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Opernintendant Nikolaus Bachler kritisiert bayerische Corona-Regeln: „Alles reine Symbolpolitik“

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Staatsintendant Nikolaus Bachler im leeren Parkett des Münchner Nationaltheaters.
Der Chef bald allein im Haus? Nikolaus Bachler kritisiert, dass der Kultur immer mehr der Boden entzogen werde. © Wilfried Hösl

Vor einigen Tagen hat er mit den Kollegen einen offenen Brief an Ministerpräsident Markus Söder geschickt. Genutzt hat es nichts: Nur 50 Besucher dürfen in die Bayerische Staatsoper mit ihren 2100 Plätzen und dem erprobten Hygienekonzept. Intendant Nikolaus Bachler reagiert darauf mit Unverständnis.

Ist die Premiere von Braunfels’ „Die Vögel“ am Samstag sicher?

Gustaf Gründgens sagte in den Dreißigerjahren, alles sei nur sicher, wenn Marianne Hoppe zur Tür hereinkommt und ein blaues Kleid anhat. Es ist also gar nichts sicher, besonders in diesen Zeiten. Ich gehe davon aus, dass die Premiere stattfindet, egal ob vor 50 oder 500 Zuschauern. Es wird zusätzlich auf jeden Fall einen Live-Stream geben.

Welche Reaktion gab es aus der Staatsregierung auf Ihren offenen Brief?

Keine.

Haben Sie das erwartet?

Ich kämpfe seit März darum, dass die Oper am Leben bleibt und die kulturelle Situation hier nicht ganz verödet. Es ist bekannt, welche Konzepte wir vorgelegt haben und wie wir uns auf die Maßnahmen eingestellt haben. Und immer mehr wird uns der Boden entzogen. Ganz abgesehen vom Virus und von gesundheitlichen Überlegungen: Wenn wir es mit Verordnungen zu tun bekommen, müssen die verhältnismäßig und verständlich sein. Das sind sie aber überhaupt nicht mehr. Mir kann kein Wissenschaftler und schon gar kein Politiker erklären, warum man Kirchen, Geschäfte oder öffentliche Verkehrsmittel offen hält und die Kulturinstitutionen praktisch schließt. Das ist reine Symbolpolitik. Und die führt nicht nur zur Gefährdung, sondern zur Zerstörung eines Systems. Wir reden ununterbrochen und zu Recht über die katastrophale Situation der Künstler. Vom Publikum reden wir allerdings überhaupt nicht. Es ist doch unser Auftrag, dass wir in einer Gesellschaft, in der die Kultur als lebensnotwendig betrachtet wird, diese auch für das Publikum erhalten. Wir haben gerade unseren November-Vorverkauf begonnen, und ich kann dabei feststellen, wie sehr die Leute die Vorstellungen vermissen, sie also brauchen. Nur Kliniken sind sicherer als Theater. Und unser Publikum ist das disziplinierteste und bewussteste überhaupt.

Nur 50 Besucher: Was kommt mit einer solchen Regelung zum Ausdruck?

Man will dort Härte demonstrieren, wo man glaubt, dass man die geringsten politischen Konsequenzen zu befürchten hat.

Fühlen Sie sich noch ernst genommen, wenn Sie keine Reaktionen auf einen solchen offenen Brief bekommen?

Das Natürlichste wäre doch, dass man bei solchen Maßnahmen mit uns spricht. Wir haben acht Monate Erfahrung mit dieser Situation. Wir tun täglich nichts anderes, als damit umzugehen. Die Ärzte und Virologen, mit denen wir im Rahmen unseres Pilotprojekts zu tun haben, sind dagegen äußerst kooperativ. Mittlerweile sind wir selbst zu Experten geworden.

Warum ist in Österreich etwas möglich, das in Bayern verboten ist?

