Exklusiv: Prozess gegen OneCoin-Verantwortliche beginnt

Zehntausende Deutsche hatten in eine Kryptowährung namens OneCoin investiert. Die aber war frei erfunden. Jetzt beginnt in Münster der Prozess gegen drei Angeklagte.
Münster - Am 17. September wird am Landgericht Münster der Prozess gegen drei Beschuldigte im OneCoin-Komplex eröffnet. Das bestätigte ein Sprecher des Landgerichts auf Anfrage von Ippen Investigativ*.
Vor Gericht müssen sich dann ein Ehepaar aus Greven und ein Rechtsanwalt aus München verantworten. Den drei Angeklagten wird vorgeworfen, den Vertrieb einer frei erfundene Kryptowährung names OneCoin unterstützt und damit illegale Zahlungsdiensleistungen erbracht zu haben.
Allein in Deutschland hatten 60.000 Menschen an OneCoin geglaubt und darin investiert, weltweit waren es hunderttausende. Ippen Investigativ hatte zuletzt im September 2020 darüber berichtet.
Bis heute ist unklar, wie viel Geld in OneCoin verschwunden ist
Der nun in Münster beginnende Prozess könnte erstmals auch detaillierte Einblicke darin bringen, wie aus einer kleinen Idee aus Deutschland ein weltweites System werden konnte, auf das hunderttausende Menschen hereinfielen – und es noch heute tun, denn zumindest auf dem afrikanischen Kontinent läuft OneCoin noch immer. Auch in Europa, Amerika und Asien glauben nach wie vor zahlreiche Menschen, dass sich hinter OneCoin eine große Finanzrevolution verbirgt, die jeden Moment losschlagen und unser Geldsystem ablösen könne.
Wie viel Geld genau in OneCoin verschwunden ist, ist bis heute unklar. Zuletzt kursierte die Summe von 15 Milliarden Dollar. Da allerdings noch immer nicht alle Konten, Firmen und Netzwerke hinter OneCoin bekannt sind, könnte der Schaden auch deutlich höher sein. Nur so viel steht fest: Weltweit sind Milliarden verschwunden, in anonymen Fonds, Firmennetzwerken, Villen, Yachten und Diamanten. Sollten die Verantwortlichen eines Tages tatsächlich verurteilt werden, wäre OneCoin einer der größten Betrugsfälle aller Zeiten.
Ippen Investigativ recherchiert weiter zum Thema „OneCoin“. Haben Sie Tipps und Hinweise, denen wir nachgehen sollen? Dann melden Sie sich gern bei unserem Reporter: unter recherche@ippen-investigativ.de oder unter 0171 / 75 900 73.
Weil OneCoin-Investoren selbst auch neue Mitglieder anwerben sollten und auf deren Investment dann Provisionen erhielten, gilt OneCoin heute vielen Beobachtern als klassisches Schneeballsystem. 2019 waren führende Köpfe hinter OneCoin teils von einem Tag auf den anderen abgetaucht, das System brach zusammen. Bis heute warten unzählige Menschen darauf, ihr Geld wiederzubekommen.
2017 war die „Cryptoqueen“ verschwunden – bis heute wird sie weltweit gesucht
Seit Jahren laufen weltweit Ermittlungen gegen OneCoin-Verantwortliche. Angeklagt werden meist Menschen, die die angebliche Kryptowährung vertrieben und Menschen in das System hineingelockt hatten. Die eigentlichen Drahtzieher und Erfinder von OneCoin hingegen sind bis heute nicht verurteilt: Allen voran die charismatische Gründerin Ruja Ignatova, eine Deutsch-Bulgarin, die unter dem Titel „Cryptoqueen“ und durch eine gleichnamige BBC-Podcast-Serie weltweit bekanntgeworden war. Sie verschwand im Herbst 2017 als erste spurlos.
In Deutschland hatte die Staatsanwaltschaft Bielefeld zunächst gegen neun Beschuldigte ermittelt, wegen einer ganzen Palette möglicher Delikte: Verdacht des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges, Verdacht der Geldwäsche, Verdacht der progressiven Kundenwerbung, Verdacht der Erbringung von Finanzdienstleistungen ohne Erlaubnis und Verdacht der Erbringung von Zahlungsdiensten ohne Erlaubnis.
Nur drei der ursprünglich neun Beschuldigten konnten die Staatsanwälte letztlich anklagen, und auch das nur noch wegen Verstoßes gegen das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz. Ein Hinweis darauf, wie komplex die Materie hier auch in rechtlicher Hinsicht ist. Das Landgericht Münster hatte die Anklage im Juni zugelassen, doch taten die Richter das mit einer kleinen Überraschung: Das Ehepaar aus Greven wurde durch das Gericht darauf hingewiesen, dass nach Ansicht der Strafkammer durchaus auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Betrug – und zwar in einem besonders schweren Fall – in Betracht kommen könnte.
