„Mondschein-Mörder“ 53 Jahre unschuldig in Haft? Deutschlands längste Gefängnisstrafe endet
Der verurteilte Doppelmörder Klaus Bräunig ist wieder auf freiem Fuß, auf Bewährung. Er saß die längste Haftstrafe Deutschlands ab – und beteuert seine Unschuld.
Mainz – Der als „Mondschein-Mörder“ bekannt gewordene Mainzer Klaus Bräunig ist nach 53 Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden. Der heute 79-Jährige hatte über fünf Jahrzehnte hinter Gittern verbracht, seine lebenslange Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt von Diez in Rheinland-Pfalz abgesessen. Bräunig beendet damit die bisher längste Haft Deutschlands, die nun zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Wie zuerst der SWR berichtete, teilte Bräunigs Anwältin Carolin Arnemann am Mittwoch (20. September) mit, dass das Landgericht Koblenz seine lebenslange Freiheitsstrafe am 9. September 2023 zur Bewährung ausgesetzt hat. Vorangegangen hatte die Münchner Strafverteidigerin 2019 und 2021 Verfassungsbeschwerden gegen die lange Haftzeit eingelegt.

53 Jahre zu Unrecht in Haft? Deutschlands längste Gefängnisstrafe endet
Der tragische Fall von Klaus Bräunig reicht zurück bis ins Jahr 1970, als er in Mainz als Verdächtiger in einem Mordfall verhaftet wird. Ihm wird vorgeworfen, eine Kinderärztin und deren Tochter ermordet zu haben. Nach tagelangen Verhören ohne juristischen Beistand gibt er mehrmals Geständnisse ab, in denen er zugibt, die Morde begangen zu haben. Diese Geständnisse widerruft er später. Es gibt keine Fingerabdrücke oder Blutspuren von ihm am Tatort, keine Tatwaffe, keine Zeugen. Der folgende Indizienprozess und das Urteil gegen Bräunig galten bereits damals als umstritten.

Verurteilter Doppelmörder nach über 50 Jahren frei – er bestreitet die Tat
Am 19. Juli 1972 wird der Hilfsarbeiter vor dem Landgericht Mainz zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Bräunig selbst behauptet bis heute, unschuldig zu sein und den Doppelmord nicht begangen zu haben. Seit seiner Verurteilung haben Anwälte vergeblich versucht, den Fall neu aufzurollen, Bemühungen um eine vorzeitige Entlassung sind gescheitert. Die Richter sahen die Gefahr eines Rückfalls, da Bräunig sich beharrlich weigerte, seine Tat anzuerkennen und weiterhin seine Schuld bestritt.
Anwältin legt mehrfach Verfassungsbeschwerde ein – und hat endlich Erfolg
Nach den Verfassungsbeschwerden von Strafverteidigerin Arnemann entschied das Bundesverfassungsgericht im März 2023 schließlich zugunsten des Inhaftierten. Aus einer vorangegangenen psychiatrischen Begutachtung des 79-Jährigen ging hervor, dass von Bräunig keine Gefahr mehr ausgehen könnte.
Obwohl ihr Mandant seine Freiheit zurückerlangt hat, strebt seine Anwältin weiterhin nach seiner vollständigen Rehabilitation und einem Freispruch von den Anschuldigungen des Doppelmordes. Nach der Ausstrahlung einer ARD-Dokumentation über den Fall Bräunig ergaben sich neue Hinweise, die eine Wiederaufnahme des Falls rechtfertigen, so Carolin Arnemann, unter anderem meldete sich ein Zeuge.
„Mir ist kein Fall in Deutschland bekannt, wo ein Mensch 53 Jahre unschuldig im Gefängnis verbracht hat“
Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Mordprozesses läge den Justizbehörden in Rheinland-Pfalz seit April vor: „Ich bin der Meinung, dass das, was ich an der Hand habe, ausreicht, um das Urteil zu torpedieren“, so die Juristin gegenüber dem SWR.
Eine Wiederaufnahme des Prozesses mit einem Freispruch für Klaus Bräunig wäre dies nach Ansicht seiner Anwältin einer der größten Justizskandale in der Geschichte Deutschlands: „Mir ist kein Fall in Deutschland bekannt, wo ein Mensch 53 Jahre unschuldig im Gefängnis verbracht hat“, zitiert die taz Arnemann.
Mainzer bestreitet Schuld: „Die sollen auf hochdeutsch meinen Namen wieder sauber machen“
Klaus Bräunig selbst äußerte gegenüber dem SWR seine Freude darüber, wieder in Freiheit zu sein. Aber er gibt sich auch kämpferisch: „Die sollen auf hochdeutsch meinen Namen wieder sauber machen, was ich nicht gemacht habe“, erklärte er in einem Beitrag des SWR. Seine Entlassung, so der 79-Jährige, käme für ihn um etwa 20 bis 30 Jahre zu spät.