In Österreich hat die Kultur ein anderes Schwergewicht. In Österreich ist die Infektionssituation sogar schlechter verglichen mit Deutschland. Ich war am Sonntag in einer Wiener Premiere, da hat man trotz reduzierter Zuschauerzahl das Gefühl einer etwas veränderten, aber im Grunde normalen kulturellen Situation. Oder wenn ich mich bei meinen Kollegen in anderen Ländern umschaue: Madrid spielt, Paris spielt... Überall dort interessiert sich die Politik sehr für die Kunst und identifiziert sich damit. Eigentlich dachte ich immer, dass sich auch München über den ganz hohen Stellenwert der Kultur definiert. Selbst wenn man wirtschaftlich denkt, trägt sie zur Attraktivität einer Stadt und ihrer Lebensqualität bei. Dazu gehört eben nicht nur der Sport.

Teilweise wird von den Kulturverantwortlichen gesagt, vielleicht hätte man früher und lauter trommeln müssen. Ziehen Sie sich den Schuh an?

Ich war im März der Einzige, der geschrien und getrommelt hat. Der Pilotversuch mit 500 Zuschauern war unserem Kampf zu verdanken. Und man hat das Gefühl, das wird von der Politik überhaupt nicht wahrgenommen oder als Grundlage für eine andere Beurteilung der Situation gesehen. Ich betone das auch immer wieder, auch wenn mir oft vorgeworfen wurde, mich andauernd zu beschweren.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier befürchtet für Ende der Woche 20 000 Neuinfektionen pro Tag. Hat sich an Ihrer grundsätzlichen Einstellung etwas geändert, seitdem die Zahlen hochschießen?

Nein. Weil ich alles von Anfang an ernst genommen habe. Aber ich glaube, und das bestätigen ja auch die Experten, dass die jetzige Infektionssituation eine Mischung aus der Jahreszeit und der Müdigkeit der Menschen ist, die sich ihr Leben nicht mehr einschränken lassen wollen. Dazu kommen länderübergreifende Faktoren wie Reisen. Wir müssen nun mit dieser Situation wirklich leben und nicht wie ein Tier Winterschlaf halten. Denn es könnte sein, dass uns den Lichtschalter dann niemand mehr betätigt. Es liegt sehr an uns, wie es weitergehen wird. Die Mühen der Ebene werden kommen.

Wie lang kann sich die Bayerische Staatsoper einen derart gedrosselten Betrieb leisten – künstlerisch und finanziell?

Künstlerisch ist das schon jetzt mehr als zweifelhaft und schwierig. Ich werde nicht müde zu sagen: Vielleicht kann man ja Fußball im Fernsehen übertragen – Theater findet aber nur mit und vor den Menschen statt. Nicht umsonst meint der Begriff Theatron bei den alten Griechen den Zuschauerbereich. Finanziell richtet sich die Frage, wie bei der Lufthansa und allen anderen Firmen, an den Staat. Diese Unterstützung ist ja gut und schön. Aber alle befinden sich doch jetzt im Schockzustand. Da ist ein Haus wie das unsere besonders schlecht dran, weil der Anteil an Eigeneinnahmen im Budget, die immer mehr wegbrechen, so groß ist. Wenn das Bücherlesen und der Theaterbesuch mal aus dem Lebensbereich und den Köpfen der Menschen raus ist, haben wir einen langen, mühseligen Weg vor uns. Man sieht das schon jetzt daran, dass manche Theater ihre limitierten Kartenkontingente nicht verkaufen. Es gibt bei den Menschen nicht nur einen physischen, sondern auch einen psychischen Schaden in dieser Pandemie. Prinzipiell finde ich auch: Es geht nicht, dass man Freiheit und Sicherheit gegeneinander ausspielt. Beides hängt eng zusammen. Man kann Freiheiten nicht einfach aufgeben und dies mit der Gesundheit begründen.

Lernen wir trotzdem etwas aus der Corona-Zeit?

Der Mensch hat es an sich, dass er aus der Krise lernt, kreativ und flexibel bleibt – das tun wir an der Staatsoper ja schon seit dem Frühjahr. Doch planen lässt sich nichts, man agiert und reagiert ja ständig. Mich irritiert eines schon sehr: Wenn man bedenkt wie wichtig in den Zwanzigerjahren oder im Zweiten Weltkrieg die Kunst war, wie lange die Theater gespielt haben – und nun die Kultur aus irgendwelchen symbolischen Gründen nahezu ausgelöscht wird. Medizinische können es ja im Falle der Theater und Konzertsäle nicht sein. Das haben wir bewiesen.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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