Der Grund: Die Firma der beiden Angeklagten hatte diversen OneCoin-Firmen Konten bereitgestellt, Gelder von Kunden entgegengenommen und innerhalb des weltweiten Netzes aus Firmen, die zu OneCoin gehörten, große Summen transferiert. 360 Millionen Euro sollen sie so bewegt haben, auch in anonyme Fonds in Steuerparadiesen. Dem Gericht zufolge könnten diese beiden Angeklagten damit die sogenannten „Cryptoqueen“ Ruja Ignatova bei einem Betrug unterstützt oder diesen vielleicht sogar erst möglich gemacht haben.
Von findigen Geschäftsleuten und geschäftstüchtigen Rechtsanwälten
Weil die Dinge in rechtlicher Hinsicht aber so komplex sind ist auch der Ausgang des nun in Münster beginnenden Prozesses vollkommen offen. Um jemanden wegen Betrugs oder Beihilfe zum Betrug zu verurteilen muss die Staatsanwaltschaft beweisen, dass die mit dem Vertrieb von OneCoin eingenommenen Summen tatsächlich in betrügerischer Absicht eingenommen und in betrügerischer Absicht auf andere Konten und Fonds in Steuerparadiesen transferiert wurden. Können die Angeklagten glaubhaft machen, dass sie von eventuellen illegalen Absichten der OneCoin-Erfinder nichts wissen konnten, wird das schwer. Dann bliebe „nur“ noch eine Verurteilung wegen Verstoß gegen das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz: Wenn es der Staatsanwaltschaft gelingt, zu belegen, dass das Geschäft der Angeklagten ein illegales Finanztransfergeschäft war. So zumindest sah es damals auch die BaFin.
Und dann kommen da noch die spezielleren Fragen. Wann ist eine Kryptowährung eine echte Kryptowährung und wann ist sie frei erfunden? Wann ist ein System im Direktvertrieb ein erlaubtes Multi-Level-Marketing und wann ein verbotenes Schneeballsystem? All das ist nicht immer ganz eindeutig zu sagen. Auch, weil die Rechtsprechung mitunter Jahre braucht, um sich an neue technische Entwicklungen anzupassen. Das in der Zwischenzeit entstehende Vakuum können findige Geschäftsleute für sich nutzen – und nicht selten helfen ihnen geschäftstüchtige Rechtsanwälte nur zu gern dabei.
Das zeigt auch ein anderes, kleineres Verfahren am Amtsgericht Augsburg. Dort waren erst im Sommer 2020 zwei Angeklagte freigesprochen worden, die als OneCoin-Vertriebspartner 75 Menschen überzeugt haben sollen, ihr Geld in OneCoin zu stecken. Das Gericht in Augsburg sprach die Angeklagten frei, weil nach Auffassung des Richters nicht zweifelsfrei feststand, dass das mit den Mitteln der unlauteren Kundenwerbung geschehen sein soll – mit anderen Worten: Dass die Merkmale für ein illegales Schneeballsystem zweifelsfrei vorhanden waren. Über alles andere hatte das Gericht hier nicht zu befinden.
Der Augsburger Richter ließ es sich aber nicht nehmen, in seine Urteilsbegründung einen mehr als eindeutigen Hinweis zu schreiben: Bei seinem Urteil sei nicht verkannt worden, „dass es sich bei OneCoin möglicherweise um ein großes Betrugssystem handelt, dass von den Initiatoren nur zu dem Zweck gegründet wurde, das Geld von leichtgläubigen Investoren zu ergaunern. Genau genommen spricht wenig dafür, dass die Investoren jemals auch nur einen Cent ihrer Investition wiedersehen werden.“ Die Staatsanwaltschaft Augsburg ist gegen den Freispruch in Berufung gegangen, Termine zur Berufungsbehandlung gibt es noch nicht.
Ab Mitte September wird sich zeigen, ob zumindest in Münster die Chancen für deutsche OneCoin-Investoren noch einmal steigen könnten, einen Teil ihres Geld wiederzusehen – immerhin stehen dann nicht mehr eher unbedeutende Vertriebspartner vor Gericht, sondern Menschen mit engen Verbindungen zum inneren Zirkel von OneCoin. Die Antwort aber könnte eine Weile auf sich warten lassen: Allein in diesem Jahr sind 17 Verhandlungstermine angesetzt. 2022 werden zahlreiche folgen: Bis in den Mai 2022 ist derzeit terminiert.
* Ippen Investigativ ist das Investigativ-Team von IPPEN.MEDIA, eine der größten deutschen Nachrichtenplattformen, zu der auch unsere Redaktion gehört. Mehr dazu und wie sie das Recherche-Team erreichen können finden Sie unter ippen-investigativ.de
- OneCoin konnte Milliarden stehlen, obwohl Banken die Behörden informiert hatten
- Der Milliardenbetrug
- BBC-Podcast „The missing cryptoqueen“