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Steuern runter macht Deutschland munter? Von wegen!

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Michael Hüther
Prof. Achim Truger ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen © N. Bruckmann/M. Litzka/SVR

In Berlin mehren sich angesichts der flauen Konjunktur die Forderungen nach umfassenden Steuersenkungen. Doch die Frage der Gegenfinanzierung lassen CDU und FDP weitgehend offen. Weil die drohenden Steuerausfälle nicht durch Kredite gestemmt werden sollen, müsste auf der Ausgabenseite gekürzt werden. Doch das wäre richtig gefährlich, warnt der Wirtschaftsweise Professor Achim Truger im Gastbeitrag.

Die Älteren erinnern sich vielleicht an die Bild-Zeitungs-Kampagne „Steuern runter macht Deutschland munter“ vor 20 Jahren. Damals sollten kräftige Einkommensteuersenkungen als Teil der riesigen rot-grünen Steuersenkungen von 2001 bis 2005 „Europas kranken Mann“ wieder fit machen. Heute mehren sich im politischen Berlin erneut Rufe nach großen Steuersenkungen. Dabei wurden mit dem Inflationsausgleichsgesetz gerade erst Steuerentlastungen bei der Einkommensteuer beschlossen. Kostenpunkt: ab 2024 über 30 Mrd. Euro pro Jahr. Aktuell steht das Wachstumschancengesetz an, das vor allem die Unternehmen in der Spitze 2026 um über 10 Mrd. Euro entlasten soll.

Nun fordert die CDU allgemeine Einkommens- und Unternehmenssteuersenkungen. Die erhoffte Abflachung des Mittelstandsbauchs und das spätere Einsetzen des ersten Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer könnten bis zu 38 Mrd. Euro pro Jahr kosten; die Abschaffung des Rest-Solidaritätszuschlages weitere 13 Mrd. Euro. Hinzu kämen noch einmal bis zu 15 Mrd. Euro aus der Senkung der Unternehmenssteuern. Wie angesichts ohnehin knapper öffentlicher Kassen über 60 Mrd. Euro an Steuerausfällen finanziert werden sollen, wenn man zugleich die strikte Einhaltung der Schuldenbremse will, bleibt das Geheimnis der CDU.

Jüngst kamen auch aus der FDP-Bundestagsfraktion ganz ähnliche Ideen. In Ihrer Wunschliste gab es zusätzlich die Senkung der Stromsteuer (8 Mrd. Euro), die Verlängerung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes in der Gastronomie (3,3 Mrd. Euro) und die bislang nicht vorgesehene Auszahlung eines Klimageldes (bis zu 12 Mrd. Euro). Zur Gegenfinanzierung kaum konkrete Vorschläge, stattdessen die dürftige Einladung an die Koalitionspartner, im Haushalt Einsparpotenziale zu suchen. Ein durchdachtes und solides Konzept sieht anders aus. 

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

Steuerentlastungen können Wirtschaft ankurbeln - es bleiben Haken

Aber wären kräftige Steuerentlastungen nicht genau das Richtige, um Deutschland auf Wachstumskurs zu bringen? Für sich genommen könnten sie durchaus Konsum und Investitionen ankurbeln. Das Problem sind jedoch die Belastungen für die öffentlichen Haushalte. Ist die Politik nicht bereit, die Steuerausfälle durch höhere Kredite auszugleichen, muss auf der Ausgabenseite gekürzt werden – daher die Einladung der FDP-Fraktion an die Koalitionspartner. Nun ging dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 gerade erst eine – noch moderate – Kürzungsrunde voraus. Trotzdem bestehen perspektivisch noch Haushaltslücken.

Wollte man jetzt Beträge in der genannten Größenordnung einsparen, gäbe das eine wahre Kürzungsorgie. Diese würde nicht auf den Bund beschränkt bleiben, denn Länder und Kommunen sind an den betroffenen Steuern zu mehr als der Hälfte beteiligt und kämpfen schon mit den beschlossenen Steuersenkungen. Ausgabenkürzungen dämpfen jedoch die Wirtschaft stärker als Steuersenkungen sie anschieben, weil staatliche Käufe, Transfers und Investitionen beschnitten und Einkommen verringert werden. Gerade die Kommunen als größte öffentliche Investoren fahren bei knappen Kassen die Investitionen zurück – Gift für die öffentliche Infrastruktur bei der ohnehin schon eine riesige Investitionslücke besteht.

Wie es so richtig schief gehen kann, konnte man an den rot-grünen Steuerreformen von 2001 bis 2005 besichtigen: Riesige Einnahmenausfälle verstärkt durch die Konjunkturkrise ab 2001 und der krampfhafte Versuch, die EU-Schuldenregeln einzuhalten, führten zu heftigen Ausgabenkürzungen. Die öffentlichen Investitionen stürzten ab, öffentliche Verwaltungen wurden geschrumpft und die Wirtschaftskrise erheblich vertieft und verlängert. Die Auswirkungen in Form maroder Infrastruktur und begrenzter Einsatzfähigkeit von öffentlicher Verwaltung und Planung sind bis heute spürbar. Die Steuersenkungen machten Deutschland nicht munter, sondern zogen es herunter! 

Die Erfahrungen sollten heutigen Steuersenkern eine Mahnung sein. Deutschland kann sich angesichts der akuten Herausforderungen keine allgemeinen Steuersenkungen und keinen kleineren und schwächeren Staat leisten.

Zur Person: Prof. Achim Truger ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen.

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