Einer namentlich nicht genannten französischen Firma ist es Anfang der Woche gelungen, die Zulassung für ihr Zuchtkonzept des gelben Mehlwurms zu erhalten. Dieser darf jetzt in der EU als reguläres Lebensmittel gehandelt werden. Drei Experten erklären, wie sich das auf deutsche Essgewohnheiten auswirken kann.
Wird es Speiseinsekten in Zukunft häufiger zu kaufen geben?
Dazu gibt es unterschiedliche Erwartungen. Andrea Danitschek, Ernährungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Bayern, ist sich nicht sicher, ob die Deutschen den kulturellen Ekel vor Insekten flächendeckend überwinden werden. Die Münchner Ernährungsberaterin Anette Nagel dagegen glaubt an die nächste Generation: „Kinder knabbern gegrillte Heuschrecken wie Pommes, je größer, desto besser. Die Erwachsenen tun sich viel schwerer damit, weil ihnen der Ekel anerzogen ist.“ Aber gerade in München könne sie sich vorstellen, dass Speiseinsekten bald als schick gelten. In dieselbe Kerbe schlägt Mathias Rasch vom Münchner Insekten-Snack-Händler Wicked Cricket: „Es ist wie mit Sushi. Vor 50 Jahren konnte sich auch niemand vorstellen, rohen Fisch im Algenmantel zu essen.“
Die französische Pionierfirma will Nudeln und Keksen bis zu zehn Prozent Mehlwurmpulver beimengen. Warum tut sie das und könnte das in Deutschland auch ohne Wissen der Verbraucher geschehen?
„Nein. Insekten müssen wie jede andere Zutat in einem Produkt gekennzeichnet werden“, beschwichtigt Danitschek. Mathias Rasch geht sogar einen Schritt weiter. „Mehlwurmprotein ist ein wertvoller und teurer Rohstoff, den würde niemand zum Strecken verwenden.“ Denn das zusätzliche Eiweiß würde das Produkt aufwerten und das würde jeder Hersteller deutlich kennzeichnen und sich bezahlen lassen.
Ist der Verzehr von Insekten gesund?
Grundsätzlich sind sich die Experten einig: Der Verzehr von Insekten ist keinesfalls ungesünder als der von herkömmlichem Fleisch. Anette Nagel erklärt: „Insekten haben einen ähnlich hohen Proteingehalt wie rotes Fleisch.“ Außerdem enthalten sie bei richtiger Fütterung wichtige Spurenelemente wie Kupfer, Eisen, Magnesium und Folsäure und punkten mit einem geringen Anteil an gesättigten Fettsäuren.
Ist der Verzehr von Insekten denn sicher?
An dieser Frage scheiden sich die Geister. Ernährungsberaterin Nagel vertraut auf die strengen deutschen Lebensmittelkontrollen und sieht kein Problem in einem unverarbeiteten Verzehr von beispielsweise getrockneten Mehlwürmern. Die Verbraucherzentrale sieht die bisherigen Umstände allerdings kritisch: „Es gibt für die Insektenzucht weder Hygienevorschriften, noch Bestimmungen für die Fütterung oder die Medikamentengabe.“ Ein weiterer Kritikpunkt von Andrea Danitschek ist die Kennzeichnung: „Bei einer Erhebung im letzten Herbst haben wir oft durch die Verpackung nicht feststellen können, ob und wie die Insekten entkeimt wurden.“ Durch eine mangelhafte Entkeimung könnten Krankheiten vom Tier auf den Menschen übergreifen. Deshalb rät Danitschek sehr vom Kauf bei Online-Händlern ab, die nicht in Deutschland ansässig sind, da nur die Produkte von Händlern im Inland stichprobenartig von den Lebensmittelbehörden überwacht würden.
Mathias Rasch hält die deutschen Insekten für sicher, da jeder Züchter Interesse an hygienischen Bedingungen habe. Schließlich müsste er bei einer Infektion den gesamten Bestand vernichten. „Außerdem muss jeder, der mit Lebensmitteln arbeitet und handelt, ein Hygienekonzept vorweisen“, so Rasch. In seinen Augen beeinträchtigen auch die fehlenden Futternormen die Produkte nicht: „Insekten fressen zwar grundsätzlich mal alles, aber um sichere, nährstoffreiche Insekten zu produzieren, muss man ihnen auch sicheres, nährstoffreiches Futter geben, wie anderen Nutztieren eben auch.“
Insekten sollen eine umweltfreundliche Fleischalternative sein. Stimmt das?
