Die Tricks und Kniffe der Taschendiebe

Berlin - Taschendiebe fokussieren sich heute auf Großstädte und haben keine klassische Hauptsaison mehr, in der sie zuschlagen. Die aktuelle Statistik und die Tricks der Diebe:
Der Blick der Jäger entscheidet ebenso wie ihre Taktik. Kriminalhauptkommissar Patrick Schwarz weiß aus Erfahrung, worauf es bei der Suche nach Taschendieben ankommt: „Gute Fahnder müssen die Kunst beherrschen, Diebe zu erkennen. Und das taktische Geschick, sich unauffällig zu bewegen und sie im Blick zu behalten.“
Der 45-jährige Schwarz führt seit vier Jahren 20 Fahnder des Berliner Landeskriminalamtes im Bereich Taschendiebstahl an. Er trägt die Haare kurz, ist gut gebräunt und muskulös. Sein T-Shirt verdeckt kaum eine auffällige Tätowierung auf dem Oberarm. Früher kümmerte er sich um Fußball-Hooligans, nun sind es Taschendiebe, deren Gewerbe boomt.
Mit einem alten Peugeot fährt Schwarz Ende August die Berliner Innenstadt ab. Über ein Smartphone hält er Kontakt zu den Fahndungstrupps. Dabei erzählt er von Taschendieben, die zur Ablenkung rempeln oder Stadtpläne zeigen, Handtaschen leerräumen oder abschneiden.
2013 wurden in Deutschland 136.000 Taschendiebstähle registriert
Besonders beliebt sei derzeit der „Abdecker-Trick“. Der Täter zeigt eine Broschüre oder Spendenliste und greift darunter nach dem Handy, das auf dem Restauranttisch liegt. 25 Smartphones seien so kürzlich an einem Tag in Berlin gestohlen worden.
Etwa 136.000 Taschendiebstähle wurden 2013 in Deutschland registriert. Das sind über 18.000 Taten mehr als im Vorjahr (plus 15,6 Prozent), wie eine Auswertung der Polizei-Statistiken durch das Internetportal „ab-in-den-urlaub.de“ ergab. Dabei gehen Polizisten von einer Dunkelziffer aus, die noch einmal so hoch ist.
Wenig überraschend: Taschendiebe fühlen sich in Großstädten am wohlsten. Dabei variieren die Zahlen stark. Berlin steht nach absoluten Zahlen mit 20.800 Taschendiebstählen ganz oben. In Relation zu ihren Einwohnerzahlen schlagen die Diebe aber in Düsseldorf, Köln, Hamburg und Dortmund häufiger zu.
Wenige Taschendiebstähle in Bayern wegen harten Strafen
Düsseldorf kommt auf 1400 registrierte Taten je 100.000 Einwohner und steht damit schlechter da als Berlin (600 Delikte/100.000 Einwohner). Oder auch als München, wo es nur 206 Anzeigen pro 100.000 Einwohner gab. In Polizeikreisen verweist man auf die bayerische Justiz, die sofort Gefängnisstrafen verhängt. „Das spricht sich rum.“
Schwarz kennt die potenziellen Opfer: „Ältere Menschen, Frauen mit Handtaschen und Touristen werden gerne genommen.“ Diebe würden gezielt Schwächere aussuchen. Männer werden Opfer, wenn sie betrunken in U-Bahnen einschlafen. Rucksäcke sind generell gefährdet. Asiatische Touristen auch, weil sie oft viel Bargeld dabei haben.
Taschendiebe haben keine klassische Hauptsaison mehr
Auf Seiten der Diebe sind es Einzeltäter, Pärchen, Gruppen und Familien. „Fast ausschließlich haben wir mit reisenden Tätern zu tun, die in ganz Europa unterwegs sind“, sagt Schwarz. Das gelte für das ganze Jahr, die klassische Hauptsaison im Sommer gebe es nicht mehr.
Er wolle keine Vorurteile schüren, meint er. Aber es sei eindeutig: „Taschendiebstahl ist ein gelerntes Handwerk, da gibt es richtige Ausbildungen, die wir auf Straßen beobachten. Das kommt aus den ärmeren Regionen, überwiegend Osteuropa, aber auch Nordafrika.“
Der Smartphone-Diebstahl von den Tischen gehe fast ausschließlich auf das Konto von Roma aus Rumänien. Clans würden gezielt Kinder einsetzen, berichtet Schwarz und zeigt aus dem Autofenster auf drei Mädchen, die auf dem Boulevard Unter den Linden mit einer Spendenliste Touristen ansprechen. Ausdrücklich lobt er die rumänische Botschaft. „Der Informationsaustausch ist hervorragend. Die haben ein großes Interesse an Aufklärung.“
Aufklärungsrate in Berlin bei 3,6 Prozent, in München bei 13 Prozent
Der Hauptkommissar gibt aber zu: „Es ist eine Sisyphos-Arbeit, das muss man schon sagen.“ Die Aufklärungsquote ist niedrig, in Berlin gerade mal bei 3,6 Prozent, in den Großstädten von Nordrhein-Westfalen bei 4 bis 6 Prozent und in München 13 Prozent.
