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Ökonom über Russlands Wirtschaft: „Endet wie in der UdSSR im finanziellen Bankrott“

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Geschlossener H&M Laden: Viele Geschäfte von westlichen Firmen sind in Russland gerade geschlossen.
Geschlossener H&M Laden: Viele Geschäfte von westlichen Firmen sind in Russland gerade geschlossen. © Artyom Geodakyan/imago

Der Kreml versprüht gerne Optimismus, wenn es um die Wirtschaft Russlands geht. Der russische Ökonom Igor Lipsits befürchtet dagegen „eine Verarmung breiter Bevölkerungsschichten“.

Moskau – Auf den ersten Blick macht Russlands Wirtschaft trotz der Sanktionen des Westens einen robusten Eindruck. Nach Einschätzung des russischen Finanzministers Anton Siluanow soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr sogar deutlich stärker steigen als zuletzt angenommen. „Wir erwarten in diesem Jahr eine Erholung der Wirtschaft um 2,5 Prozent, vielleicht auch mehr“, sagte er laut der Nachrichtenagentur Interfax am Samstag in einem Fernsehinterview.

Russland: Wachstumsprognose angehoben – wegen Rüstungsindustrie

Im vergangenen Jahr war das BIP in Russland nach Ausbruch des von Kremlchef Wladimir Putin befohlenen Angriffskriegs gegen die Ukraine offiziell um 2,1 Prozent gesunken. Für 2023 liegt die offizielle Wachstumsprognose vom Wirtschaftsministerium aus dem April bei 1,2 Prozent.

In der Zwischenzeit haben sich allerdings sowohl Präsident Putin als auch Premierminister Michail Mischustin optimistischer geäußert und erklärt, das Wachstum könne auch über zwei Prozent liegen. Wirklich aussagekräftig sind die aktuellen Wachstumszahlen allerdings nicht. Viele Wirtschaftszweige liegen – teilweise auch wegen der Sanktionen – in Russland brach, allein die Rüstungsindustrie arbeitet im Hochbetrieb.

Ökonom Igor Lipsits: „Es gibt in Russland immer mehr Inflationstreiber“

Auch der russische Ökonom, Putin-Kritiker und Hochschulgründer Igor Lipsits ist skeptisch, wie er in einem Interview mit der Wirtschaftswoche verriet. Daten der Akademie der Wissenschaften würden zeigen, dass sich Branchen außerhalb der Rüstungsindustrie im Vorjahresvergleich in einer „dramatischen Abwärtsdynamik“ befinden würden. Die Erdgasförderung liege demnach 14,5 Prozent im Minus, die Holzverarbeitung um 15 Prozent, die Arzneimittelproduktion um zwölf Prozent.

Er äußerte sich auch zur steigenden Inflation in Russland. Diese wurde durch die Talfahrt des Rubels in den vergangenen Monaten angekurbelt. Die russische Leitwährung hat massiv an Wert gegenüber Euro und Dollar verloren. Ein Euro kostet inzwischen mehr als 100 Rubel. Das hat notwendige Importe deutlich verteuert. Zwar geht der russische Finanzminister davon aus, dass die Inflation in den nächsten Jahren auf eine Zielmarke von vier Prozent zurückkehren kann, doch Lipsits sieht das anders.

„Es gibt in Russland immer mehr Inflationstreiber, die sie nicht eliminieren kann – etwa den Anstieg der Gehälter aufgrund des Arbeitskräftemangels oder die steigenden Preise bei Kraftstoffen und Gas“, so der Ökonom dem Magazin. Hinzu kommen die immer größeren Geldmengen, die als Unterstützungsleistungen ausgezahlt werden, in Kombination mit dem zu geringen heimischen Warenangebot. Lipsits sieht darin „Erscheinungen eines systematischen Zerfalls der früheren normalen Wirtschaftsabläufe“.

Ökonom über Putins Politik: „Die russische Politik wird zu einem wirtschaftlichen Niedergang führen“

Der Ökonom ist für seine lautstarke Kritk an der Putin-Politik bekannt – er musste nun seinen renommierten Posten als Professor an der Moskauer Higher School of Economics (HSE) niederlegen, weil ihm die Leitung nahegelegt hätte, auf Auftritte in unabhängigen Medien zu verzichten. Das berichtet die Wirtschaftswoche. Er darf nicht einmal mehr Online-Unterricht geben. Lipsits lebt seit einiger Zeit in Litauen.

 In der Wirtschaftswoche spricht er aber weiter über die Folgen von Putins Krieg: „Die russische Politik wird zu einem wirtschaftlichen Niedergang und einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten führen“, prophezeit er. „Fast wie damals in der UdSSR, deren Existenz praktisch im finanziellen Bankrott endete.“ Er erwarte eine Rückentwicklung der technologischen Prozesse infolge von Sanktionen und internationaler Isolation, einen fortschreitenden Verlust von Humankapital und die Zerstörung der Grundlagen für private Investitionen.

Für den vom Kreml gern versprühten Optimismus sehen auch Experten in Russland keinen Anlass. Hier treibt der schwache Rubel und die starke Inflation die Menschen um. Für einen „starken und geachteten Rubel“, der für Russlands Souveränität stehe, brauche es mehr Einsatz, zitiert die russische Zeitung Nesawissimaja Gaseta das Stolypin-Wirtschaftsinstitut. 

Das Blatt beklagt auch, dass viele Menschen für ihr Geld immer weniger Lebensmittel bekommen. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen hat sich in den vergangenen zehn Jahren zwar fast verdoppelt, laut Statistikbehörde Rosstat auf rund 48.000 Rubel (rund 470 Euro) im Monat. Unter Berücksichtigung von Inflation liege der Wert dieser Summe aber heute 6,5 Prozent unter der Kaufkraft von 2013.

Mit Material der AFP und dpa

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