Contergan-Rente abgelehnt? Wende für Betroffene bahnt sich an
Hunderte Menschen haben eine Contergan-Rente beantragt – oft ohne Erfolg. Recherchen zeigen nun: Die Stiftung hat möglicherweise teils rechtswidrig entschieden.
Frankfurt – Es war einer der größten Arzneimittelskandale in der Geschichte der Bundesrepublik: Der Contergan-Skandal beschäftigt auch heute noch zahlreiche Menschen. Die Einnahme während der Schwangerschaft rief schwere Nebenwirkungen hervor, darunter Nervenschäden und Fehlbildungen bei Neugeborenen.
Bis heute versuchen viele Betroffene, eine Contergan-Rente zu erhalten. Eine entsprechende Stiftung, die über die Vergabe dieser Gelder entscheidet, lehnte in den vergangenen Jahren allerdings zahlreiche Anträge ab. Nun deckt eine Recherche von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung auf: Viele Entscheidungen sind möglicherweise rechtswidrig.
Hunderte Anträge abgelehnt: Entscheidung über Contergan-Rente rechtswidrig?
Das rezeptfreie Schlaf- und Beruhigungsmittel wurde zwischen 1957 und 1961 von der Firma Grünenthal vertrieben. Eingenommen wurde es damals auch gegen Schwangerschaftsübelkeit. Eine einzige Tablette reichte aus, um schwere Fehlbildungen im Embryo zu verursachen, berichtete NDR. Als die Nebenwirkungen publik wurden, stoppte das Pharmaunternehmen den Verkauf. Tausende Babys kamen mit Missbildungen auf die Welt, zahlreiche starben bereits bei oder kurz nach der Geburt.
Andere leiden bis heute unter den Nebenwirkungen. Ihnen steht eigentlich eine lebenslange monatliche Zahlung, die sogenannte Contergan-Rente, zu. „Berechtigt sind Personen, deren Mutter während der Schwangerschaft thalidomidhaltige Präparate der Firma Grünenthal GmbH eingenommen haben oder deren Fehlbildungen damit in Verbindung gebracht werden können“, hieß es seitens der Conterganstiftung. Laut Grünenthal leben etwa 2400 Geschädigte in Deutschland.

Die Entschädigung erhalten aber offenbar nicht alle Betroffene. Wie NDR berichtete, seien zahlreiche Anträge in den vergangenen Jahren abgelehnt worden. Seit 2009 seien fast 1000 Anträge gestellt worden, doch nur rund 120 wurden bewilligt. Recherchen hätten jetzt gezeigt, dass es bei der Prüfung vieler Fälle schwerwiegende Verfahrensfehler gegeben habe.
Contergan-Rente: Verfahren der Stiftung wirft Zweifel auf
Laut Karin Buder, die Anwältin einer Betroffenen, sollen gesetzliche Vorgaben missachtet worden sein, schrieb der NDR. Das Gesetz sehe vor, dass eine Kommission aus mindestens fünf Mitgliedern die Anträge prüfe. Den Vorsitz der Kommission erhalten Juristen, die anderen Mitglieder müssen medizinische Sachverständige sein. Zudem müssen im Zweifelsfall medizinische Gutachten eingeholt werden.
Im Fall von Buders Klientin habe lediglich ein Jurist entschieden, welche Gutachten nötig seien. Den Angaben zufolge entschied der Jurist im Anschluss ebenfalls allein, ob es sich um einen Contergan-Schaden handele oder nicht. Das widerspreche allerdings den gesetzlichen Regelungen.
Der Contergan-Stiftung zufolge sei ihr Verfahren rechtmäßig, hieß es auf Anfrage von NDR, WDR und SZ. Die Organisation räumte aber ein, dass der Vorsitzende allein entschieden habe, wem die Anträge vorlegt werden. Die Kommission prüft dann, ob ein Contergan-Schaden vorliegt. Käme kein einstimmiges Urteil zustande, entscheide das Votum der Mehrheit, hieß es. Diese Praxis wurde zuletzt vom Verwaltungsgericht Köln als korrekt befunden.
Hunderte Contergan-Fälle rechtswidrig? Gericht will bis Jahresende entscheiden
Das Oberverwaltungsgericht in Münster sieht das womöglich anders. Aus einem Beschluss, der NDR, WDR und SZ vorliegt, geht hervor: Viele Anträge seien nicht gesetzeskonform geprüft worden. Die Prüfung der Stiftung genüge „nach derzeitigem Sachstand voraussichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen“, hieß es. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, dürften hunderte Anträge neu aufgerollt werden. Betroffene könnten also wieder neue Hoffnung schöpfen.
Buder erwartet bis Jahresende eine Entscheidung. Solange warten will die Politik aber nicht. Alle Parteien wollen das Gesetz, welches die Arbeit der Conterganstiftung regelt, überarbeiten. Währenddessen spitzt sich der Medikamenten-Mangel in Deutschland zu. Derzeit haben 35 Prozent der Deutschen Probleme beim Kauf von Medikamenten. (kas)