Darum schnappen sie Osama bin Laden nicht

München - Nach Angaben von CNN weiß die Nato, wo sich Osama bin Laden, der meistgesuchte Terrorist der Welt, aufhält. Die Frage ist nur: Warum schnappt ihn sich niemand? Ein Experte im Interview:
Osama bin Laden, der meistgesuchte Terrorist der Welt, soll gemütlich in Pakistans Nordwestprovinz Waziristan leben? Ein
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komfortables Haus bewohnen ganz in der Nachbarschaft seines Stellvertreters als Führer der Terrororganisation Al-Kaida? Der US-Nachrichtensender CNN zitiert nun einen nicht namentlich genannten hochrangigen Nato-Offizier, der genau das behauptet. Bin Laden und seine Nummer zwei, Eiman al-Sawahiri, würden zudem von Einheimischen und Angehörigen des pakistanischen Geheimdienstes ISI beschützt.
Bilder vom 11. September 2001
Niemand von Al-Kaida wohne in einer Höhle, in den vergangenen Jahren habe sich der Terrorchef vielmehr in einem Gebiet von mehreren hundert Quadratkilometern bewegen können. Pakistans Regierung reagierte knapp auf die Äußerungen. Innenminister Rehman Malik wies die Vorwürfe am Montag zurück. Er verwies darauf, dass sich ähnliche Gerüchte in der Vergangenheit stets als falsch erwiesen hätten.
Auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zeigte sich zurückhaltend. Es wäre zwar natürlich „sehr wünschenswert“, wenn eine Festnahme bin Ladens gelänge. Es sei aber „weiterhin hochkompliziert“, das pakistanische und afghanische Grenzgebiet entsprechend im Blick zu haben.
Die schlimmsten Terroranschläge seit dem 11. September
Die tz sprach über den Nato-Vorstoß mit Ulrich Tilgner, dem früheren ZDF-Sonderkorrespondenten für den Nahen und Mittleren Osten:
Warum schnappt oder tötet man bin Laden nicht einfach, sondern macht seinen mutmaßlichen Aufenthaltsort öffentlich?
Ulrich Tilgner: Ich denke, man weiß nicht genau, wo er sich aufhält. Sonst würden die US-Einheiten doch ein Kommandounternehmen starten. Ich vermute, diese Nato-Äußerung ist nur ein Versuchsballon. Vielleicht soll der Terroristenführer aus der Reserve gelockt werden. Eine Maßnahme der psychologischen Kriegsführung. Möglicherweise hat sich der Nato-Offizier auch erklärt, um den Rückzug aus Afghanistan vorzubereiten. Wenn man nun sagt, bin Laden ist in Pakistan, werden Argumente vorgebracht, um den Krieg in Afghanistan auslaufen zu lassen und den bisher in Pakistan verdeckt geführten Krieg zu intensivieren.
Wie groß ist die Bedeutung Osama bin Ladens für den internationalen Terrorismus überhaupt noch?
Tilgner: Er ist die Gallionsfigur. Gerade die radikalen Moslems sehen in ihm einen religiösen Führer, er gibt sich auch so. Al-Kaida braucht so jemanden, damit sie die Aura des Islams für sich nutzen kann.
Was würde sein Tod oder seine Gefangennahme auslösen?
Tilgner: Der Nachfolger würde kommen, Al Sawahiri oder wer auch immer. Es gibt Gerüchte, dass bin Laden Terroranschläge in Europa finanzieren will. Das zeigt, dass Al-Kaida noch als Struktur funktioniert. Und da braucht sie einen Führer. Al-Kaida steht aber langfristig eine große Krise bevor: Die junge Generation in der islamischen Welt weiß, dass man politische Ziele mit Terror nicht durchsetzen kann. Das ist die eigentliche Bedrohung für Al-Kaida.
Wenn die USA jetzt öffentlich Pakistan anklagen: Suchen sie nach einem Kriegsgrund gegen Pakistan?
Tilgner: Gegen Pakistan sicherlich nicht. Das würde einen Scherbenhaufen anrichten: Militärisch wäre ein Krieg nicht zu gewinnen und würde zu einem Schulterschluss zwischen den pakistanischen Geheimdienstverbänden, der Armee sowie Terroristen und Aufständischen führen. Die Radikalen warten ja nur auf solch einen Schritt.
Wie sicher kann sich Bin Laden in Pakistan fühlen?
Tilgner: Erst einmal ist er sicher. Er hält sich gewiss auch nicht nur an einem Ort auf. Es gab schon lange Spekulationen, dass bin Laden sich in Waziristan versteckt. Die pakistanische Armee hat aber da eine gewisse Schutzfunktion für Al-Kaida: Sie greift die Gebiete nicht an, kündigt Offensiven lange im Vorfeld an, so dass die Al-Kaida-Kommandeure immer wieder entfliehen können. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die westlichen Truppen nicht in der Lage sind, ihn gefangen zu nehmen oder zu töten.
Wie groß darf man sich das Al-Kaida-Heer vorstellen?
Tilgner: Nicht sehr groß. Man darf sich nicht vorstellen, dass Al-Kaida Tausende von Kämpfern kontrolliert. Es gibt Kommandostrukturen und Netzwerke. Die Stärke von Al-Kaida besteht darin, radikale islamische Organisationen in verschiedenen Teilen der Welt an sich zu binden und diese dann durch Infiltration zu führen.
Wo steht der pakistanische Geheimdienst?
Tilgner: Er ist gegen Al-Kaida, aber Kontakte über einzelne Mitarbeiter zu Al-Kaida existieren. Wenn man einmal mit den Führern dieser Organisationen zusammengearbeitet hat, nutzt man diese Kontakte. Das ist ja bei der CIA letztlich auch so.
Nutzen die USA die Schwäche der pakistanischen Regierungen nach der Flut aus?
Tilgner: Sicherlich. Pakistan soll gezwungen werden, einer politischen Lösung in Afghanistan zuzustimmen. Denn das Problem besteht darin: Die pakistanische Regierung übt Druck auf die Taliban aus, sich nicht mit der Regierung in Kabul zu einigen und stattdessen weiterzukämpfen. Jetzt kommt der Gegendruck: Die USA und wahrscheinlich auch die Nato wollen, dass die bislang von Pakistan gesteuerten Taliban frei verhandeln können. Die pakistanische Seite hat kein Interesse an einer politischen Lösung. Das wollen die USA ändern.
Interview: Michael Brommer
Die Fahndung nach Bin Laden
Namen: Osama bin Laden, auch: Usama bin Muhammad bin Ladin, Scheich Usama bin Ladin, Der Prinz, Der Emir, Abu Abdallah, Mudschahid Shaykh, Hajj, Der Regisseur
Geboren: 1957 (Tag unbekannt)
Geburtsort: Saudi Arabien, vermutlich Riad
Größe: 193–198 cm
Gewicht: ca. 70 Kilogramm
Statur: dünn
Haarfarbe: Braun
Augenfarbe: Braun
Hautfarbe: Oliv
Geschlecht: Männlich
Nationalität: saudi-arabisch
Merkmale: Vollbart, Oberlippenbart, Linkshänder, geht am Stock Belohnung: bis zu 25 Millionen US-Dollar
Straftaten: Verbrecherisches Komplott, Angriffe auf staatliche Einrichtungen. Bin Laden ist gesucht im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das Wordl Trade Center und das Pentagon. Er ist außerdem verantwortlich für Bombenanschläge auf US-Botschaften in Dar es Salaam (Tansania) und Nairobi (Kenia) am 7. August 1998.
Quelle: FBI