von 300 Euro im Monat für Mitarbeiter des Gesundheitswesens tat die Tarifgemeinschaft der Länder jüngst als „unrealistisch“ ab. Erbel ist sauer. „Nach zwei Jahren Klatschen und Lavendel ist das einfach ein Witz.“ Beim Warnstreik vergangenen Dienstag war sie auf der Straße. „Nur Jammern ist keine Option. Mein Beruf ist zu wichtig und zu schön, um das Handtuch zu werfen.“
Das Gesundheitsministerium möchte im ersten Quartal 2022 die Pflegekräfte mit einem Bonus würdigen. Das trifft jedoch nicht auf alle* zu. *tz.de und Merkur.de sind Angebote von IPPEN.MEDIA