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Corona in Schlachthöfen: Minister Heil schlägt Alarm - doch Fleischindustrie warnt vor Auflagen

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Die Fleischindustrie droht zum „Superspreader“ in der Corona-Krise zu werden. Ein Minister äußert sich alarmiert - Vorwürfe werfen ein übles Licht auf die Branche.

Update vom 10. Mai, 20.00 Uhr: Trotz der Häufung von Corona-Infektionen in Schlachtbetrieben wehrt sich die Fleischindustrie gegen Kritik. „Aus unserer Sicht sind nicht vor allem die Arbeitsbedingungen Schuld an den Corona-Ausbrüchen“, sagt Heike Harstick, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Deutschen Fleischwirtschaft, der Süddeutschen Zeitung. Als kritische Infrastruktur habe man die Produktion nicht wie die Autoindustrie einfach stoppen können und weitergearbeitet, um die Versorgung sicherzustellen. So könne es zu Ansteckungen kommen.

Der Verband warnte vor härteren Auflagen. „Eine schnelle und einfache Lösung gibt es nicht“, sagt Harstick. Wenn etwa die Einzelunterbringung von Arbeitern vorgeschrieben und höhere Wohnungsmieten verursacht würden, seien „viele Betriebe nicht mehr wettbewerbsfähig“. Teile der Branche würden abwandern, warnt Harstick.

Lesen Sie auch: Wegen des Coronavirus stehen Mitglieder einer Großfamilie in Lengdorf (Lkr. Erding) unter Quarantäne. Mindestens elf sind, dank einer „Superspreaderin“, mit Covid-19 infiziert. Lengdorf gilt nun als Corona-Hotspot.

Corona in Schlachthöfen: Minister Heil schlägt Alarm - „Unhaltbare Zustände“

Berlin/München - Schlachthöfe und fleischverarbeitende Betriebe drohen sich in Deutschland zu einem neuen Herd der Corona-Pandemie zu entwickeln - in Nordrhein-Westfalen und auch in Schleswig-Holstein könnten zwei Landkreise wegen Ausbrüche in Betrieben gar unter die „Notbremse“-Regelung der Bundesregierung fallen.

Coronavirus in Deutschland: „Unhaltbare Zustände“ in deutschen Schlachthöfen?

Die Lage sorgt offenbar auch in Bundeskanzlerin Angela Merkels Kabinett für Beunruhigung: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat in einem Brief an „eindringlich“ an die Bundesländer appelliert, strenge Kontrollen durchzuführen - und zwar beim Thema Arbeitsschutz. 

Heil fürchtet „unhaltbare Zustände beim betrieblichen Infektionsschutz“. Eine Information, die nicht nur in Pandemie-Zeiten brisant scheint, sondern wohl auch erneut Arbeitsbedingungen und womöglich sogar Hygiene in der Fleischverarbeitung in zweifelhaftem Licht erscheinen lässt. Von dem Schreiben berichten die Sender NDR und WDR

Corona: Schlachthöfe in Deutschland im Brennpunkt - Herkunftsländer von Saisonarbeitern drohen

Besonderes Augenmerk sei bei den Kontrollen „auf die Situation in Sammelunterkünften und beim Personentransport zu legen“, heißt dem Bericht zufolge in Heils Brandbrief. Auf Anfrage der Sender betonte Heil, dass Saison- und Werkvertragsarbeiter „ebenso vor Corona geschützt“ werden müssten, wie alle anderen Arbeitnehmer. Dafür gebe es klare Standards.

"Ich erwarte, dass alles Notwendige getan wird, um die Missstände zu beseitigen und die Arbeitnehmer zu schützen“, fügte Heil hinzu.

Druck kommt offenbar auch aus dem Ausland. Herkunftsländer der Arbeiter hätten sich bei der Bundesregierung beschwert, ist in dem Schreiben zu lesen. Im Raum steht offenbar auch ein Ausreisestopp für Saisonkräfte in ihren Herkunftsländern - weil die Länder um die Arbeitssicherheit ihrer Bürger fürchten. Die deutsche Fleischindustrie ist massiv auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen.

Corona-Pandemie: Fleischbetriebe als „Superspreader“? Vorgaben „in kaum einer Unterkunft eingehalten“

Alarmiert äußerte sich am Freitag auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Er bezeichnete in einem Tweet „Fleischfabriken“ als „Superspreader der Pandemie“, die nur sehr schwer zu schützen seien - entsprechende Probleme gebe es etwa auch in den USA. Dort litten nach Gewerkschaftsangaben bis Ende April mehr als 5.000 Beschäftigte der Industrie unter Covid19-Symptomen*. Mindestens 20 starben bis zu diesem Zeitpunkt.

Tatsächlich scheint die Lage auch in den deutschen Schlachtbetrieben ernst. Nach Informationen des Spiegel sind in Deutschland bislang mehr als 600 Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden. Besonders stark betroffen seien rumänische Werkvertragsarbeiter, die oft in Gemeinschaftsunterkünften leben. SPD-Fraktionsvize Katja Mast sagte dem Nachrichtenmagazin, die aktuellen Vorgaben des Arbeitsministeriums würden „nach allem, was ich weiß, in kaum einer Unterkunft“ eingehalten.

Weitere Neuigkeiten über die Lage der Wirtschaft in der Corona-Krise finden Sie in unserem News-Ticker.

fn (mit Material von AFP)

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