Die Fahndung ist langwierig, nicht jeden Tag wird ein Dieb gefasst. „Wir sind in Zivil unterwegs und suchen uns die Leute heraus, die das Verhalten eines Taschendiebs zeigen. Die beobachten wir so lange, bis wir sie festnehmen können.“ Genauer will Schwarz das Vorgehen aus taktischen Gründen nicht beschreiben.
Kürzlich feierte die 2005 gegründete Ermittlungsgruppe den 1000. Haftbefehl, der zur Untersuchungshaft führte. Vom Berliner Blick profitiert auch die Münchner Polizei. Das Oktoberfest ist für Taschendiebe so verlockend wie das WM-Endspiel für Fußballfans. Schwarz schickt jedes Jahr acht Kollegen dorthin. Zum Arbeiten.
Zahlen und Fakten rund um Taschendiebstahl
Taschendiebstahl ist kein Kavaliersdelikt. Jährlich summieren sich allein in Deutschland mehr als 100.000 Fälle zu einem Millionenschaden. Fünfmal Wissenswertes zum Taschendiebstahl:
- Taschendiebstähle sind etwa seit dem 12. Jahrhundert bekannt. Die drakonischen Strafen reichten damals vom Abtrennen einzelner Finger oder einer ganzen Hand bis zum Tod auf dem Scheiterhaufen.
- Bereits im 16. Jahrhundert gab es Diebesschulen. Dort mussten Kinder ihre „langen Finger“ an mit Glöckchen versehenen „Klingel-Puppen“ trainieren, bevor sie auf Beutezug geschickt wurden.
- Bei Taschendieben der alten Schule waren bis ins 20. Jahrhundert hinein Klingen zum Aufschlitzen von Taschen verpönt. Sie verließen sich auf den traditionellen „Scherengriff“, bei dem sie Zeige- und Mittelfinger abspreizten, um „Beute ziehen“ zu können.
- Fern aller Kleinganoven-Romantik wie im Kinofilm „Max, der Taschendieb“ mit Heinz Rühmann von 1962 sind heute meist straff organisierte kriminelle Banden aktiv.
- In Deutschland wurden 2013 insgesamt etwa 136.000 Taschendiebstähle angezeigt. Gegenüber 2012 ist das ein Anstieg um gut 15 Prozent. Die Aufklärungsquote lag bei nur 5,7 Prozent. Der Schaden dadurch wird für 2013 mit 39,4 Millionen Euro angegeben.
Das sind die Tricks der Taschendiebe
Die Liste der Taschendieb-Tricks ist unüberschaubar. Manche Klassiker bleiben aktuell, weil Unvorsichtige immer darauf hineinfallen. Eine Auswahl:
Abdecker- oder Spendensammler-Trick: Der Dieb zeigt eine Broschüre oder Spendenliste vor und greift darunter nach Gegenständen, die in der Handtasche stecken oder auf dem Restaurant-Tisch liegen.
Rempler-Trick: Ein Dieb rempelt von hinten, ein anderer nutzt die Ablenkung, um in die Handtasche oder Jackentasche zu greifen. Ein Dritter bringt das Diebesgut weg, so dass dem Täter nichts nachzuweisen ist.
Stadtplan-Trick: Das Opfer wird vom Täter mit der Bitte um Hilfe bei der Orientierung in der Stadt abgelenkt. Währenddessen greifen Komplizen zu.
Jacke-Jacke-Trick: Im Restaurant greift der Dieb durch seine eigene Jacke hindurch in die Jacke des Opfers, die hinter ihm auf dem Stuhl hängt.
Umarmer-Trick: Der Dieb spielt den Betrunkenen, der seine Opfer umarmt und dabei bestiehlt.
Kettentrick: Dem Opfer, oft älteren Frauen, wird aus gespielter Dankbarkeit heraus eine Kette als Geschenk umgehängt und dabei die echte Kette gestohlen.
Frühstücksbuffet-Trick: Die Diebe besuchen Hotels mit Frühstücksbuffet. Während Geschäftsleute und Touristen sich essen holen, stehlen die Täter deren Taschen und Jacken vom Tisch.
Langfingern keine Chance geben - Tipps gegen Taschendiebe
„Gedränge nur dem Dieb gefällt, drum Augen auf und Hand aufs Geld!“ - mit diesem eingängigen Spruch wurde schon vor vielen Jahren in Bussen und U-Bahnen in Berlin vor Taschendieben gewarnt. Greifen Diebe heute auch nicht mehr nur nach Bargeld, sondern oft zu Kreditkarten und Smartphones - an Aktualität hat dieser Ratschlag bis heute nichts eingebüßt.
So empfiehlt die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes in Stuttgart, die Geldbörse immer möglichst körpernah zu tragen. Noch besser ist es, Geld, Schecks, Kreditkarten und Papiere auf verschiedene verschlossene Innentaschen der Kleidung zu verteilen. Auch Hand- und Umhängetaschen sollten verschlossen sein und auf der Körpervorderseite getragen oder unter den Arm geklemmt werden. Sicher aufgehoben sind Geld oder Kreditkarten auch im Brustbeutel, einer Gürtelinnentasche, einem Geldgürtel oder einer am Gürtel angeketteten Geldbörse.
Wer sich aufmerksam umschaut, kann Taschendiebe vielleicht auch am Blick erkennen: Dieser ist den Angaben zufolge meist suchend. Außerdem meiden Taschendiebe in der Regel den direkten Blickkontakt zum Opfer und schauen eher nach der Beute.
dpa