Ölpreisdeckel: Wie der Kreml versucht, die Beschränkungen mit einer eigenen Schattenflotte zu umschiffen
Ein Öl-Embargo und ein Ölpreisdeckel sollen Russland finanziell austrocknen. Doch der Kreml versucht, die Beschränkungen mit allen Mitteln zu umgehen.
Moskau – Russland verdient Milliarden mit seinen Energieexporten – und kann damit weiter seinen Krieg gegen die Ukraine finanzieren. Um den russischen Präsidenten Wladimir Putin auszubremsen, hat sich der Westen auf ein Öl-Embargo und einen Ölpreisdeckel verständigt.
Ölpreisdeckel: Russland baut Schattenflotte auf
Die Preisobergrenze soll Russland dazu zwingen, Erdöl künftig für höchstens 60 US-Dollar pro Barrel an Abnehmer in anderen Staaten zu verkaufen. Der Preis von umgerechnet etwa 57 Euro pro 159 Liter wird dann deutlich unter dem Marktpreis für russisches Rohöl der Sorte Urals liegen. Die russische Regierung lehnte diesen Preisdeckel ab. „Wir werden keine Obergrenzen anerkennen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax. Man bereite Gegenmaßnahmen vor.
Eine dieser Gegenmaßnahmen ist offenbar der Aufbau einer sogenannten Schattenflotte. Laut Experten mehren sich die Hinweise, dass Russland eine eigene Flotte aus alten, ausgemusterten Öltankern aufbaut, die ohne Beteiligung westlicher Firmen das Öl weiter vertreiben sollen.
Denn der Ölpreisdeckel soll weltweit über die westliche Marktmacht bei Schiffsdienstleistungen funktionieren: Unternehmen aus G7- und EU-Staaten und auch Australien dürfen nach Inkrafttreten des Preisdeckels nur noch Dienstleistungen rund um den Schiffstransport von russischem Öl abwickeln, wenn beim Verkauf des Öls die Obergrenze eingehalten wird. Derzeit stellen Unternehmen aus G7-Staaten rund 90 Prozent der für den Ölhandel so wichtigen Transportversicherungen weltweit. Die EU ist auch sonst ein wichtiger Akteur im Seefrachtgeschäft – und Russland bisher stark abhängig vom Westen.
Experte: „Neuer Schifffahrtsmarkt entsteht“
Das könnte sich nun ändern. Der Leiter des Russland-Instituts am Londoner King‘s College, Adnan Vatansever, sagte dem Spiegel, dass die russische Schattenflotte aus mindestens 100 gebrauchten Tankern bestehen könnte, die meist aus den ebenfalls vom Westen sanktionierten Staaten Iran und Venezuela stammen. Die beiden Länder operieren schon länger auf diese Weise, um ihre Rohstoffe trotz westlicher Sanktionen über inoffizielle Wege an den Mann zu bringen. Auch die britische Wirtschaftszeitung Financial Times berichtet unter Berufung auf Daten des Energieberatungsunternehmen Rystad von einer Öltankerflotte aus etwa 100 Schiffen.
Abnehmer für das russische Öl gäbe es mit China und Indien vor allem in Asien. Experten erwarten deshalb die Ausbreitung eines Parallelmarktes: „Es entsteht eine neue Art von Schifffahrtsmarkt, parallel zu dem normalen, konformen Markt, in dem die meisten von uns tätig sind“, sagte Lars Barstad, Vorstandsvorsitzender des Tankereigners Frontline dem amerikanischen Wall Street Journal.
Darüber hinaus wendet Russland beim Ölexport offenbar Verschleierungstaktiken an. Das berichtet die Financial Times. Den Recherchen der Wirtschaftszeitung zufolge sendete ein russischer Öltanker schon vor dem Inkrafttreten des Öl-Embargos falsche Positionen, um seinen Aufenthalt zu verschleiern. Außerdem wird von Fällen berichtet, bei denen auf See russisches Öl von einem Tanker auf einen anderen verladen und mit Öl aus anderen Ländern vermischt wurde, damit nicht mehr erkennbar ist, woher der Rohstoff stammt.
Ölexport gehört zu den Haupteinnahmequellen Russlands
Putin wird extrem viel daran gelegen sein, sein Ölgeschäft aufrechtzuerhalten. Der Export des Rohstoffs gehört nach wie vor zu den Haupteinnahmequellen Russlands. Sollte es ihm nicht gelingen, ein Parallel-Geschäft mit seiner Schattenflotte aufzubauen, könnte es für ihn finanziell eng werden.
Zudem wird der Handlungsspielraum immer enger: Da ohne Einhaltung des Ölpreisdeckels kein ausreichender Versicherungsschutz besteht, verweigert die Türkei Öltankern ohne entsprechende Bescheinigung den Durchfuhrt durch den Bosporus – genauso wie die Lotsen in der dänischen Meerenge zwischen Nord- und Ostsee. Mit anderen Worten: auf diesen Routen kann Russland kein Öl mehr über die Ostsee und das Schwarze Meer exportieren – außer, es hält sich an den Preisdeckel des Westens.
Mit Material der dpa