Wende im Fall Emanuela Orlandi: Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen zum „Vatikan-Mädchen“ wieder auf

Das Mädchen Emanuela Orlandi ist seit dem Juni 1983 verschwunden. Nun rollt die italienische Justiz den Vermisstenfall wieder auf – es gibt Dokumente aus dem Vatikan.
Rom – Vor fast 40 Jahren ist die damals Fünfzehnjährige nach einer Musikstunde in der Altstadt in Rom nicht mehr nach Hause zurückgekehrt – es war der 22. Juni 1983. Trotz umfangreicher Ermittlungen fehlt von der Tochter eines hochrangigen Vatikanangestellten jede Spur. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft von Rom in dem Fall – zum dritten Mal.
Fall Emanuela Orlandi: Dokumente aus dem Vatikan – Ermittlungen werden neu aufgerollt
Es ist eine Wende in einem der größten Rätsel in der italienischen Kriminalgeschichte. Die italienische Justiz will diesmal mit den Strafverfolgern im Vatikan zusammenarbeiten. Die neuen Ermittlungen im Fall Emanuela Orlandi wurden Staatsanwalt Stefano Luciani anvertraut, berichten italienische Medien übereinstimmend.
Dokumente, Akten und Berichte aus den letzten Jahrzehnten und auch die Protokolle von Zeugenaussagen, die in den vergangenen Wochen vom Justizbeauftragten im Vatikan auch mit Geistlichen geführt worden waren, sollen neu geprüft werden. Gibt es diesmal eine heiße Spur? 2015 legte die italienische Justiz den Fall zuletzt zu den Akten.
- 22. Juni 1983: Unmittelbar nach Emanuelas Verschwinden im Jahr 1983 werden die ersten Untersuchungen von der italienischen Justiz eingeleitet und 1997 eingestellt.
- 2008: Italien nimmt die zweiten Ermittlungen im Fall Emanuela Orlandi wieder auf. Nach Aussagen von Sabrina Minardi, einer Geliebten des Chefs des römischen Magliana-Clans, gelangte der Fall wieder ins Rampenlicht. Enrico De Pedis sollte demnach in den Fall verwickelt sein. Ergebnislos wurden die Ermittlungen im Jahr 2015 eingestellt.
- 2023: Die Staatsanwaltschaft von Rom ermittelt erneut im Vermisstenfall Orlandi – in Zusammenarbeit mit dem Vatikan.
...um die Wahrheit über Emanuela zu erfahren
„Wir erhoffen uns eine loyale Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft Rom und dem Vatikan bei der Suche nach der Wahrheit“, sagte Laura Sgró, Rechtsanwältin der Familie Orlandi, wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtet. „Die Wiederaufnahme der Ermittlungen ist eine gute Nachricht, auf die wir seit Jahren warteten, um die Wahrheit über Emanuela zu erfahren“, sagte Sgrò.
Ist der Vatikan in den Fall Emanuela Orlandi verwickelt?
Emanuelas Bruder Pietro Orlandi lässt das ungewisse Schicksal seiner Schwester keine Ruhe. Seit Jahrzehnten setzt er sich für die Wahrheitsfindung ein. Zuletzt sorgte Orlandi mit einem Auftritt in einer TV-Sendung für kontroverse Diskussionen. Der Bruder der Vermissten erhob schwere Anschuldigungen gegen den verstorbenen Papst Johannes Paul II. Orlandi habe damit offenbar in ein Wespennest gestoßen, hieß es in der italienischen Presse. Papst Franziskus reagierte brüskiert auf diesen Verdacht.
Im Januar 2023 hat der Vatikan auf den öffentlichen Druck reagiert und den Fall wieder aufgenommen. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft des Kirchenstaats wieder und geht damit dem Wunsch der Familie nach. Die Veröffentlichung der Netflix-Serie „Vatican Girl“ machte zusätzlich Druck. Der Pontifex selbst setzte sich zudem für Ermittlungen „ohne Rücksicht“ ein, wie Merkur.de berichtet.
Die neuen Ermittlungen stützen sich laut dem Corriere della Sera vor allem auf Angaben des früheren Staatsanwalts Giancarlo Capaldo, wonach zwei Vatikan-Vertreter ihm zugesagt hätten, den Verbleib von Orlandis Leiche zu verraten. Im Jahr 2019 hatte der Vatikan auf der Suche nach sterblichen Überresten der Vermissten zwei Beinkeller geöffnet. Nach Angaben der Ermittler wurden darin aber nur alte Knochen gefunden. (ml mit Material der afp)