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Weiter Proteste und Plünderungen in Ägypten

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Kairo - Die Massenproteste in Ägypten gehen trotz massiver Militärpräsenz und einer Umbildung der Regierung unvermindert weiter. Kriminelle und Plünderer drohen das Land weiter ins Chaos zu stürzen.

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Tausende Häftlinge aus Gefängnissen geflohen

Angesichts vieler Toter und Verletzter bei den Protesten in Ägypten haben Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Regierung von Präsident Husni Mubarak und die Demonstranten zum Gewaltverzicht aufgerufen. Auch in der Nacht zum Sonntag dauerten in Kairo die Proteste gegen die Regierung nach Berichten arabischer Sender trotz Ausgangssperre an. Die Zahl der Demonstranten habe aber deutlich abgenommen. Erneut wurden auch Plünderungen aus der Hauptstadt gemeldet, während junge Männer sich in Bürgerwehren formierten, um ihre Wohnviertel vor marodierenden Banden zu schützen.

Wie Klinikärzte am Samstagabend mitteilten, wurden auch Krankenhäuser angegriffen. Eine Kinderkrebsklinik sei überfallen und von Plünderern ausgeraubt worden. In einem Krankenhaus im Kairoer Bezirk Abbasija hätten Ärzte Molotowcocktails hergestellt, um das Hospital verteidigen zu können. Das ägyptische Staatsfernsehen zeigte am Abend erstmals Bilder von Dutzenden von Männern, bei denen es sich um festgenommene Plünderer handeln soll.

Die ägyptische Armee forderte die Bürger über die Mobilfunknetze auf, die bis Sonntag 0800 Uhr (0700 MEZ) geltende Ausgangssperre einzuhalten. Sonst drohten “scharfe Maßnahmen“, hieß es in einer SMS, die an alle Mobilfunkkunden verbreitet wurde.

Ägyptisches Volk hat berechtigte Beschwerden

Demonstranten versuchten laut Al-Dschasira, das Innenministerium zu stürmen, wurden von der Polizei aber daran gehindert. Augenzeugen berichteten, es seien auch Schüsse abgefeuert worden. Dabei sollen mehrere Demonstranten getötet worden sein. Beim Versuch, Insassen des Gefängnisses Abu Saabal in der ägyptischen Provinz Kaljubija zu befreien, starben nach Medienberichten acht Menschen, mehr als 100 wurden verletzt.

In einer gemeinsamen Erklärung forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron den 82-jährigen Mubarak auf, einen Transformationsprozess einzuleiten hin zu einer “Regierung, die sich auf eine breite Basis stützt, sowie freien und fairen Wahlen“. Ausdrücklich lobten sie “die ausgleichende Rolle (...), die Präsident Mubarak über viele Jahre im Nahen Osten gespielt hat“. Sie fügten aber hinzu: “Das ägyptische Volk hat berechtigte Beschwerden und setzt große Hoffnung auf eine gerechte und bessere Zukunft.“

Die Menschenrechte und demokratischen Freiheiten müssten voll respektiert werden, einschließlich der Meinungsfreiheit und der freien Nutzung von Kommunikationsmitteln wie Telefon und Internet sowie der Versammlungsfreiheit, heißt es in dem vom Bundespresseamt in Berlin verbreiteten Text weiter.

Verzweifelte Einwohner bilden Bürgerwehren

Mubarak hatte am Samstag eine neue Führungsriege gebildet, in der Geheimdienst und Militär dominieren. Er ernannte Geheimdienstchef Omar Suleiman am Samstag zu seinem Stellvertreter. Suleiman war seit längerer Zeit als möglicher Nachfolger des 82-jährigen Staatschefs gehandelt worden. Der General war bisher Mubaraks Mann für heikle Aufträge. Zwischen Israel und den Palästinensern hat er schon mehrfach vermittelt. Auch in den USA wird er geschätzt. Daneben wurde der frühere Luftwaffenstabschef Ahmad Schafik zum neuen Ministerpräsidenten ernannt.

Ungeachtet der Regierungsumbildung waren auch am Samstag in ganz Ägypten wieder zehntausende Menschen gegen den seit 30 Jahren herrschenden Präsidenten auf die Straße gegangen. Nach unterschiedlichen Angaben arabischer Sender wurden bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften seit Freitag zwischen 73 und 100 Menschen getötet. Etwa 1000 weitere seien verletzt worden.

Wegen der dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage bildeten verzweifelte Einwohner Bürgerwehren. Vor allem junge Männer bewaffneten sich mit Stöcken und Messern, um Angreifer abzuwehren. Die Verteidigung der Viertel war allerdings schwer, weil die Plünderer meist in großen Gruppen von 30 bis 200 Mann auftauchen. Während das Militär vor allem strategische Punkte in den Städten sicherte, blieben die Wohnviertel zumeist ungeschützt, weil sich auch die Polizei zurückgezogen hatte.

Ausländer wollen fliehen

Hunderte von Ausländern versuchen mittlerweile, die Hauptstadt Kairo zu verlassen. Selbst Familien, die schon seit Jahrzehnten in dem nordafrikanischen Land leben, suchen das Weite. “Bei uns im Viertel wurde letzte Nacht wieder geschossen, ich habe ein kleines Kind, ich will jetzt hier raus“, sagte die Österreicherin Gisela Fritz, die seit 20 Jahren in Ägypten lebt. Sie wollte am Sonntagmorgen mit ihrem Sohn zum Flughafen fahren.

dpa

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