Alle Experten sind sich einig, dass Insekten deutlich weniger Platz und Wasser verbrauchen und weniger klimaaktive Gase ausstoßen als andere Nutztiere. Mathias Rasch führt aus: „Konkrete Angaben sind schwierig, aber man kann sagen, dass man mit ungefähr zwei Kilo Futter ein Kilo Insekten erzeugen kann.“ Für andere Tiere, vor allem für Rinder, braucht es ein Vielfaches davon. Einen großen Vorteil sieht Rasch in der Haltungsform. Denn Insekten könne man vertikal züchten, also in aufeinandergestapelten Kisten. Er sieht hier vor allem Potenzial in urbanen Räumen und auf Brachflächen. Mit mobilen Zuchtkästen will er damit ungenutzte Flächen nutzbar machen. „Gerade in der Stadt könnte man so kurze Wege schaffen, quasi vom Flachdach direkt ins Restaurant.“
Insekten sind Lebewesen. Welche Vorgaben gibt es zum Tierschutz?
„Es gibt bisher keine Vorgaben zur Haltung“, kritisiert Danitschek, „allein in der Frage, ob Insekten überhaupt ein Schmerzempfinden haben, gibt es noch Klärungsbedarf.“ Es gibt aber bereits gewisse Vorgaben in Österreich und der Schweiz, an die sich die deutschen Züchter bis zu einer nationalen Regelung anlehnen, wie Rasch betont.
Trotz geringer gesetzlicher Standards sind Produkte mit Insekten bisher sehr teuer. Warum?
Alle Experten sind sich einig: Speiseinsekten sind ein Nischenprodukt, weshalb die Gewinne nicht über die Masse erwirtschaftet werden können. Danitschek ist sich sicher: „Wenn die Nachfrage steigt, wird auch der Preis sinken.“ Für Anette Nagel ist der hohe Preis aber kein Hinderungsgrund für einen Kauf: „Gefriergetrocknete Insekten haben einen so hohen Proteingehalt, dass man nicht viele davon essen muss, um seinen Eiweißbedarf zu decken.“ Mathias Rasch hofft neben größerem Absatz auch auf den Einsatz in der Kreislaufwirtschaft. Denn bisher ist es verboten, in der Fleischproduktion Bioabfälle zu verfüttern, das gilt auch für Insekten. „Wir hoffen aber, dass es bald Ausnahmeregeln für Konzepte gibt, in denen bestimmte, sichere Abfallstoffe an Insekten verfüttert werden, die diese dann zu Proteinen aufwerten.“
Wonach schmecken Insekten überhaupt und wie kann man sie zubereiten?
Insekten werden in vielen Formen angeboten. Viele Menschen schätzen sie als gemahlenes Pulver, weil man das ursprüngliche Tier dann nicht mehr erkennt. „Die Tiere an und für sich schmecken nach gar nichts“, findet Ernährungsexpertin Nagel. „Gegrillt und gewürzt sind sie aber köstlich und wegen des geringen Eigengeschmacks vielfältig einsetzbar.“ Genau das ist das Fachgebiet von Mathias Rasch und Wicked Cricket. Sie haben sich auf Knabberprodukte aus Insekten spezialisiert. Konkret sind das dann beispielsweise geröstete Grillen in Geschmacksrichtungen wie Allgäuer Wildkräuter oder Zimt und Zucker. Auf ihrer Website präsentiert Wicked Cricket eine Vielzahl an insektenhaltigen Rezepten, zum Beispiel Steinpilz-Muffins mit Mehlwürmern. Anette Nagel setzt vor allem auf gemahlene Insekten. „Aber auch gegrillte Heuschrecken sind als Snack toll, der Chitinpanzer knackt beim Kauen, das ist wichtig für den Genuss beim Essen“, meint die Ernährungsberaterin.
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