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Enttäuschung über Wachstumschancengesetz: „Bundesregierung ignoriert akute Notlage“

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Die Ampel-Koalition hat es geschafft: Das Wachstumschancengesetz ist beschlossen. Doch die Wirtschaft hat sich mehr erhofft. Und ob das Gesetz im Bundesrat durchkommt, bleibt offen.

Meseberg – Bei ihrer zweitägigen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg hat die Ampel-Koalition zumindest das geschafft: Das Wachstumschancengesetz von Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist beschlossen. Doch auch wenn die Entlastungsmaßnahmen nochmal kurz vor Beschluss ausgeweitet wurden: Die Stimmen aus Industrie und Wirtschaft klingen alles andere als glücklich. Man hatte sich eindeutig mehr erhofft, fühlt sich von der Bundesregierung nicht gehört oder sogar ignoriert.

Sieben Milliarden Euro Entlastung ab 2024

Ein Kernpunkt des Gesetzes ist eine Investitionsprämie, um den Umbau der Wirtschaft in Richtung mehr Klimaschutz voranzubringen. Zudem wird die steuerliche Anrechnung von Verlusten erleichtert und wieder eine degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter ermöglicht. Außerdem soll es zeitlich befristet eine degressive Abschreibung für neue Wohngebäude und weitere Möglichkeiten für Sonderabschreibungen geben.

Insgesamt umfasst das Gesetz über 50 steuerpolitische Maßnahmen, die ab 2024 sieben Milliarden Euro Entlastung bedeuten. Ökonomen und Wirtschaftsverbände betonten, die Maßnahmen gingen in die richtige Richtung, seien aber nicht groß genug angelegt.

Wirtschaftsweise Grimm lobt Wachstumschancengesetz

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm lobte das Gesetz, aber sieht auch Schwachstellen. „Das Gesetz ist zumindest ein Signal, dass die Politik verstanden hat, dass gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft wichtig sind. Es reicht aber nicht, man muss sich dringend den viele strukturellen Herausforderungen widmen: Rente, Bildung, Energieangebot, Auf- und Ausbau von Infrastrukturen und Bürokratieabbau“, sagte Grimm der Funke-Mediengruppe. Bei der Investitionsprämie werde es darauf ankommen, klare Regeln für die Inanspruchnahme zu definieren. „Gelingt dies nicht, kann es schnell kompliziert und bürokratisch werden“, sagte Grimm.

Der CDU-Haushaltspolitiker Mathias Middelberg sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es sei lediglich ein „Schübchen“. Eine umfassende Unternehmenssteuerreform wäre angebrachter. Sieben Milliarden Euro Entlastung seien zudem zu wenig, wenn der Staat einzelne Unternehmensansiedlungen in ähnlicher Größenordnung fördere. Der Chip-Konzern Intel kann für seine neuen Investitionen in Magdeburg mit einer staatlichen Subvention in Höhe von zehn Milliarden Euro rechnen, das taiwanesische Unternehmen TSMC erhält fünf Milliarden für die Ansiedlung in Dresden.

Enttäuschung in der Chemieindustrie besonders groß

Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB), begrüßte die ersten Schritte zur Entlastung für den Wohnungsbau. Es seien aber „insgesamt weitere Maßnahmen notwendig“, sagte er in einem Pressestatement nach der Klausur. Die neue Wohnbauförderung für Familien müsse umgekrempelt werden, das Haushaltseinkommen von 60.000 auf 90.000 Euro erhöht werden, damit wieder mehr Familien davon profitieren können. „Außerdem müssen die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer schnellstmöglich kommen. Für den sozialen Wohnungsbau müssen die Mittel von Bund und Ländern so aufgestockt werden, dass der Bau von 100.000 Wohnungen pro Jahr auch umgesetzt werden kann.“

Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes für Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V., sagte, die Ampel-Koalition wirke „wie getrieben“. Das Wachstumschancengesetz sei ein „erster, aber wichtiger Impuls“, dem aber weitere Schritte folgen müssten.

Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck bei der Ampel-Klausur auf Schloss Meseberg
Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck bei der Ampel-Klausur auf Schloss Meseberg © Michael Kappeler/dpa

Besonders enttäuscht ist man in der Industrie, wo die hohen Energiepreise zu schaffen machen. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) kritisiert, dass sich die Bundesregierung noch immer nicht zu einem Industriestrompreis durchringen konnte. VCI-Präsident Markus Steilemann sagt: „Deutschlands Industrie sendet SOS, aber die Bundesregierung ignoriert weiter die akute Notlage. Statt Langfristprogramme brauchen wir schnelle Hilfe bei der Krisenbewältigung.“ Der Brückenstrompreis, den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die FDP noch immer ablehnen, sei ein „Must-have, um die Deindustrialisierung zu stoppen“. Auch die innerhalb der Koalition noch diskutierte Absenkung der Stromsteuer würde laut Steilemann „bei Weitem“ nicht ausreichen.

Länder müssen dem Gesetz zustimmen: Merz erwartet Ablehnung im Bundesrat

Obwohl das Gesetz nun im Kabinett beschlossen wurde, ist es noch ein weiter Weg, bis es in Kraft treten kann. Und dort lauern schon die nächsten Gefahren: Dem Gesetz müssen die Bundesländer im Bundesrat zustimmen, ebenso bedarf es Zustimmung im Bundestag. CDU-Chef Friedrich Merz rechnet der Ampel in der Länderkammer schlechte Chancen aus. „Ich sage voraus: Der Bund wird für das sogenannte Wachstumschancengesetz die Zustimmung der Länder nicht bekommen.“

Stattdessen forderte er eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags, den noch immer einige wenige zahlen müssen. Seiner Meinung nach sei die vollständige Abschaffung die „einfachste und beste Möglichkeit, Unternehmen schnell zu helfen. Wenn die Regierung es ernst meint mit Entlastung, sollte sie diese Chance ergreifen.“

Und auch der Deutsche Städtetag hat mit scharfen Worten den Kabinettsbeschluss kritisiert. Dieses sei „eine echte Hiobsbotschaft für die Städte“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wenn das Wachstumschancengesetz so kommt, wie es jetzt geplant ist, bedeutet das für die Kommunen voraussichtlich bundesweit Steuerausfälle von mehr als sieben Milliarden Euro.“ Das sei für die Städte kaum zu verkraften. Lewe sagte, bei Wärmewende, Mobilitätswende, Gebäudeenergiegesetz und Klimaanpassung stünden die Kommunen vor echten Mammut-Aufgaben – doch sei völlig unklar, wie die Städte hier immer mehr investieren sollten, wenn ihnen die Bundesregierung gleichzeitig Milliarden streichen wolle.

Mit Material von Reuters, dpa, AFP

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