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Die Energiewende ist nicht das Problem, sondern die Lösung

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Der starke Preisanstieg bei Öl und Gas hat die Diskussion um die Energiewende neu entfacht. Doch die künftige Bundesregierung sollte sich davon nicht beirren lassen und das Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien sogar noch erhöhen, schreibt Prof. Claudia Kemfert vom DIW im Gastbeitrag.

Berlin - Und ewig grüßt das Murmeltier: Die Preise für Gas, Öl und Kohle steigen, schnell kursiert das Wort „Energiepreiskrise“ und sofort sind die verdrehten Logiken und Schuldzuschreibungen wieder da: Sündenbock Energiewende. Die sei nämlich unbezahlbar, man müsse nun endlich damit aufhören und überhaupt den ungeliebten Klimaschutz verschieben oder gleich ganz abblasen.

Detailverliebte proklamieren, Atomkraft sei ohnehin besser als erneuerbare Energien, oder erklären den CO2-Preis zur Wurzel allen Übels. Dabei ist es genau umgekehrt: Die erneuerbaren Energien wirken preissenkend, und zwar sowohl an der Strombörse, als auch bei Industrie und Verbraucher. 

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen ab sofort Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark. Immer samstags.

Preise für fossile Energien explodieren

Fakt ist: Die Preise für fossile Energien explodieren. Das hat viel mit Märkten und viel mit Politik, aber besonders viel mit der Marktmacht einzelner Player zu tun. Wer glaubt, man könne sich aus dieser Abhängigkeit befreien, indem man weitermacht wie bisher, irrt genauso wie der Raucher, der meint, seinen Husten nicht mit frischer Luft, sondern mit der nächsten Zigarette bekämpfen zu können.

Die Energiewende ist nicht das Problem, sie ist die Lösung. Keine Preissteigerungen erlebt nämlich derzeit, wer in einem gedämmten Haus wohnt, mit Solarenergie Strom und Wärme erzeugt, erneuerbare Nah- oder Fernwärme nutzt oder mit dem Elektrofahrzeug unterwegs ist. Alle die sparen sogar Geld. Das macht deutlich: KEINE Energiewende kostet Geld.

Bei den fossilen Energiepreisen spielen derzeit verschiedene Faktoren zusammen. Die Weltkonjunktur kommt aus der Corona*-Krise. Das führt zu steigender Energienachfrage und treibt den Preis grundsätzlich. China kann – aufgrund von Klimawandel und strengeren Umweltauflagen – neuerdings im eigenen Land weniger Kohle fördern und muss aufgrund des Handelsembargos mit dem wichtigen Kohlelieferanten Australien auf andere Lieferanten ausweichen. Das treibt den Preis für Kohle.

Russland drosselt Gaslieferungen

Und der Gaspreis steigt derzeit massiv an, weil Russland Gaslieferungen gedrosselt hat. Auf diese Weise will das Land seine Marktmacht sichern. Es geht um die kurzfristige Stimulation des Gas-Geschäfts, indem die schnellere Fertigstellung der neuen Erdgaspipeline Nord Stream 2 erzwungen wird. Es geht um die langfristige Sicherung von Russlands Geschäftsmodell.

Das im Juli präsentierte „Fit for 55“-Programm der EU sieht eine Abkehr von fossiler Energie vor. Das ist dem Kreml natürlich ein Dorn im Auge. Durch lobbymäßig geschickt in die öffentliche Diskussion gestreute Ursache-Wirkung-Logikfehler soll die EU-Klimaschutzpolitik massiv gebremst werden.

Atomkraft-Renaissance ist nicht die Lösung

Doch wir brauchen nicht mehr fossiles Erdgas, sondern weniger. Die einzig richtige Antwort auf fossile Energiekrisen ist die beschleunigte Energiewende. Denn auch der Fluchtreflex neu mobilisierter Atomkraft-Fans ist kein Ausweg. Atomenergie verursacht enorme Kosten, beim Bau neuer Anlagen, beim späteren Rückbau und vor allem durch die jahrtausendelange Einlagerung des radioaktiven Mülls.

Erneuerbare Energien sind zu einem Bruchteil dieser Kosten zu haben. Sie vermeiden geopolitische Konflikte und sie stärken die Resilienz der Energieversorgung und der Wirtschaft insgesamt.

Klimaprämie für Menschen mit niedrigem Einkommen

Die CO2-Preise spiegeln die „Nebenkosten“ fossiler Energien durch die Klimawandelfolgen und sind ein wichtiges Instrument zur Erreichung der Klimaziele. Um insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen zu entlasten, sollte man die Einnahmen jedoch durch eine Pro-Kopf-Klimaprämie rückerstatten. Eine „Spritpreisdeckelung“ durch sinkende Steuern ist dagegen reine Wunschvorstellung. Es ist nämlich keinesfalls ausgemacht, dass mit den Steuern auch die Benzinpreise sinken, da Energiekonzerne in derartigen Hochpreiszeiten ihre Margen maximal ausschöpfen werden. Sprich: Die Preise steigen trotzdem; es profitieren die Konzerne.

Dafür fehlen dem Staat die Steuereinnahmen, die in die Finanzierung des Bahnverkehrs, des ÖPNVs und den Ausbau der Ladeinfrastruktur fließen müssten. Dies gilt im übrigen für alle Energiepreise: Niedrige Steuern sind kein Garant für niedrige Preise, gerade in derart volatilen und angespannten Zeiten.

Kluge Klimaschutzpolitik und Energiepolitik baut auf diese Maßnahmen: Massiver und deutlich schnellerer Ausbau erneuerbarer Energien. Verstärktes Energiesparen auch im Industriebereich. Stärkere Förderung der energetischen Gebäudesanierung und des Bahnverkehrs. Ausbau der Ladeinfrastruktur. Und effiziente Nutzung des Ökostroms.

Ampel-Pläne gehen in die richtige Richtung

Richtigerweise sieht das Sondierungspapier der aktuellen Koalitionsverhandlungen ja schon einen deutlich schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien vor, auch wenn im Verkehrssektor noch deutlich nachgelegt werden müsste. Trotzdem: Es geht in die richtige Richtung, es fehlt nur noch am notwendigen Ambitions- und Umsetzungsniveau. Gerade zur Vermeidung künftiger Energiepreis-Kriege.

Das ist das Gute an der fossilen Energiepreiskrise: Sie bringt Rückenwind nicht nur für Deutschland und Europa, sondern auch für die ganze Welt, die sich bald in Glasgow trifft und über die nächsten Klimaschutzanstrengungen verhandelt. Die kommenden Monate werden wichtig.

Zur Autorin: Prof. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin sowie Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg.

*Merkur.de ist Teil von IPPEN.MEDIA

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